# taz.de -- Debatte Saudi-Arabien: Das Tal der todgeweihten Könige
       
       > Das Erstarken der Muslimbrüder in Ägypten gefällt den saudischen
       > Herrschern überhaupt nicht. Ohne demokratische Reformen ist die Zukunft
       > der Monarchie ungewiss.
       
 (IMG) Bild: Saudische Prinzen tragen den Kronprinzen Najef zu Grabe.
       
       Der Wahlsieg des Kandidaten der muslimischen Bruderschaft in Ägypten,
       Mohammed Mursi, hat nicht nur dramatische Konsequenzen für Ägypten. Er hat
       Folgen für die gesamte arabische Welt, nicht zuletzt für Saudi-Arabien.
       
       Der Chefkommentator der saudischen Tageszeitung Asharq Alawsat warnte daher
       auch umgehend vor den gefährlichen regionalen Folgen dieses Ereignisses und
       verlangt, „den Sicherheitsgurt anzuschnallen“.
       
       Die saudische Monarchie, die sich ironischerweise über den Islam
       legitimiert, fürchtet, dass der Erfolg der Muslimbrüder im größten
       arabischen Land auch auf die eigenen Untertanen ausstrahlen wird. Diesen
       konnten sie bislang elementarste Bürgerrechte vorenthalten.
       
       Die politische Entwicklungen am Nil kommen dem saudischen König Abdullah
       sehr ungelegen. Denn die saudische Monarchie steht ohnehin vor großen
       Herausforderungen.
       
       Innerhalb kurzer Zeit musste Abdullah zwei seiner vorbestimmten Nachfolger
       und Halbbrüder, die Prinzen Sultan und Najef, zu Grabe tragen. Nun wurde
       der 76-jährige Verteidigungsminister zum Kronprinzen ernannt, aber auch
       dieser Schritt löst das Problem der chronischen Vergreisung nicht. Hinzu
       kommen die iranische Profilierung und die ersten kulturellen und sozialen
       Unruhen seit achtzig Jahren im Land selbst.
       
       Normalerweise erfordert eine solche Gemengelage, dass die Herrscherdynastie
       sich hinter einer verjüngten und erfahrenen Führung vereinigt. Das ist in
       absehbarer Zeit in Saudi-Arabien aber nicht möglich.
       
       So hat es der 87 Jahre alte, schwerkranke saudische König Abdullah
       versäumt, den Machtwechsel innerhalb des Clans zu organisieren. Zwar
       installierte er 2006 einen familiären Huldigungsrat, der erst den
       Kronprinzen und später den König aus den Reihen seiner Sippe wählen sollte.
       Bei der Ernennung des inzwischen verstorbenen Kronprinzen Najef und bei der
       Ernennung des jetzigen Kronprinzen Salman ließ er diesen dann jedoch außer
       Acht.
       
       Damit wird ein Machtkampf innerhalb des saudischen Hauses, insbesondere
       zwischen den Vertretern der zweiten Generation, nicht mehr zu verhindern
       sein.
       
       Prinz Talal, Halbbruder des Königs Abdullah, kritisierte schon heftig die
       Ausschaltung des Huldigungsrats. Er verglich in einem Pressegespräch die
       jetzige Lage Saudi-Arabiens mit den Zuständen in der Sowjetunion kurz vor
       ihrem Untergang.
       
       Und er verlangte eine Reformierung des saudischen Königreiches und seine
       Umwandlung in eine konstitutionelle Monarchie.
       
       ## Saudische Führung ist verwirrt
       
       Dass die politische Unzufriedenheit wichtige Repräsentanten des saudischen
       Hauses erreicht hat, zeigt, dass die von König Abdullahs durchgeführten
       Reformen nur ein Tröpfchen auf den heißen Stein waren. Die Forderungen, die
       Korruption zu bekämpfen und demokratische Rechte zu gewähren, werden daher
       immer lauter.
       
       Besonders unter der Jugend und den Frauen bildet sich eine breite
       Opposition gegen die politischen und sozialen Missstände, vor allem gegen
       die allgegenwärtige Bevormundung durch die Sittenpolizei.
       
       Die Protestbewegung erreichte im vorigen März etwa die Universität Abha, wo
       Studentinnen die schlechten hygienischen Bedingungen anprangerten und den
       Rücktritt des Universitätspräsidenten forderten.
       
       Die Universitätsleitung ging hart gegen die Frauen vor. Die politische
       Mobilisierung verstärkt sich trotzdem allmählich und findet nicht mehr nur
       in den schiitischen Ostprovinzen statt. Dank der Verbreitung von Internet,
       Facebook und Twitter ist es den nichtorganisierten Oppositionellen
       gelungen, der staatlichen Kontrolle der Presse und des Informationswesens
       zu entgehen.
       
       ## Machtkämpfe im Herrscherhaus
       
       Tagtäglich werden die Informationen über die illegal angehäuften, riesigen
       Reichtümer der saudischen Herrscherfamilie, ihre inneren Zankereien und
       Machtkämpfe veröffentlicht.
       
       Der in Saudi-Arabien berühmte Twitterer Mujtahidd attackiert seit Monaten
       pausenlos die saudische Dynastie. Seine Seite, die regelmäßig glaubhafte
       Informationen über das Königshaus verbreitet, erreicht inzwischen über
       400.000 Leser.
       
       Gleichzeitig berichten Vertreter der freien Presse und der
       Zivilgesellschaft über die hohe Erwerbslosigkeit und die steigende Zahl der
       Selbstmorde von jungen Menschen. Das im Westen verbreitete Bild von
       Saudi-Arabien als gegenüber politischer Veränderung immunem Land stimmt
       nicht mehr.
       
       ## Und der Iran profitiert
       
       Der arabischen Revolten werden nicht vor den Toren der historischen Wiege
       des Islam stehen bleiben. Die von der saudischen Regierung ausgegebenen
       Milliarden zur Abwehr des revolutionären Virus haben nichts daran geändert.
       Die saudische Monarchie, die von vornherein den arabischen Aufständen
       feindlich gegenüberstand, ist sowohl dem Druck des schiitischen iranischen
       Islam als auch dem Aufstieg sunnitischer Islamisten ausgesetzt.
       
       Durch den Sturz von Mubarak verloren die Saudis ihren wichtigsten
       Verbündeten in der Region. Davon hat das Mullah-Regime in Teheran
       profitiert und seinen Einfluss in der arabischen Welt von Irak bis Libanon
       verstärkt.
       
       Die saudische Monarchie, die sich als Verfechterin des sunnitischen Islam
       versteht, ist infolge der Demokratiebewegungen in der Region isolierter
       denn je. Sie ist nicht mehr im Stande, die sunnitischen Bewegungen zu
       beeinflussen, noch kann sie ihre politische Entwicklung akzeptieren.
       
       ## Existentielle Krise
       
       Auch die syrische Krise bereitet der saudischen Regierung große
       Schwierigkeiten. Ihre Parteinahme für den syrischen Aufstand gegen die
       Diktatur, während sie andererseits maßgeblich an der Niederwerfung des
       Aufstandes in Bahrein beteiligt war, erweckt den Eindruck, als ob die
       Saudis gleichzeitig auf den Hochzeiten der Revolte und der arabischen
       Tyrannen tanzen wollen.
       
       Die saudische Monarchie befindet sich innenpolitisch in einer
       existentiellen Krise. Dabei ist ihre Unfähigkeit, sich zu verjüngen, die
       Folge und nicht die Ursache ihrer politischen Stagnation.
       
       Der neue Kronprinz Salman wird trotz seines Pragmatismus daran nichts
       ändern. Die Zukunft des saudischen Monarchie bleibt ohne demokratische
       Reformen ungewiss.
       
       27 Jun 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Abdel Mottaleb El Husseini
       
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