# taz.de -- Rückstände im Wasser: Fische auf Drogen
       
       > Die Rückstände aus Medikamenten gelangen durch das Abwasser fast
       > ungefiltert in die Natur - mit dramatischen Folgen für viele Fischarten.
       > Technisch wäre es längst möglich, die Klärwerke zu verbessern, aber den
       > Berliner Wasserbetrieben ist das zu teuer
       
 (IMG) Bild: Das passiert bei einer Überdosis...
       
       Viele Fische in den Gewässern rund um Berlin erhalten Medikamente
       verabreicht. Die Folge: Sie produzieren laut Umweltexperten weniger
       Spermien, können langsamer vor ihren Feinden fliehen, und ihre Leber ist
       geschädigt. Die Behandlung ist nicht beabsichtigt: Menschen, die
       Schmerzmittel schlucken, Antibiotika oder die Pille, nehmen nur etwa 10
       Prozent der Wirkstoffe auf. Der Rest gelangt über Urin und Toilette ins
       Abwasser. Die Klärwerke wiederum filtern nur einen kleinen Teil der Stoffe
       heraus - das meiste gelangt in Flüsse und Seen.
       
       Das Land Berlin will nun 90 Millionen Euro investieren, um das Klärwerk
       Ruhleben zu modernisieren; auch die anderen fünf Werke sollen in den
       nächsten zehn Jahren folgen. Doch das Ausfiltern der Medikamente steht
       dabei nicht an erster Stelle: Auch in Zukunft werden sie die Natur stärker
       belasten als notwendig.
       
       Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) befürchtet schlimme Folgen für
       die Flusstiere. "Untersuchungen haben gezeigt, dass sich etwa bei
       Regenbogenforellen schon nach vier Wochen in einem Wasser mit leichten
       Rückständen von Schmerzmitteln die Nieren und Kiemen schwer geschädigt
       sind", sagt Sebastian Schönauer, Sprecher des Arbeitskreises Wasser des
       BUND. "Besonders gefährlich sind auch Mischungen verschiedener
       Arzneimittelspuren: Wo Antidepressiva und Cholesterinsenker sind, sterben
       etwa Wasserflöhe früher. In einer anderen Mischung sind die Nachkommen
       häufiger weiblich als männlich." Die meisten Untersuchungen würden bisher
       lediglich kurze Zeiträume einschließen. Schönauer: "Die langfristigen
       Folgen dieser Medikamenten-Mixe sind überhaupt noch nicht abzusehen."
       
       Laut dem Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse wurden 2008 in
       Deutschland pro Person knapp 180 Tagesrationen Medizin verschrieben.
       "Menschen nehmen massenhaft Lifestyle-Drogen zu sich", sagt Werner Kloas
       vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Er erforscht
       die Auswirkungen der Medikamentenreste. "An Betablocker kommt jeder leicht
       heran - und Fische haben die gleichen Rezeptoren im Organismus wie
       Menschen." Wirkt das Beruhigungsmittel also beim Fisch genauso? Durch die
       Medikamentenreste "dürfte auch das natürliche Fluchtverhalten der Fische
       verändert sein, sodass sie leichter zur Beute werden", sagt Kloas.
       
       Die Klärwerke der Berliner Wasserbetriebe reinigen das Wasser, bauen also
       Bakterien und andere gefährliche Stoffe ab. Heraus kommt klar aussehendes
       Wasser. Dennoch sind viele pharmazeutischen Rückstände darin. Denn
       Medikamente lösen sich besonders gut in Wasser auf; sie werden oft nicht
       von den Filtern erfasst.
       
       Für neue Medikamente sind zwar sogenannte Biotests vorgeschrieben, sie
       zielen jedoch nur auf die akute Toxizität ab. Das heißt, stirbt ein
       Lebewesen nicht in einem bestimmten Zeitraum am getesteten Präparat, wird
       dies nach einigen weiteren Tests zugelassen. Ob es nach längerer Zeit zu
       einer chronischen Erkrankung kommt, wird nicht berücksichtigt. Forscher
       Kloas fordert, dass es zur Untersuchung der biologischen Wirkungen mehr
       Forschungsmittel vom Bund geben sollte.
       
       Auch im Trinkwasser finden sich die Medikamentenreste, wenn auch meist nur
       in minimaler Dosierung. Doch was geschieht, wenn man sie über Jahre zu sich
       nimmt? Gibt es Wechselwirkungen im Körper zwischen den einzelnen
       Wirkstoffen? Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum aus dem Jahr 2002
       lieferte Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Hormonen im Wasser und
       Hodenkrebs. Bewiesen ist nichts, doch Zweifel bleiben.
       
       Bodo Weigert vom Kompetenzzentrum Wasser Berlin, das von den Berliner
       Wasserbetrieben gegründet wurde, wiegelt dagegen ab: "Ich sehe keinen Grund
       zur Beunruhigung."
       
       Dementsprechend ist die Beseitigung von Medikamentenresten auch nicht der
       Schwerpunkt der neuen Reinigungsstufe, die die Wasserbetriebe am Klärwerk
       Ruhleben planen. Hauptsächlich geht es um Nitrate, ein gefährliches
       Abbauprodukt des Düngers, den viele Landwirte auf ihre Felder kippen. Auch
       Phosphate, die etwa aus Waschmitteln kommen und zur Algenplage in den
       Flüssen führen, sollen besser aus dem Abwasser geholt werden. "Wir werden
       mit der vierten Stufe den bereits hohen Abscheidungsgrad von 95 Prozent für
       Phosphat und Nitrat weiter erhöhen", sagt Stephan Natz, Sprecher der
       Berliner Wasserbetriebe.
       
       Seit fast zehn Jahren verhandelt das Land mit den Wasserbetrieben - auch
       darüber, wer die Kosten des Projektes tragen soll. Im Jahr 1999 hatte der
       Senat das Unternehmen teilprivatisiert, 49 Prozent der Anteile halten
       seither RWE und Veolia. Das Klärwerk in Ruhleben soll innerhalb der
       nächsten drei bis vier Jahre für rund 90 Millionen Euro nachgerüstet
       werden. Durch die Umrüstung aller Anlagen könnte das Abwasser um 4 bis 20
       Cent pro Kubikmeter teurer werden, schätzt Natz. Derzeit kostet ein
       Kubikmeter 2,54 Euro.
       
       Mit einer komplexeren Technik wäre es möglich, deutlich mehr
       Medikamentenrückstände als geplant aus dem Wasser zu holen. Man könnte etwa
       das Wasser erst durch einen sehr feinen Mikrofilter drücken oder mit
       UV-Licht bestrahlen und dann Ozongase ins Wasser blasen.
       
       Andere Verfahren möglich 
       
       Die genaue Höhe der Gesamtkosten hänge letztlich "vom gewählten Verfahren
       oder einer eventuellen Verfahrenskombination und von den jeweiligen
       Bedingungen vor Ort ab", sagt Birgit Fritz-Taute vom Referat Wasserrecht
       der Senatsverwaltung für Umwelt. Auch einen exakten Zeitplan für die
       Umrüstung aller Klärwerke gibt es noch nicht.
       
       Dabei steht schon lange fest, dass etwas getan werden muss: "Die fachliche
       Abstimmung und Feststellung der Notwendigkeit war in den späten
       90er-Jahren", meint Birgit Fritz-Taute. Sie stellt klar: "Unser Interesse
       ist die Reduzierung der Nährstoffbelastung, der Bakterien und natürlich
       auch der Spurenstoffe von Medikamenten."
       
       Doch die Verhandlungen mit den Wasserbetrieben ziehen sich hin. Denn die
       haben vor allem die Nitrate und Bakterien im Blick, weniger die
       Medikamente. "Spurenstoffe von Medikamenten werden ebenfalls besser
       abgetrennt, sind jedoch nicht oberste Priorität", sagt Wassersprecher Natz.
       Nach Ansicht des Umweltbiologen Kloas vergeben die Wasserbetriebe so gerade
       die große Chance, der Flut der pharmazeutischen Stoffe Herr zu werden. Er
       fordert: "Hier darf man keine Kompromisse machen - aber danach sieht es
       gerade aus."
       
       6 Apr 2010
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Paul Bergmann
       
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