# taz.de -- Nach dem Sieg der Ukraine: Der Unsterbliche
       
       > Andrij Schewtschenko schafft das Unmögliche: Totgesagt, schießt er die
       > Ukraine zum Sieg. „Schewa, Schewa“, schrien die Fans – und tanzten
       > glücklich durch die Innenstadt.
       
 (IMG) Bild: So sehen Sieger aus: Andrij Schewtschenko.
       
       KIEW taz | 20, 25, 35. Am Ende dieses beinahe märchenhaften Abends wusste
       Andrij Schewtschenko wahrscheinlich wirklich nicht mehr, wie alt er ist.
       Unmittelbar nach dem Schlusspfiff sagte er, er fühle sich wie 20, nach dem
       Duschen fühlte er sich immerhin noch zehn Jahre jünger, als er wirklich
       ist. Er war aufgewühlt. Denn eines schien gewiss an diesem Abend: Andrij
       Schewtschenko ist unsterblich geworden. Als belächelter, alter Herr war er
       in das Spiel gegen Schweden gegangen. Gute 90 Spielminuten später hat die
       Ukraine einen Kaiser. „Zar“ wird er in den ukrainischen Medien genannt nach
       seien zwei Kopfballtoren gegen Schweden.
       
       „Schewa, Schewa!“ Die ukrainischen Zuschauer konnten sich gar nicht mehr
       beruhigen. Noch lange nach dem Spiel tanzten glücks- und alkoholtrunkene
       Männer und Frauen durch Kiews Innenstadt. Am Ende eines heißen
       Frühsommertages drückten sich schweißnasse Körper aneinander und es schien
       als wollten sie sich nie mehr trennen. „Schewa, Schewa!“.
       
       In der U-Bahn, die man normalerweise meiden sollte, wenn man glücklich
       dreinblickende Menschen sehen will, wurde geklatscht und geschunkelt. Die
       zahlreichen Milizionäre schafften es zwar, keine Miene zu verziehen, das
       Alkoholverbot, das in den öffentlichen Verkehrsmitteln herrscht, setzten
       sie indes nicht mehr durch.
       
       „Schewa, Schewa!“ Der berühmteste aktive Fußballer der Ukraine hat
       Historisches vollbracht. Das Spiel gegen Schweden war das erste einer
       ukrainischen Nationalmannschaft bei einer EM-Endrunde. Dass man es so
       schnell nicht vergessen wird, dafür hat Schewtschenko gesorgt. 2:1 gegen
       Schweden.
       
       „Schewa, Schewa!“ Nur einer will es gewusst haben. Oleg Blochin. Natürlich.
       Ihm sei das alles klar gewesen. Als Schewtschenko sagte, der Abend sei wie
       ein Traum gewesen und einen schöneren Traum könne er sich nicht vorstellen,
       das grinste der bärbeißige Nationaltrainer. Ungefragt sagte er, dass er
       diesen Traum schon gehabt habe. In der Nacht vor dem Spiel. Und darin sei
       es genau so gewesen, wie es dann gekommen ist.
       
       Schewtschenko habe zwei mal getroffen. Aber das war wohl nicht der Grund,
       warum sich der Mann, der seinen müden Körper seit eineinhalb Jahren nicht
       mehr allzu oft und auch nicht mehr allzu erfolgreich über die Fußballplätze
       der Ukraine geschleppt hatte, in der Startaufstellung fand. Das Projekt
       Europameisterschaft war für den ukrainischen Fußball von Anfang an auch ein
       Projekt Schewtschenko.
       
       Darüber klärte der frische gekrönte Zar nach dem Spiel auf. Dass er in den
       16 Ligaspielen, die er in der abgelaufenen Saison für Dynamo Kiew
       bestritten hat nur sechs mal getroffen hat, sollte nicht überbewertet
       werden. Zu Jahresbeginn war er am Ende. Im Januar habe er sich nicht
       vorstellen können, dass er die EM als Spieler erleben werde. Seine
       Rückenbeschwerden, derentwegen er sogar auf so manche Auswärtsreise auf
       unbequemen Flugzeugsesseln verzichtet hat, wollten nicht weichen. Ein Plan
       wurde aufgestellt.
       
       Andrij Schewtschenko wurde einem Team von Ärzten und Physiotherapeuten
       übergeben. Das hat seine Aufgabe erfüllt. Schewtschenko, dessen Berufung in
       den EM-Kader Ende Mai auch in der Ukraine nicht nur Jubel ausgelöst hatte,
       ist fit. Aus dem kranken Mann im fußballerischen Vorruhestand, dem man in
       der Ukraine vorgeworfen hat, zum Golf spielenden Schnösel verkommen zu
       sein, sich mehr um seine Edelboutiquen gekümmert zu haben als um das Wohl
       des ukrainischen Fußballs, ist wieder Andrij, der Große geworden, Zar
       Andrij.
       
       Das Land ist wieder stolz auf den Stürmer, den sie schon einmal so sehr
       bewundert haben, der mit dem AC Mailand die italienische Meisterschaft und
       die Champions League gewonnen hat, der 2004 Europas Fußballer des Jahres
       war. Er war ein leuchtender Stern am europäischen Fußballhimmel, dessen
       Glanz zu verblassen begann, als die ukrainische Nationalmannschaft 2006 mit
       dem Viertelfinaleinzug bei der Weltmeisterschaft, ihren bislang größten
       Erfolg gefeiert hat.
       
       Schewtschenko wirkte damals überfordert von der ihm zugedachten Heldenrolle
       und spielte ein mäßiges Turnier. Als er nach misslungenen Jahren beim FC
       Chelsea, nach einer gescheiterten zweiten Gastspiel nach Mailand, nach Kiew
       zu seinem Heimatverein zurückgekehrt war, ist er längst nicht mehr der
       große Heros gewesen, zu dem das ganze Land jahrelang aufgeblickt hat.
       
       Am Montagabend, im Nationalen Olympischen Sportkomplex von Kiew, ist er
       noch einmal in diese Rolle geschlüpft. „Schewa, Schewa!“
       
       12 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Rüttenauer
       
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