# taz.de -- Radikale Linke in Griechenland: Eine Partei mit zwölf Flügeln
       
       > Widerstreitende Konzepte, viele verschiedene Strömungen, aber beste
       > Aussichten: Die linke Partei Syriza hofft bei der Wahl in Griechenland
       > auf einen Sieg.
       
 (IMG) Bild: Hoffnungsträger vieler verarmter Griechen: Syriza-Chef Alexis Tsipras.
       
       ATHEN taz | Die roten Flaggen sind für die Kameras gut positioniert, zum
       Arbeitskampf aufrufende Redner bekommen viel Applaus vom Publikum. Und
       trotzdem ist es keine gewöhnliche Wahlkundgebung, zu der die aufstrebende
       griechische Linkspartei an diesem lauwarmen Juniabend im Stadtviertel
       Petralona aufgerufen hat.
       
       Eine „Volksversammlung“ soll es werden, auf der sich die Menschen über
       Weltbewegendes oder Lokalpolitisches austauschen, fernab der verhassten
       Spekulantenmärkte. Basisdemokratie soll im kleinen Nachbarschaftskreis
       erlebbar werden, auch dafür steht das griechische „Bündnis der radikalen
       Linken“, abgekürzt Syriza.
       
       Nur der 38-jährige Parteichef Alexis Tsipras, der neue Politstar des
       Landes, steht nicht am Pult, er ist in Nordgriechenland unterwegs in Sachen
       Wahlkampf. Seine Botschaft schwingt mit, deutlicher als je zuvor: „Das Volk
       hat entschieden: Die Sparprogramme, die unser Land zerstört haben, sind
       null und nichtig. Der Sieg ist zum Greifen nah am 17. Juni, wir dürfen
       jetzt nicht aufgeben.“
       
       Kann es denn wirklich so einfach sein, den Sparkurs, der Griechenland in
       die schlimmste Rezession seiner Geschichte katapultiert hat, mit einer
       neuen Regierung über Bord zu werfen, als sei nichts geschehen? Die
       Geldgeber des Landes warnen unisono davor und meinen, wenn die Griechen
       sich nicht an die Absprachen halten, dann müssten sie wohl auch den Euro
       abgeben.
       
       ## Den Sparkurs neu verhandeln
       
       Davon wollen Syriza-Politiker nichts wissen. „Kein europäisches Land hat
       doch ein Interesse daran, Griechenland aus der Eurozone zu werfen“ meint
       Nikos Chountis, Europaabgeordneter der Linken und ehemaliger Sekretär im
       Parteivorstand. „Ganz im Gegenteil: Es ist doch gerade der heutige
       Sparkurs, der die griechische Wirtschaft mit mathematischer Sicherheit in
       den Abgrund und aus dem Euro führt, wenn wir nicht rechtzeitig
       gegensteuern.“
       
       Griechenland müsse den Sparkurs neu verhandeln, aber doch im Euro bleiben,
       glauben die Syriza-Politiker. Jedenfalls die meisten von ihnen. Während
       etwa der Ökonom Jannis Dragasakis, der in London studiert hat und als neuer
       Finanzminister gehandelt wird, vehement den Verbleib Griechenlands im
       Euroclub fordert, sympathisiert der dem linken Parteiflügel angehörende
       Wirtschaftspolitiker Panagiotis Lafazanis eher mit der Drachme.
       
       Und der 90-jährige Manolis Glezos, eine Ikone des griechischen
       Antifaschismus, findet sogar, man dürfe sich nicht in die Abhängigkeit von
       Geld begeben und von daher sei es letztendlich gar nicht so wichtig, mit
       welcher Währung in Griechenland bezahlt wird. Es gehört nun mal zu den
       Eigentümlichkeiten des Chamäleons namens Syriza, dass sich die politische
       Willensbildung in der Regel nicht von oben nach unten vollzieht.
       
       Mehrheiten und Interessen innerhalb des Bündnisses werden immer wieder neu
       austariert, wobei mindestens zwölf verschiedene Strömungen den Ton angeben:
       Eurokommunisten, Trotzkisten, Reformlinke, Ökosozialisten,
       außerparlamentarische Aktivisten der „Rosa-Gruppe“, die „Aktiven Bürger“
       des einstigen Widerstandskämpfers Glezos, die marxistisch orientierte
       „Kommunistische Organisation“, deren sich auch viele Maoisten verpflichtet
       fühlen, sozialdemokratische Abweichler – sie alle wollen und müssen
       mitentscheiden. „Komponenten“ heißen die Gruppen im Parteijargon und es ist
       nicht immer einfach, diese in eine gemeinsame Linie integrieren zu lassen.
       
       ## Der Ursprung ist eine linke, basisdemokratische Splittergruppe
       
       Um zu verstehen, wie viel Wert die „Komponenten“ auf Eigenständigkeit
       legen, muss man sich die Geschichte der Partei vor Augen führen. Syriza
       geht auf eine linke Splittergruppe mit basisdemokratischem Anspruch zurück,
       die in den 60er-Jahren von Abweichlern der moskautreuen Kommunisten
       gegründet wurde und einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu
       verwirklichen träumte.
       
       In Anlehnung an die italienische Linke gründeten die Gegner des Stalinismus
       zunächst eine eurokommunistische Partei, die erst in den 90er-Jahren in die
       Gründung eines Bündnisses mit Regierungsambitionen mündete. Unter dem Namen
       „Allianz der Linken und des Fortschritts“ gewann das Bündnis an Profil,
       musste aber immer wieder um den Wiedereinzug ins Parlament bangen.
       
       Erst nachdem sich das Syriza-Bündnis für Graswurzelpolitiker und
       außenparlamentarische Aktivisten öffnete, winken Parteichef Tsipras
       zweistellige Wahlergebnisse. „Ich sehe da wirklich kein Problem, bei
       anderen Parteien gibt es doch genauso viele unterschiedliche Strömungen und
       unterschiedliche Ansichten“, erklärt der Linkspolitiker Nikos Chountis.
       
       Derartige „unterschiedliche Ansichten“ machen jedoch vielen Griechen zu
       schaffen und könnten der Linkspartei am 17. Juni den Wahlsieg kosten. Kurz
       nach der Mai-Wahl erklärte etwa der Syriza-Arbeitsrechtler Dimitris
       Stratoulis in einem Radiointerview, eine Linksregierung müsse sich die
       Bankeinlagen der Bürger „zunutze machen“, um nachhaltiges
       Wirtschaftswachstum zu fördern. In der darauffolgenden Woche hoben
       Kleinsparer insgesamt über 700 Millionen Euro von den griechischen Banken
       ab.
       
       14 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jannis Papadimitriou
       
       ## TAGS
       
 (DIR) EU-Parlament
       
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