# taz.de -- Psychopharmaka im Trinkwasser: Fische reagieren auf Arzneireste
       
       > Auch in geringen Konzentrationen könnten Psychopharmaka im Trinkwasser
       > Autismus fördern, warnen Wissenschaftler. Bei Fischen führen die
       > Medikamente zu veränderten Genaktivitäten.
       
 (IMG) Bild: Bei Fischen führen die Psychopharmaka zu einer Veränderung der Genaktivität.
       
       SAN FRANCISCO dapd | Reste von Psychopharmaka im Trinkwasser könnten bei
       genetisch vorbelasteten Menschen Autismus auslösen. Das schließen
       US-amerikanische Forscher aus Experimenten mit Fischen. Bei diesen hatten
       die Wissenschaftler dem Aquariumswasser geringe Mengen von drei gängigen
       Medikamenten gegen Depressionen und Epilepsie zugesetzt.
       
       Den Angaben der Forscher nach lagen diese Werte nur wenig über den
       typischerweise in Abwässern gemessenen Werten. Als Folge wurden im Gehirn
       der Fische Gene aktiviert, die normalerweise bei Autisten aktiv sind.
       
       Dieses Ergebnis zeige, dass Psychopharmaka-Reste in Abwässern und
       möglicherweise auch im Trinkwasser Umweltfaktoren sein könnten, die das
       Auftreten von Autismus fördern,
       [1][doi/10.1371/journal.pone.0032917:berichten die Wissenschaftler im
       Fachmagazin "PLoS ONE"] (doi:10.1371/journal.pone.0032917).
       
       Schon vor einiger Zeit hatten Studien gezeigt, dass bestimmte
       Antidepressiva, darunter vor allem die sogenannten Selektiven
       Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), Autismus bei Kindern fördern
       können.
       
       ## Autistische Störungen
       
       Nehmen Frauen diese Medikamente während der Schwangerschaft ein, steigt die
       Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder autistische Störungen entwickeln, so
       das Ergebnis dieser Untersuchungen. In ihren Versuchen an Fischen zeigen
       die Forscher nun, dass auch die stark verdünnten Reste solcher
       Psychopharmaka diese neurologische Störung hervorrufen können.
       
       „Wir waren erstaunt, dass diese Mittel schon in sehr niedrigen Dosierungen,
       wie sie in Gewässern vorkommen, Autismus auslösen können“, sagt Erstautor
       Michael Thomas von der Idaho State University School.
       
       Die bei den Fischen beobachtete Reaktion könnte nach Ansicht der Forscher
       durchaus auf den Menschen übertragbar sein, denn die betroffenen Gene seien
       die gleichen wie bei Personen mit einer Veranlagung zum Autismus. Menschen
       ohne diese Veranlagung seien nicht gefährdet, da ihr Erbgut andere
       Genvarianten enthalte.
       
       ## Medikamentenreste in Gewässern
       
       Wie die Forscher erklären, waren die im Versuch eingesetzten
       Konzentrationen dieser Mittel vergleichbar mit den höchsten Kontaminationen
       in Gewässern. Im Trinkwasser lägen die durchschnittlichen Werte zwar
       normalerweise um das Zehn- bis Hundertfache niedriger, allerdings seien die
       Abbauprodukte der Medikamente in diesen Werten nicht erfasst. Diese
       entstehen durch chemische Reaktionen der Mittel mit der Umwelt.
       
       Es sei noch zu testen, ob auch solche Abbauprodukte sowie andere
       Psychopharmaka Autismus auslösen können. Auch der Effekt niedrigerer
       Dosierungen müsse noch untersucht werden. Die Wissenschaftler schlagen als
       nächsten Schritt Versuche mit Mäusen vor.
       
       Für ihre Studie hatten die Forscher junge Fettkopf-Elritzen als
       Testorganismus gewählt. Diese Fischart wird häufig als Modelltier
       herangezogen, weil viele ihrer Gene für Autismus und andere neurologische
       Störungen denen entsprechend vorbelasteter Menschen gleichen.
       
       ## Neurologische Erkrankungen
       
       Die Fische wurden 18 Tage lang in Wasserbecken gehalten, deren Wasser mit
       zwei Mitteln gegen Depressionen – Fluoxetin und Venlafaxin – und dem
       Antiepileptikum Carbamazepin versetzt war. Die Dosierungen lagen dabei
       zwischen 10 und 100 Mikrogramm pro Liter.
       
       Anschließend analysierten die Forscher gezielt die Aktivität bestimmter
       Klassen von Genen im Gehirn der Tiere. Diese lassen sich zehn
       neurologischen Erkrankungen zuordnen, darunter neben Autismus auch
       Parkinson, Schizophrenie, Depression und ADHS.
       
       Durch die Psychopharmaka sei nur eine mit dem Autismus verknüpfte Genklasse
       signifikant aktiviert worden, sagen die Wissenschaftler. Die betroffenen
       Gene seien unter anderem für die Bildung neuer Synapsen zuständig, die
       Kontaktstellen zwischen den Gehirnzellen. Eine leichte, aber weitaus
       schwächere Veränderung fanden die Forscher aber auch bei der Genklasse für
       Parkinson.
       
       8 Jun 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.plosone.org/article/info
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Depression
       
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