# taz.de -- Runder Tisch zur Wissenschaftspolitik: „Unbehagen über aktuelle Antworten“
       
       > Wie bewegt man Forscher dazu, sich vermehrt den Fragen der Zukunft zu
       > stellen? Diese Frage stellt sich die neugegründete Plattform zur
       > Wissenschaftspolitik.
       
 (IMG) Bild: Wenn es doch nur immer so leicht wäre: Das leichteste Material der Welt – Aerographit.
       
       Opposition und Rebellentum hat es in deutschen Wissenschaftsgefilden immer
       gegeben, vom erbitterten Gelehrtenstreit bis zu politischen
       Institutsbesetzungen. Dabei handelt es sich in der Regel um Geschehnisse
       innerhalb des Elfenbeinturms, die von der außerwissenschaftlichen
       Gesellschaft fasziniert, unverstanden oder gar nicht zur Kenntnis genommen
       werden. Jetzt gibt es eine neue wissenschaftliche Protestbewegung, die
       grundsätzlich anders auftritt.
       
       Die Zivilgesellschaftliche Plattform Wissenschaftspolitik, die vor Kurzem
       in Berlin gegründet wurde, will die Forscher-Community dazu bewegen, sich
       stärker als bisher mit Fragen zu beschäftigen, die für die Gesellschaft von
       Bedeutung sind. Sie ist die erste Nichtregierungsorganisation (NGO) für
       eine Wissenschaftswende.
       
       „In der Zivilgesellschaft wächst ein zunehmendes Unbehagen über die
       aktuellen wissenschaftspolitischen Antworten auf die wirtschaftlichen und
       ökologischen Krisen“, erklärt Steffi Ober, die die Plattform in den
       nächsten zwei Jahren koordiniert. Beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu)
       hat Steffi Ober zuletzt – ungewöhnlich für einen Umweltschutzverband – eine
       Abteilung für Forschungspolitik aufgebaut. Von dort gab es kritische
       Stellungnahmen etwa zum Bioökonomie-Programm der Bundesregierung, das die
       Natur in erster Linie als Wirtschaftsfaktor begreift.
       
       Ab August wird die Plattform-Initiative unter dem Dach der Vereinigung
       Deutscher Wissenschaftler (VDW) umgesetzt. Zur Gründungsveranstaltung kamen
       Anfang Juli 50 Vertreter von Umweltverbänden, Kirchen, Gewerkschaften,
       Verbraucherschutz und entwicklungspolitischen Organisationen in der
       Berliner Bundesgeschäftsstelle des Nabu zusammen.
       
       ## Bürger bleiben außen vor
       
       Ihre Kritik ist vielschichtig: Die mangelnde gesellschaftliche
       Problemorientierung der aktuellen Wissenschaftspolitik, die
       Technologie-Fixierung ihrer großen Förderprogramme sowie die fehlenden
       Möglichkeiten zur Partizipation der Zivilgesellschaft an
       wissenschaftspolitischen Entscheidungen stehen auf der Mängelliste ganz
       oben.
       
       „Wir wollen langfristige Kapazitäten in der organisierten Zivilgesellschaft
       schaffen“, erklärt Steffi Ober, um über Strukturen und Inhalte der
       Wissenschaftspolitik „auf Augenhöhe mitdiskutieren zu können“.
       
       Bisher ist am Tisch der Scientific Community kein Stuhl für die Vertreter
       der Gesellschaft reserviert, allenfalls für die Ko-Finanziers aus der
       Wirtschaft. Die „Hightech-Strategie“ der Bundesregierung bündelt etwa die
       wichtigsten Aktionsfelder der Innovationspolitik, von Pharmaforschung bis
       zur Verkehrstechnologie.
       
       Die Kursrichtung gibt die Forschungsunion Wirtschaft-Wissenschaft vor, ein
       Gremium von 27 Experten, davon zwei Drittel von Unternehmen und ein Drittel
       aus Hochschulen und außeruniversitärer Forschung. Die Bürger bleiben auf
       der Entscheidungsebene außen vor. Ihre Rolle erschöpft sich – neben der
       Finanzierung per Steuergroschen – auf spätere passive „Akzeptanz“ der
       Forschungsergebnisse.
       
       ## Kein Monopol für den traditionellen Wissenschaftsbetrieb
       
       „Entsprechend fallen auch die Empfehlungen der Experten aus“, moniert
       Plattform-Sprecherin Ober. In der Hightech-Strategie dominieren neue
       Speichertechnologien und Verkehrsinfrastrukturen. „Aber kein Wort von einer
       Forschung, die sich mit den grundlegenden Strukturen von Mobilität oder gar
       mit der Vermeidung von Verkehr befassen würde.“
       
       In den kommenden Monaten wollen die Teilnehmer der zivilgesellschaftlichen
       Plattform beraten, wie die strategische Ausrichtung der deutschen Forschung
       von allzu dominanter wirtschaftlicher Nutzung zu mehr gesellschaftlicher
       Verantwortung umgesteuert werden kann. Auch andere inhaltliche
       Schwerpunktsetzungen werden diskutiert. Als Beispiele werden Biodiversität,
       Welthunger und Suffizienz genannt – Themen, die sich auch die neue
       innerwissenschaftliche Bewegung der Nachhaltigkeits- und
       Transformationsforschung auf die Fahnen geschrieben hat.
       
       Den Einwand, mit ihrer Einmischung werde die grundgesetzlich garantierte
       Wissenschaftsfreiheit gefährdet, lassen die Plattform-Akteure nicht gelten.
       Die postindustrielle Gesellschaft sei in solch existenzieller Weise auf
       Wissen unterschiedlichster Herkunft angewiesen, dass ein Monopol für den
       traditionellen Wissenschaftsbetrieb nicht mehr statthaft sei.
       
       ## Vielfältiger Pool an Wissen
       
       „Um das Gemeinwohl optimal zu fördern“, argumentiert Steffi Ober, „ist ein
       breiter und vielfältiger Pool an Wissen aller Art wie technisches Wissen,
       sozioökonomisches Wissen, kulturelles Wissen oder Erfahrungswissen
       notwendig.“ Ob es um Nanotechnologie, Präimplantationsdiagnostik oder
       Techniken des Geo-Engineering wie die CO2-Speicherung CCS geht – statt
       sofort mit fertigen Lösungen aufzutreten, sollten wissenschaftliche
       Institutionen zunächst die zentralen Fragen formulieren und sie „mit allen
       wesentlichen Kräften der Gesellschaft diskutieren“.
       
       Auch Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt,
       Energie, ist der Überzeugung, dass die Einbeziehung der Zivilgesellschaft
       mehr Pluralität ins Wissenschaftssystem bringt und damit „einen Weg zu mehr
       Wissenschaftsfreiheit“ darstellt. Vor einigen Wochen präsentierten
       Schneidewind und andere Ökoforscher ihre Ansätze einer „nachhaltigen
       Wissenschaft“ den Bundestagsabgeordneten im Forschungsausschuss.
       
       „Wir trafen dort auf sehr offene Ohren“, resümiert Schneidwind. Die
       Politiker stellten interessierte Fragen nach der Beteiligung der
       Zivilgesellschaft in der Wissenschaft.
       
       „Darauf sollten wir jetzt schnell gute Antworten geben“, riet der
       Wuppertal-Mann auf der Gründungs-Veranstaltung. „Vielleicht gehen die Türen
       für uns schneller auf als wir erwarten.“
       
       26 Jul 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Ronzheimer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bundesregierung
 (DIR) Lebensmittel
 (DIR) Forschungspolitik
       
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