# taz.de -- American Football in Polen: Balotelli-Rasen auf den Kompost
       
       > Das „Superfinal“ im American Football ist für die Warschauer eine gute
       > Gelegenheit, ihr neues Nationalstadion zu besuchen. Doch die Begeisterung
       > hält sich in Grenzen.
       
 (IMG) Bild: Kein sportliches Spektakel wie in den USA: Beim sonntäglichen „Superfinal“ des polnischen American Football in Warschau ging es eher amüsant zu.
       
       WARSCHAU taz | Sagen wir, wie es ist: Europa kommt, trotz mannigfacher
       Bemühungen in den letzten 30 Jahren, im American Football über den Stand
       eines Entwicklungslandes einfach nicht hinaus. Auch das traditionell
       Amerika-affine Polen bildet da keine Ausnahme. Und so herrschte am Sonntag,
       als sich die Warsaw Eagles und die Gdynia Seahawks zum Geflügelduell im
       „Superfinal“ des polnischen American Football gegenüber standen, eher eine
       amüsierte als eine elektrisierende Stimmung vor.
       
       Star des Tages war eindeutig der Austragungsort, das neue 55.000 Zuschauer
       fassende Stadion Nardowy. Am 28. Juni noch Nabel der Fußballwelt, als Mario
       Balotelli die Deutschen im EM-Halbfinale ganz blass aussehen ließ, nun Ort
       einer peripheren Veranstaltung des American Football, der die spektakuläre
       Architektur zu etwas Glanz und Aufmerksamkeit verhalf.
       
       Genau dies war das Kalkül des Veranstalters, und mit bemerkenswerten 23.000
       zahlenden Gästen ging die Rechnung rundweg auf. Viele Besucher nutzten die
       moderaten Eintrittspreise (Tickets ab umgerechnet 8 Euro) zum ersten Besuch
       dieses neuen Wahrzeichens der Hauptstadt, was während der EURO 2012 für
       Normalbürger kaum möglich war.
       
       Aber nicht nur das Stadion selbst, auch die es umlaufende, großzügige
       „Promenade“ wurde frequentiert. Die Jugend konnte sich beim Zielwurf mit
       dem Ei-förmigen Football üben oder versuchen, mit dem Baseballschläger
       dieses verflixt kleine runde Ding zu treffen. Auf einer Bühne spielen
       Nachwuchsbands und für das leibliche Wohl sorgte das unvermeidliche
       Barbecue, wobei sich dieses Wort hier einfach nicht durchsetzen will – und
       man hartnäckig von „Piknik“ spricht.
       
       ## Kein Glamourfaktor
       
       Ach ja, und das Superfinal gab es dann auch noch. Kurz vor 17 Uhr erklang
       die polnische Nationalhymne, die – mit Verlaub – bei solchen Gelegenheiten
       einfach nicht den Glamourfaktor der US-amerikanischen hat.
       
       Ähnlich wie das anschließende Spiel, das verglichen mit dem Niveau der
       Nordamerikanischen Football League NFL einen ähnlichen Eindruck vermittelte
       als sähe man heute alte Bilder eines Fußballspiels aus den 70er Jahren mit
       Netzer, Overath und Co. Weniger schnell, weniger kraftvoll, weniger
       aggressiv. Immerhin war es bis ins dritte Viertel hinein spannend, dann
       setzten sich aber die favorisierten Seahawks von der Ostseeküste deutlich
       mit 52:37 durch.
       
       Angeführt von ihrem überragenden Quaterback Kyle McMahon, der auch zum
       wertvollsten Spieler der Saison gekürt wurde, gelangen ihnen im vierten
       Viertel zwei schnelle Touchdowns, die den Hauptstädtern den Mut raubten. In
       Polen ist es also wie überall in Europa: die Leistungsträger sind meist in
       der NFL auf irgendeine Weise gescheiterte US-Boys, deren Leistungsvermögen
       aber allemal reicht, um in Good Old Europe den Ton anzugeben.
       
       Tommy Wiking, schwedischer Präsident der Internationalen Föderation des
       American Football (IFAF) sagte in der anschließenden Pressekonferenz
       pathetisch, dass man angesichts des Rahmens und der Zuschauerzahl von
       „einem historischen Wendepunkt in der Entwicklung dieser Sportart in
       Europa“ sprechen könne. Polen habe ein Beispiel für alle Zauderer gegeben.
       
       ## Reich an rhetorischen Neuanfängen
       
       Doch die Geschichte des mehr oder weniger siechenden Footballs in Europa
       ist reich an rhetorischen Neuanfängen. Letztlich fehlt es an der Breite, an
       Aktiven in Schulen und Vereinen, um dauerhaft attraktive Profiligen
       betreiben zu können. Eine Änderung ist nicht in Sicht.
       
       Veränderungen gibt es nun allerdings im Stadion Narodowy. Der heilige
       Balotelli-Rasen wird „auf den Kompost geworfen“, wie es die Gazeta Wyborcza
       schrieb,. Denn am 1. August gibt Madonna hier ein Konzert, wofür man keine
       grüne Wiese, sondern die darunter liegende Betonfläche bevorzugt.
       
       Zum WM-Qualifikationsspiel Polen-England am 16. Oktober muss dann
       allerdings wieder ein bespielbarer Rasen her – Kostenpunkt ca. 100.000
       Euro. Das Zeitalter der mythischen „heiligen Rasen“ wie einst in Wembley,
       ist allerdings definitiv vorbei: heute heilig, morgen Kompost, übermorgen
       neu.
       
       16 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uli Räther
       
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