# taz.de -- Vom Abstieg der Kartoffel: Nudeln muss man nicht schälen
       
       > Früher aß jeder Deutsche pro Tag ein halbes Kilo, mittlerweile redet man
       > der Kartoffel sogar übel nach. Warum eigentlich? Dick macht sie
       > jedenfalls nicht.
       
 (IMG) Bild: Geben Sie Ihr eine Chance. Sie hat es verdient! Die Kartoffel.
       
       Sie rollte und rollte, sie kullerte und rumpelte in die Vorratskeller der
       jungen Bundesrepublik: Die Kartoffel, der solide Sattmacher – gerade in
       schlechten Tagen – hatte ihre Glanzzeit in den fünfziger Jahren. Doch schon
       in den Sechzigern begann der Abstieg jenes Nahrungsmittels, das den
       Deutschen einen Spitznamen gab.
       
       Für das vergangene Jahr meldet die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft AMI
       sogar einen neuen Tiefststand: 1,32 Millionen Tonnen Kartoffeln wurden
       verkauft – frisch, ungeschält und unverarbeitet, lose, im Netz oder in der
       Tüte. 30.000 Tonnen Kartoffeln weniger als im Vorjahr, das sind etwa 1.200
       Lkw-Ladungen. Nicht gigantisch viel, doch so geht es seit Jahren: Mal ein
       paar zehntausend Tonnen weniger, mal ein paar hunderttausend, und schon ist
       die Kartoffel auf dem besten Weg zum Nischenprodukt. Auch das
       Internationale Jahr der Kartoffel, das die Vereinten Nationen 2008
       ausriefen, änderte daran nichts.
       
       „Die Kartoffel ist wenig hip“, sagt Thomas Els, Verbraucherforscher bei der
       AMI. Sie sei eben kein Convenience-Produkt, das sich schnell in die Pfanne
       oder Mikrowelle werfen lasse. „Sie ist zwar frisch und unverarbeitet, aber
       eben auch ungeschält. Teilweise ist das schon ein Problem.“ Nudeln oder
       Reis seien einfacher zuzubereiten. Daher habe deren Beliebtheit in den
       letzten Jahrzehnten immer weiter zugenommen, die Kartoffel sei ins Abseits
       gerückt.
       
       Wer überhaupt noch Kartoffeln isst? Vor allem Ältere, so stellt es das
       Statistische Bundesamt fest, eher Paare als Alleinstehende und bei
       Letzteren eher Frauen als Männer. Wer Kartoffeln kauft, greift dabei zu
       kleineren Mengen. Bevorzugt werden laut AMI Gebinde bis maximal zweieinhalb
       Kilo. Die Netze von fünf, zehn oder auch 20 Kilo haben ausgedient.
       
       ## Veränderung der Kochkultur
       
       „Kartoffeln waren früher ein Grundnahrungsmittel, aber mit steigendem
       Einkommen und steigendem Lebensstandard ist der Verbrauch zurückgegangen“,
       sagt Ariane Girndt, Sprecherin des Bundesverbraucherministeriums. Ähnlich
       sieht es Els: Eine „Veränderung der Kochkultur“ sei die Ursache. Das
       klassische Kochen spielt immer weniger eine Rolle, da ist die Kartoffel
       natürlich von betroffen.“
       
       Was die Alternativen zum klassischen Kochen angeht, ist die Auswahl an
       Kartoffelprodukten allerdings groß. Nicht nur die gängigen Pommes oder
       Chips sind im Supermarkt zu kaufen. Längst gibt es fertiges Kartoffelpüree,
       das nur noch angerührt werden muss, es gibt Kartoffelknödel,
       Kartoffeltaschen und Kartoffelpuffer, diverse Gerichte mit Brat- oder
       Ofenkartoffeln, Suppe in der Dose oder in der Packung, Kartoffelklößchen,
       Kartoffelsalat, Kartoffelsticks.
       
       Essen die Menschen also einfach weniger Pellkartoffeln, dafür aber mehr
       Pommes, Chips und Kartoffelbrei aus der Packung? Grundsätzlich schon, sagt
       Anja Gahl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Laut dem
       Ernährungsbericht der DGE verzehren die Bundesbürger heute deutlich mehr
       verarbeitete Produkte aus Kartoffeln, sogenannte Kartoffelerzeugnisse, als
       noch Mitte der 90er Jahre. Im Schnitt 600 Gramm mehr werden es jährlich –
       pro Person. Nicht genug, um den Rückgang bei den unverarbeiteten Kartoffeln
       wieder auszugleichen. Und so sinkt der Gesamtverbrauch weiter.
       
       ## Chips sind auch Kartoffeln
       
       Anfang der 50er Jahre sah das noch ganz anders aus. Ein halbes Kilo
       Kartoffeln kamen damals pro Person auf den Tisch – täglich. Heute würde die
       gleiche Menge fast für vier Tage reichen – und da sind Fertiggerichte und
       Chips schon mit drin. Es kann also nicht nur daran liegen, dass kaum jemand
       mehr Kartoffeln schälen kann.
       
       Ernährungswissenschaftler Claus Leitzmann, früher Professor an der
       Universität Gießen erinnert sich, wie viele Kartoffeln früher auf den Tisch
       kamen: „Während und nach dem Zweiten Weltkrieg waren Kartoffeln tatsächlich
       noch ein richtiges Grundnahrungsmittel.“ Kiloweise seien sie damals
       verzehrt worden – und das als Pell- oder Salzkartoffeln. Fertigprodukte
       seien weitgehend unbekannt gewesen, so etwas wie fertiger Kartoffelbrei zum
       Anmischen oder bereits geschälte Kartoffeln, die man nur noch in heißes
       Wasser geben muss – undenkbar.
       
       Was sich seitdem geändert hat? Menschen, die nicht wissen, wie man
       Kartoffeln schält, betrachtet Leitzmann eher als Einzelfall. Er glaubt,
       dass es vor allem drei Faktoren sind, die den Niedergang der Kartoffel
       befördern. Zum einen der Ruf des Lebensmittels: „Die Kartoffel gilt –
       ungerechterweise – immer noch als Dickmacher.“
       
       ## Schlechter Ruf
       
       Viele Diäten rieten dazu, auf Kohlenhydrate zu verzichten und stärker auf
       Eiweiß zu setzen. Die Kartoffel besteht nun zwar, neben einem Wasseranteil
       von 80 Prozent, vor allem aus Kohlenhydraten, ihr schlechter Ruf sei aus
       ernährungsphysiologischer Sicht dennoch falsch: „Nicht die Kartoffel macht
       dick, sondern das, was es dazu gibt.“
       
       Oder aber ihre Zubereitung mit viel Salz und Fett – wie meist üblich bei
       den Industriekartoffelprodukten. Und schließlich, sagt Leitzmann, sei die
       Alltagskultur von Bedeutung: „Reis und Teigwaren wie Pasta haben die
       Kartoffel verdrängt.“ Italienische und asiatische Lebensart seien
       angesagter – „da geht die gute alte Kartoffel unter.“
       
       Leitzmann geht davon aus, dass sich diese Entwicklung nicht so schnell
       umkehren wird: „In den kommenden Jahrzehnten werden immer weniger Salz- und
       Pellkartoffeln auf den Tisch kommen.“ Denn noch immer seien es vor allem
       die älteren Generationen, die der Kartoffel die Treue hielten, während der
       Nachwuchs weniger knollige Sättigungsbeilagen bevorzugt.
       
       Hat die Kartoffel noch eine Chance? Leitzmann überlegt: Vielleicht wenn ein
       Promi, allseits beliebt, ehemals übergewichtig, nun schlank, sein neues
       Buch vorstellt. Der Titel müsse dann nur heißen: Einfach abnehmen mit der
       Kartoffeldiät.
       
       3 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Svenja Bergt
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Insekten
       
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