# taz.de -- Pläne für den Verfassungsschutz: Der Geheimdienst fürs Finanzamt
       
       > Vereine, die der Verfassungsschutz für extremistisch hält, sollen künftig
       > automatisch ihre Steuervorteile verlieren. Kritiker fürchten, dass er
       > damit zum Oberzensor wird.
       
 (IMG) Bild: Darf der Verfassungsschutz demnächst zu viel?
       
       BERLIN/FREIBURG taz | Organisationen, die im Verfassungsschutzbericht
       aufgelistet sind, sollen künftig automatisch die Gemeinnützigkeit
       verlieren. Das sieht der Entwurf des Jahressteuergesetzes 2013 vor.
       Betroffene Organisationen können dann nur noch direkt gegen die Erwähnung
       im Verfassungsschutzbericht klagen.
       
       Die Änderung wirkt unscheinbar, nur ein Wort soll wegfallen. Bisher wurde
       „widerlegbar“ vermutet, dass eine im Verfassungsschutzbericht als
       extremistisch erwähnte Organisation nicht gemeinnützig sein kann. Jetzt
       soll das Wort „widerlegbar“ gestrichen werden. Die Finanzämter hätten dann
       keinen Ermessensspielraum mehr. Und auch eine Anrufung der Finanzgerichte
       gegen die Entziehung der Gemeinnützigkeit wäre sinnlos.
       
       Wolfgang Neskovic, Justiziar der Linken im Bundestag, ist empört. „Diese
       Regelung öffnet die Tür für politische Willkür“, meint der ehemalige
       Richter am Bundesgerichtshof, „über die Nennung im Verfassungsschutzbericht
       könnte dann gezielt missliebigen politischen Vereinigungen der finanzielle
       Boden entzogen werden.“
       
       Auch Wolfgang Wieland, Experte der Grünen für innere Sicherheit, findet:
       „Das ist eine ganz schlechte Idee.“ Sönke Rix, Extremismusexperte der
       SPD-Fraktion, kritisiert: „Hier wird der Verfassungsschutzbericht, der ja
       nur ein informeller Bericht der Regierung ist, zu einem
       Entscheidungsinstrument der Finanzämter.“
       
       Ansgar Klein, Herausgeber des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen,
       ist alarmiert, dass ausgerechnet eine kaum kontrollierbare Behörde wie der
       Verfassungsschutz über die Gemeinnützigkeit von Organisationen entscheiden
       solle: „Der Verfassungsschutz darf nicht Oberzensor der Zivilgesellschaft
       sein.“ Selbst der politisch neutrale Bundesverband Deutscher Stiftungen hat
       Vorbehalte gegen den geplanten Automatismus. „Wir sehen das als Versuch,
       die Möglichkeit einzuengen, sich gegen Fehler und Willkür der Behörden zu
       wehren“, sagte Vizegeschäftsführer Hermann Falk zur taz.
       
       ## Für viele Vereine heißt das Existenzgefährdung
       
       Die Gemeinnützigkeit nützt einer Organisation gleich doppelt: Zum einen
       muss sie für eigene Einnahmen und Umsätze weniger Steuern zahlen. Vor allem
       aber können Bürger die Spenden an solche Organisationen steuermindernd
       absetzen. Für viele Vereine und Gruppen, die auf Spenden angewiesen sind,
       bedeutet der Entzug der Gemeinnützigkeit deshalb eine akute
       Existenzgefährdung.
       
       Dass verfassungsfeindliche Organisationen nicht gemeinnützig sein können,
       ist freilich nicht neu. Schon seit Jahrzehnten verfahren die Finanzämter
       so, auch wenn es keine ausdrückliche gesetzliche Regelung gab.
       
       Erst der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat 2008 eine solche
       Klausel vorgeschlagen. Der neue Paragraf war gedacht als Symbol gegen den
       wachsenden Rechtsextremismus, mit dem sich aber gegenüber der bisherigen
       Lage im Ergebnis nichts ändern sollte.
       
       Die heikle Verbindung mit den Verfassungsschutzberichten kam bei den
       Ausschussberatungen ins Gesetz. Einem entsprechenden Antrag von CDU/CSU und
       SPD stimmte der Finanzausschuss einstimmig zu. Protest gab es damals keinen
       – es ging ja vermeintlich gegen Neonazis. Beschlossen wurde damals eine
       Beweislastumkehr. Wenn eine Organisation im Verfassungsschutzbericht
       erwähnt ist, muss sie beweisen, dass sie trotzdem gemeinnützig ist.
       
       ## Keine Möglichkeit zum Gegenbeweis
       
       Die Neuregelung findet sich in Paragraf 51 der Abgabenordnung und trat
       Anfang 2009 in Kraft. Ein solcher Gegenbeweis ist bereits in mehreren
       Fällen gelungen. Manchmal sorgte politischer Protest dafür, dass bereits
       das Finanzamt den Entzug der Gemeinnützigkeit zurücknahm. Mindestens
       zweimal haben auch Finanzgerichte erklärt, dass sie die Vorwürfe des
       Verfassungsschutzes für zu vage und seine Beweise für zu dünn halten.
       
       Künftig aber soll die Möglichkeit zum Gegenbeweis im Steuerrecht entfallen.
       Finanzämter und Finanzgerichte können dem Verfassungsschutz dann nicht mehr
       auf die Finger sehen. Darin kann man durchaus eine Abstrafung für
       unabhängige Gerichte sehen.
       
       Die Bundesregierung weist das freilich weit von sich. „Wir wollen nur, dass
       sachnahe Richter entscheiden“, sagte eine Sprecherin von
       Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zur taz. Für Fragen des
       Verfassungsschutzes seien schon immer die Verwaltungsgerichte und nicht die
       Finanzgerichte zuständig gewesen.
       
       Das stimmt zwar, aber es bleibt festzuhalten, dass die Zahl der Rechtswege
       damit halbiert wird. Bisher konnte eine betroffene Organisation wählen, ob
       sie gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit das Finanzgericht anruft oder ob
       sie wegen des Eintrags in den VS-Bericht zum Verwaltungsgericht geht.
       Künftig soll die Organisation nur noch den zweiten Weg nutzen können.
       
       ## Absurde Ungereimtheiten
       
       Immerhin sind auch die Verwaltungsgerichte in solchen Fragen nicht zahnlos.
       So ist es durchaus schon geglückt, Korrekturen und Schwärzungen an
       unzutreffenden oder ungenauen Verfassungsschutzberichten vorzunehmen. Und
       eigentlich ist es auch sinnvoller, das Übel an der Wurzel zu packen und
       direkt gegen einen unzulässig stigmatisierenden Bericht vorzugehen.
       
       Es bleiben aber absurde Ungereimtheiten. So soll es für den Entzug der
       Gemeinnützigkeit nicht auf den jeweils örtlich geltenden
       Verfassungsschutzbericht ankommen, vielmehr genügt der Eintrag in
       irgendeinen der 17 Berichte von Bund und Ländern. Der schärfste
       Landesverfassungsschutz kann damit seine Standards bundesweit durchsetzen.
       
       Außerdem können schon Lappalien zur Aufnahme in den
       Verfassungsschutzbericht führen, etwa wenn eine Organisation auf ihrer
       Webseite Links zu extremistischen Organisationen gesetzt hat. Dass so etwas
       automatisch zum Entzug der Gemeinnützigkeit führen soll, wirkt dann doch
       recht unverhältnismäßig.
       
       Noch aber könnte der Plan verhindert werden. Der Gesetzentwurf des
       Jahressteuergesetzes, das neben dem hier dargestellten Punkt noch Dutzende
       anderer Änderungen enthält, wurde noch nicht vom Bundeskabinett
       beschlossen. Und der Bundestag wird das Gesetz vermutlich erst im Dezember
       verabschieden.
       
       Doch von den Koalitionsfraktionen will sich derzeit niemand zu den Plänen
       äußern, nicht einmal Politiker vom Bürgerrechtsflügel der FDP, wie die
       innenpolitische Sprecherin Gisela Piltz. Auch Justizministerin Sabine
       Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat in der Ressortabstimmung bisher keine
       Einwände erhoben.
       
       21 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) M. Kreutzfeldt
 (DIR) C. Rath
       
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