# taz.de -- Carl Friedrich von Weizsäcker: Kernphysiker und Friedensforscher
       
       > Vom Mitarbeiter am „Uran-Projekt“ zum Friedensforscher und
       > Anti-AKW-Aktivisten. Zum hundertsten Jubiläum des Universalgelehrten Carl
       > Friedrich von Weizsäcker.
       
 (IMG) Bild: Carl Friedrich von Weizsäcker und der Dalai Lama im Mai 2000.
       
       Berlin taz | Als junger Physiker war Carl Friedrich von Weizsäcker von dem
       neuen Gebiet der Atomforschung und der Kernspaltung fasziniert. Er war
       Schüler der Nobelpreisträger Werner Heisenberg und Niels Bohr und arbeitete
       in den dreißiger Jahren am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik mit
       Otto Hahn und Lise Meitner zusammen.
       
       An seine Mitarbeit am „Uran-Projekt“ Heisenbergs während des Zweiten
       Weltkriegs erinnerten die beiden Söhne der großen Physiker, Martin
       Heisenberg und Ernst Ulrich von Weizsäcker, in einem beeindruckenden
       szenischen Gespräch, das sie im Rahmen einer Konferenz der Vereinigung
       Deutscher Wissenschaftler (VDW) am vergangenen Wochenende in Berlin
       vortrugen.
       
       Beleuchtet wurde auch eines der tragischsten Missverständnisse in der
       Geschichte der Wissenschaft. Heisenberg war im September 1941 nach
       Kopenhagen gereist, um Bohr über den Forschungsstand der deutschen
       Atomphysiker zu informieren. Allerdings, wegen der Abhörgefahr durch die
       Gestapo, nur in verklausulierten Worten.
       
       So kam Heisenbergs Botschaft „Wir Deutschen können die Atombombe nicht
       bauen“ bei Bohr als „Wir sind eifrig an der Arbeit“ an, was dieser an seine
       amerikanischen Kollegen mit der Verstärkung meldete, sich mit dem Bombenbau
       in den USA zu beeilen. Eigentlich für Deutschland bestimmt, wurden die
       ersten Atombomben drei Monate nach der deutschen Kapitulation auf Japan
       abgeworfen.
       
       ## Atomphysiker gegen atomare Aufrüstung
       
       Der Schock bei den Physikern saß tief. Als 1957 Verteidigungsminister Franz
       Josef Strauß (CSU) die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Waffen in
       Erwägung zog, initiierte Carl Friedrich von Weizsäcker die „Göttinger
       Erklärung“. In ihr widersetzten sich die 18 führenden deutschen
       Kernphysiker den Bewaffnungsplänen und betonten, dass sie für eine
       Beteiligung an der Kernwaffenforschung nicht zur Verfügung stünden.
       
       Der Protest der Physiker zeigte Wirkung. Kanzler Adenauer tobte, aber die
       Bundeswehr blieb atomwaffenfrei. Im Jahr darauf wurde die „Vereinigung
       Deutscher Wissenschaftler“ (VDW) gegründet, der Weizsäcker viele Jahre
       vorsaß.
       
       Die Reflexion über die ethische Verantwortung des Wissenschaftlers für die
       Folgen seines Tuns gewann in den folgenden Jahren breiteren
       gesellschaftlichen Raum. Eine besondere Rolle spielte dabei das Starnberger
       „Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der
       wissenschaftlich-technischen Welt“, das von 1970 bis 1980 bestand.
       
       ## Lösungen globaler Probleme
       
       Mit einer Vielzahl von interdisziplinären Studien wollte Weizsäcker hier
       seine Sicht zunehmender globaler Probleme und ihre Lösung in Form einer
       „Weltinnenpolitik“ wissenschaftlich untermauern. Themen waren unter anderem
       Untersuchungen zu den Folgen eines Atomkrieges, zur Kriegsvermeidung und
       Welternährung.
       
       Für die Wissenschaftshistorikerin Carola Sachse stellt das Starnberger
       Institut, dessen zweiter führender Kopf der Soziologe Jürgen Habermas war,
       allerdings eine „unzeitgemäße Gründung“ dar. So hatte sich in der
       Max-Planck-Gesellschaft das so genannte Harnack-Prinzip, nach dem einzelne
       Institute um eine herausragende Forscherpersönlichkeit gegründet wurden,
       damals längst überlebt.
       
       Zugleich sollte in Starnberg die „Einheit von Physik und Philosophie“ in
       einer Zeit verfolgt werden, in der sich die Wissenschaft immer mehr
       ausdifferenzierte. Allein das Max-Planck-Institut für Physik war bereits um
       drei weitere Einrichtungen physikalischer Teildisziplinen ergänzt worden.
       
       Das Institut verkörperte, so Sachse, „ein aus der Zeit gefallenes Denken“.
       Nachdem sich herausstellte, dass auch die Binnenkooperation des Instituts
       nicht funktionierte und ein dritter Direktor für den Bereich Ökonomie nicht
       berufen werden konnte, war das Ende absehbar. Die Option eines
       „Think-Tanks“, der die praktische Politik mit wissenschaftlich unterlegten
       Langfrist-Perspektiven füttert, wurde von der zeitgleich gegründeten
       „Stiftung Wissenschaft und Politik“ in Ebenhausen besser erfüllt.
       
       ## Franz Josef Strauß und die Fahrradspeichenfabrik
       
       An eine weitere Berührung Weizsäckers mit dem Atom-Thema auf politische
       Weise erinnert sich Hubert Weiger, heute Vorsitzender des Bundes für Umwelt
       und Naturschutz (BUND). 1988, als der Widerstand gegen die geplante
       Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf seinen Höhepunkt erreichte,
       trat der prominente Physiker auf Einladung der Naturschützer beim
       Erörterungstermin in Neunburg auf. Zuvor hatte Ministerpräsident Strauß
       erklärt, die Atomanlage in der Oberpfalz produziere vor allem Arbeitsplätze
       und sei technisch so „harmlos wie eine Fahrradspeichenfabrik“.
       
       In der brodelnden Stadthalle, abgeschirmt von einem riesigen
       Polizeiaufgebot, „trat Weizsäcker ans Mikrofon und hielt ein fulminantes
       Grundsatzreferat, wonach die WAA im Kern den Einstieg in die
       Plutoniumswirtschaft und den Polizeistaat bedeutet“, beschreibt Weiger die
       Szene. Der Auftritt hatte „ungeheure Folgen“, resümiert Weiger. Durch die
       Autorität seiner Person „war die Axt an die WAA gelegt“ – mit Erfolg.
       Wenige Monate später zog die Energiewirtschaft ihren Bauantrag zurück.
       
       „Carl Friedrich von Weizsäcker war ein Charismatiker“, bestätigt auch die
       Grünen-Politikerin Antje Vollmer. Als sie 1992 in der Uni München eine
       Laudatio auf den 80-jährigen Jubilar halten sollte, begab sie sich zu
       seiner weltabgeschiedenen Griesser Alm in Tirol. Einen ganzen Tag
       unterhielt sich Vollmer mit dem Wissenschaftler.
       
       ## Die „Religiosität der inneren Erfahrung“
       
       „Sein holistisches Ergriffensein, seine Religiosität der inneren Erfahrung,
       die nicht kirchengebunden war, das habe ich an diesem Ort, dieser Eremitage
       in den Bergen, erstmals begriffen“, berichtete die Politikerin auf der
       Berliner VDW-Tagung. Und die Verstrickungen mit der politischen, im
       schlimmsten Fall der militärischen Macht. So wie das Kopenhagener
       Missverständnis, das den Bau der Atombombe bewirkte, die für Deutschland
       bestimmt war. Vollmer: „Das ist auch die Erklärung für den Göttinger Appell
       und alles, was danach kam“.
       
       „Ich wage eine optimistische These“, wurde Weizsäcker auf der VDW-Tagung
       zitiert. „Wenn die Wissenschaft die Gefahren für das Überleben der Natur
       erzeugt, so wird genau auch die Wissenschaft erkennen können, wie diese
       Gefahren vermieden oder überwunden werden können“.
       
       7 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Ronzheimer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wissenschaft
 (DIR) Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
 (DIR) Schwerpunkt Syrien
       
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