# taz.de -- Thomas Müller darf nicht spielen: Bleischwer am Grund
       
       > Dem Torschützenkönig der WM 2010 ist die Lockerheit abhandengekommen.
       > Zudem ist er ein Opfer von Löws anfangs so defensiv ausgerichtetem
       > System.
       
 (IMG) Bild: Wirbt um Verständnis: Thomas Müller (M.)
       
       DANZIG taz | Thomas Müller ist auf der Suche nach der Vergangenheit, seiner
       Vergangenheit. Der Fahndungszeitraum lässt sich gut eingrenzen. Es geht
       ziemlich genau um den Juni 2010, die Weltmeisterschaft in Südafrika. Thomas
       Müller spielt das Turnier seines Lebens am Kap der Guten Hoffnung. Er ist
       gerade mal 20 Jahre alt und schießt fünf Tore.
       
       Müller, der Bayern-Profi mit dem frechen Mundwerk, wird Torschützenkönig
       der WM. Alles gerät ihm leicht. „Es war Fügung“, sagt Müller heute, „damals
       habe ich einen Ruf aufgebaut.“ Der Müller, der kann Tore schießen, hieß es
       fortan. „Dabei bin ich eher der Vorbereiter.“ Ihm sei klar, dass einiges
       von ihm erwartet wird, gerade bei einem großen Turnier, aber die Zeiten
       haben sich geändert.
       
       Irgendwo auf dem Weg von der WM zur Europameisterschaft ist Thomas Müller
       die Lockerheit abhandengekommen. Er wirkt zögerlicher und zaudernder als
       früher, die Tore fallen nicht mehr, und selbst mit den Assists tut er sich
       schwer. Die Kritik an seiner Person hat ihn dünnhäutiger werden lassen.
       
       Den Auftritt bei einer der DFB-Pressekonferenzen, die vorm Spiel gegen
       Griechenland stattfand, nutzte er zu einer Medienschelte. Man suche zu
       viele Fehler, sähe viele Dinge zu negativ – vor allem seine Leistung,
       wollte er wohl sagen.
       
       ## Reus rein, Müller raus
       
       „Im Moment kommt es einem so vor, als müssten wir uns, wenn wir
       Europameister werden, dafür schämen.“ Das Viertelfinalmatch gegen die
       Griechen hat die Perspektive freilich etwas verschoben: Das Team hat
       gezeigt, dass es auch schön spielen kann. Allerdings trug Müller dazu nicht
       mehr viel bei, denn er flog in diesem Spiel raus aus der ersten Elf und
       durfte nur 23 Minuten Minuten als Auswechselspieler ran. Das dürfte seine
       Gereiztheit noch verstärkt haben.
       
       Auf der Position von Müller durfte Marco Reus spielen, und der tat es so
       überzeugend, dass keiner mehr an Müller dachte. Alle lobten das tolle
       Offensivspiel des Neu-Dortmunders und stellten die defensive Ausrichtung
       Müllers dagegen. Dabei hat sich Müller in den Vorrundenspielen nur
       selbstlos in den Dienst der Mannschaft gestellt.
       
       Er ist auch ein Opfer des Spielsystems, das Bundestrainer Jogi Löw in der
       Gruppenphase wählte. Müller musste viel rennen, Lücken stopfen und
       gegnerische Angreifer stoppen. Glänzen konnte er nicht, dazu fehlt ihm auch
       die Form; er wirkt ein bisschen überspielt. „Ich verfolge die Diskussionen
       über meine Rolle, aber man muss grundsätzlich sehen, welche taktischen
       Vorgaben in einem Spiel zu erfüllen sind“, hat er in einem Interview
       gesagt. „Ich will nicht sagen, dass es ein Riesenwunder war, dass ich als
       rechter Mittelfeldspieler in Südafrika fünf Tore schoss, aber es war eine
       Verkettung von sehr günstigen Umständen.“
       
       ## "Jogi van Gaal"
       
       Er wirbt um Verständnis für seine neue Rolle des Arbeiters, der
       leichtathletische Großtaten vollbringt, aber kaum noch für Aha-Erlebnisse
       auf der Tribüne sorgt. Der große Auftritt könne bei einem EM-Turnier auch
       nicht so mir nichts, dir nichts gelingen, denn die Niveauunterschiede seien
       recht gering. „Engmaschig“ nennt Müller das. „Natürlich macht es mehr Spaß,
       wenn du 5:0 gewinnst und davon vier Tore super herausgespielte Traumtore
       sind. Aber das ist auf diesem Niveau nicht zu realisieren.“
       
       Während der WM 2010 witzelte Thomas Müller über „Jogi van Gaal“ und freute
       sich auf einen Gegner, der bei ihm „Mexitinien“ hieß. Er strahlte in jedes
       Objektiv, und die bunten Blätter zeigten einen glücklich verheirateten
       Ehemann. Damals war es nicht leicht, auf dem Boden der Tatsachen zu
       bleiben.
       
       Thomas Müller schien in die höchsten fußballerischen Sphären aufsteigen zu
       können. Heute würde es ihm wieder guttun, wenn er ein bisschen schweben
       könnte. Aber die Gegenwart hält ihn bleischwer am Grund.
       
       25 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Markus Völker
       
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