# taz.de -- Debatte Eurokrise: Tschüss, Deutschland?
       
       > Bricht der Euro auseinander, dann wird die deutsche Wirtschaft
       > zusammenbrechen. Die Debatten, die Berlin führt, sind deshalb reiner
       > Luxus.
       
 (IMG) Bild: Schriftzug an der Berliner Akademie der Künste Anfang Juli.
       
       In Brüssel versteht niemand, warum gerade Deutschland das Scheitern des
       europäischen Projekts riskiert. Der von Merkel ausgehandelte Kompromiss auf
       dem EU-Gipfel ist eindeutig zu wenig, um die Krise zu bewältigen. Es ist an
       der Zeit, die Debatte zuzuspitzen: Lassen wir Deutschland allein
       untergehen, oder retten wir es mit Europa?
       
       Was wir derzeit in Deutschland erleben, ist eine echte Luxusdebatte. Im
       Schutz von Vollbeschäftigung und Rekordsteuereinnahmen lässt sich scheinbar
       entspannt über den Euro diskutieren. In Kombination mit der einseitigen
       Überzeugung, dass die Griechen ihr Schicksal durch Faulheit selbst
       verschuldet haben, während wir unseren Erfolg durch Tüchtigkeit,
       Lohnverzicht und Schröders Reformen selbst erarbeiten mussten, hat uns
       diese komfortable Lage blind für die Wirklichkeit gemacht. Es wäre die
       verdammte Pflicht der deutschen Politik, zumindest aber der Europapartei
       „Bündnis 90/Die Grünen“, den Menschen in Deutschland die Realität vor Augen
       zu führen und klare Konsequenzen zu fordern.
       
       Die Wirklichkeit ist so erschreckend wie banal. Deutschland kann sich ein
       Auseinanderbrechen des Euro nicht leisten. Die Staaten der EU sind mit
       weitem Abstand vor Asien und Nordamerika der größte Abnehmer deutscher
       Produkte. Die D-Mark, existierte sie noch, wäre seit Jahren brutal
       aufgewertet worden und hätte unsere Exporte abgewürgt.
       
       Ein Zerfall des Euro wird Deutschland sofort eine Billion Euro kosten und
       über Jahrzehnte unabsehbare Summen darüber hinaus. Die Wirtschaftsleistung
       würde sofort um mehr als 10 Prozent einbrechen. Die Griechen haben nicht
       mehr viel zu verlieren, wir schon! Wir profitieren derzeit sogar noch von
       Kapitalzufluss und den historisch niedrigsten Zinsen für den deutschen
       Staat.
       
       ## Die Ursache der Krise ist nicht mehr umstritten
       
       Die deutsche Politik muss endlich so ehrlich sein, den Menschen
       klarzumachen, dass ein Rettungspaket nach dem anderen oder ein Euroaustritt
       nach dem anderen den deutschen Steuerzahler teurer zu stehen kommt als eine
       Kur, die die Ursachen der Krise angeht. Welche diese Ursachen sind, ist
       unter Ökonomen nicht mehr umstritten: Man kann auf Dauer keine gemeinsame
       Währung ohne eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik haben.
       
       Sonst brechen die Ungleichgewichte die Währungsunion in der Weise auf, die
       wir gerade besichtigen können. Weil es objektiv unmöglich ist, in den
       wenigen Monaten, die zur Rettung des Euro noch verbleiben, all das
       nachzuholen, was an politischer Integration fehlt, müssen wir in zwei
       Schritten vorgehen.
       
       Als Sofortmaßnahme müssen der EZB alle erforderlichen Mittel zur
       Bewältigung der akuten Zinskrise an die Hand gegeben und Regeln für eine
       strenge Bankenaufsicht festgelegt werden. Gleichzeitig wird der Prozess zur
       Schaffung einer demokratischen Finanz-, Wirtschafts- und Sozialunion in
       Europa begonnen.
       
       Wir brauchen nicht nur Eurobonds, sondern eine gemeinsame Steuerpolitik,
       Steuerharmonisierung, das Schließen der Steueroasen, eine europäische
       Vermögensabgabe zur Tilgung der Staatsschulden und einen EU-Haushalt, der
       groß genug ist, um die Kohäsion innerhalb der Union zu stärken. Die Union
       muss in die Lage versetzt werden, in Krisensituationen schnell und mit
       Durchschlagskraft zu agieren.
       
       ## Demokratische Kontrolle statt Eurokraten
       
       Dazu aber braucht es etwa das Fünffache des heutigen Werts von 1 Prozent
       des Bruttoinlandprodukts. Dies erfordert ohne Zweifel das Bekenntnis zu
       einer neuen Stufe der europäischen Integration. Ein solches Bekenntnis wird
       es aber nur durch die Verankerung einer wirklichen parlamentarischen
       Demokratie geben.
       
       Die Kompetenzen Europas dürfen nicht mehr bei Eurokraten oder
       unkontrollierbaren Versammlungen der nationalen Regierung liegen.
       Stattdessen müssen wir den europäischen Institutionen mehr Eingriffsrechte
       und den Bürgern wieder demokratische Souveränität verschaffen. Das bedeutet
       Begrenzungen der nationalen Budgethoheit – aber ohne Verlust an
       parlamentarischer Demokratie.
       
       Deswegen darf die EU-Kommission nicht einfach mehr Macht bekommen, sondern
       sie muss gleichzeitig mehr demokratische Legitimation erhalten. Die
       EU-Kommission, zumindest ihr Präsident, muss von den Bürgern über die
       Wahlen des Europäischen Parlaments bestimmt werden. Außerdem muss das
       Europäische Parlament in allen Fragen der Wirtschafts-, Währungs- und
       Steuerpolitik als gleichberechtigter Gesetzgeber mitentscheiden. Eine
       zusätzliche Kammer von nationalen Abgeordneten für den Euro, wie sie
       Joschka Fischer fordert, wäre hingegen eine Gefahr für Integration und
       Demokratie in Europa.
       
       ## Vorteile eines EU-Konvents
       
       Der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs sollte noch vor der
       Sommerpause die notwendigen Schritte zu dieser Strukturreformen einleiten.
       Teile dieses Pakets können ohne Probleme im aktuellen Vertragsrahmen
       umgesetzt werden, andere erfordern Vertragsänderungen. Für diese muss nun
       endlich ein Europäischer Konvent einberufen werden, der unter Einbeziehung
       aller Parlamente und Regierungen sowie einer breiten Zivilgesellschaft den
       grundlegenden Rahmen für das neue Europa schafft.
       
       Diesen hätte das Europäische Parlament schon längst auf den Weg bringen
       können. Wir Grüne haben hier zwar Diskussionen angestoßen, aber bislang
       dabei versagt, den Prozess konsequent voranzubringen. Es ist jetzt an der
       Zeit, dass das Europäische Parlament seiner Verantwortung für die
       Gestaltung eines demokratischen Europa gerecht wird. Es müsste die
       Gestaltung eines Konvents selbst in die Hand nehmen.
       
       Die Debatten über die kurzfristigen Krisenmaßnahmen lenken von diesen tief
       greifenden Strukturfragen Europas ab. Wir brauchen aber jetzt die
       Erkenntnis, dass die Geschichte von Demokratie und Staatlichkeit in Europa
       an einem Wendepunkt steht.
       
       5 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) F. Brantner
 (DIR) J. P. Albrecht
       
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