# taz.de -- Kampf der Minderheiten in Libyen: Der Krieg ist nicht vorbei
       
       > Toubou, Tuareg, Berber: Nur wenige Libyer wissen etwas über die
       > Minderheiten in ihrem Land. Sie kämpfen nach dem Sturz von Gaddafi um
       > Einfluss im Staat.
       
 (IMG) Bild: Alwaal, mitten im Nichts soll eine Tuareg-Stadt in der Wüste entstehen.
       
       LIBYEN taz | Die einzige Straße in die Kufra-Oase führt über eine tausend
       Kilometer lange öde Straße von der Küstenstadt Adschdabiya durch das
       riesige Sandmeer der Sahara. Auf dem wie neu aussehenden Asphalt haben
       Panzerketten ihre Abrücke hinterlassen. Vor und nach jeder Siedlung
       markieren Checkpoints die Herrschaftsgebiete der lokalen Milizen hier in
       Libyen. Es ist das neue Libyen, knapp ein Jahr nach dem Sturz des Diktators
       Muammar Gaddafi.
       
       Die Revolutionäre wirken in ihren gebügelten Uniformen professioneller als
       noch vor wenigen Monaten. Die strengen Blicke an den Kontrollen und der
       ausgebrannte Militärschrott der Gaddafi-Armee links und rechts der Straße
       machen schnell klar: Hier ist der Krieg noch nicht vorbei. Der Wüstensturm
       Gibli lässt die Temperatur in Minuten auf Backofenniveau steigen.
       
       Dutzende Bohrtürme internationaler Ölkonzerne stehen wie Pokale in der
       Sahara, die hier bei Jalu flach wie eine Tischtennisplatte ist. Nach zwei
       Tagen und unzähligen Kontrollen erscheint Kufra wie ein Westerndorf im
       Sandsturm. „Wir Toubou in Kufra hatten uns als erste Volksgruppe in
       Südlibyen der Revolution angeschlossen. Wir leben seit Jahrhunderten in der
       Sahara und konnten die Gaddafi-Armee mit einer Handvoll Waffen vom
       Nachschub abschneiden“, sagt Toubou-Aktivist Yunis Essa stolz. „Die
       arabischstämmigen Zuweia ließen sich während der Revolution ihre
       Solidarität mit Gaddafi hingegen teuer bezahlen.“
       
       In dem Konflikt zwischen den Zuweia und den Toubou in Kufra gehe es
       eigentlich um den Grenzschmuggel, meint er. Der Toubou-Aktivist hatte dies
       noch in Tripolis erzählt, er begleitet uns bis nach Kufra.
       
       Trotz ihrer Hilfe für den gestürzten Diktator: Gewinner der Revolution sind
       zweifellos die Milizionäre der Zuweia. Vermummte junge Männer jagen
       zusammen mit der neuen libyschen Armee in Pick-ups durch Kufra. Die
       schlecht ausgerüsteten Toubou sind in ihrem Stadtteil eingekreist. Die
       Revolutionäre der Toubou sind vom Nachschub abgeschnitten. Lebensmittel
       sind knapp, der Strom ist rationiert.
       
       ## Kein Regen, aber dafür Waffen
       
       Im Juni gab es bei einem Granatbeschuss der Toubou-Wohnviertel 180 Tote.
       Regen fällt hier nur alle paar Jahre, im Überfluss strömen aber Waffen,
       Drogen und nun auch wieder Flüchtlinge aus ganz Ostafrika über die nahe
       Grenze zum Tschad. Die Handelsroute von Khartum im Sudan bis nach Tripolis
       und Europa macht Kufra seit Jahrhunderten zu einem strategischen und
       umkämpften Ort.
       
       Seit Beginn der Revolution sicherten Toubou-Revolutionäre die
       Grenzübergänge und organisierten Waffen aus dem Sudan. „Das wurde nun
       unserer Gemeinde zum Verhängnis“, sagt uns der Arzt Abdulrahman Refki vor
       seinem von Einschusslöchern durchsiebten Haus, „man unterstellt uns, wir
       wären keine echten Libyer, da wir keine Araber wie die Mehrheit in Libyen
       sind. Viele Toubou hier haben nicht mal einen Ausweis, obwohl sie für den
       Staat arbeiten.“
       
       In der Stadt sind die Mienen angespannt. Erst kürzlich wurde der
       Toubou-Führer Issam Abdul Majid von Unbekannten angegriffen. Er blieb aber
       unverletzt.
       
       Im Tschad wohnt die Mehrheit des Sahara-Volkes der Toubou ohne Rechte.
       Gaddafi unterstützte ihr Aufbegehren mit Geld und Waffen zur
       Destabilisierung des verhassten Nachbarregimes. Die Toubou im eigenen Land
       aber wollte Gaddafi im Sinne seiner Arabisierungspolitik lieber ganz
       loswerden.
       
       Nur wenig ist in Libyen über die Minderheiten im Land bekannt. In
       Schulbüchern kamen sie nicht vor. Ihre Sprache duften Toubou, Tuareg und
       Berber nicht sprechen. Nun sind es die islamistisch-salafistischen Brigaden
       aus Bengasi, Misurata und Adschdabiya, die in der Bevölkerung verbreitete
       Vorurteile nutzen. Die Minderheiten leben alle an den Außengrenzen Libyens
       und sind durch die Revolution an Schlüsselpositionen gelangt.
       
       ## Eine Armee auf dem Papier
       
       „Die Schmuggelrouten zwischen Marokko, Mali, Algerien, Tschad und Ägypten
       werden zu einem islamistischen Netzwerk ausgebaut“, sagt Faraj Aboschala,
       Kommandeur der neuen libyschen Armee in Kufra.
       
       Mit Verhandlungsgeschick konnte er die Islamisten der „Derra Libya“-Brigade
       zum geordneten Rückzug aus Kufra drängen. „Leider gibt es die Armee
       eigentlich nur auf dem Papier, wir sind zu wenige für die unsicheren
       Grenzgebiete. Jeder Zwischenfall schwächt unsere Position.“
       
       Erste Erfolge des neuen islamistischen Sahara-Netzwerkes finden sich in
       Nord-Mali und auf dem Sinai. Viele der Waffen, die Extremisten in den
       vergangenen Wochen dort gegen die ägyptische Armee eingesetzt haben,
       stammen aus Libyen.
       
       Kufra ist übersät von Spuren des Kampfes zwischen der „Derra
       Libya“-Einheiten und den unorganisiert wirkenden Toubou-Kämpfern, von denen
       einige wie Kindersoldaten aussehen. Erst seitdem die neue Armee hier ist,
       hält der Waffenstillstand. „Wir können wieder auf unsere Felder gehen“,
       hören wir auch bei den Zuweia.
       
       ## „Die Waffenhändler fackeln nicht lange.“
       
       Der Weg nach Westen in die nächstgelegene Toubou-Stadt Murzuk führt 1.200
       Kilometer durch ein menschenleeres Schmugglerparadies. In der schwarzen
       Wüste, einer mit Findlingen übersäten Landschaft, die an Bilder der
       Marsoberfläche erinnert, wird es still im Wagen. „Hier werden die vom Krieg
       übriggebliebenen Waffen in den Tschad und nach Mali verkauft“, sagt
       Mohammed, der jeden Stein zu kennen scheint. Er verzichtet auf ein
       Navigationsgerät. „Die Waffenhändler fackeln nicht lange.“ Aber: „Wir
       meiden sie und sie uns“, beruhigt uns unser Begleiter Abusalam, „in der
       Sahara gilt das traditionelle Gesetz: Wer genug Abstand hält, wird in Ruhe
       gelassen.“
       
       Beide sind Toubou, und man merkt schnell, warum die Toubou dem
       Islamisten-Netzwerk und den Schmugglern in der Sahara ein Dorn im Auge
       sind. „Unser Volk lebt hier seit Jahrhunderten“, poltert Abusalam während
       einer Rast an einer heißen Quelle.
       
       „Man kann uns von hier nicht vertreiben, weil dies unsere Heimat ist“, fügt
       Abusalam hinzu. „Wir wollen keinen eigenen Staat, nur die gleichen Rechte
       wie alle anderen Bürger Libyens. Dann können wir Teil der Lösung und nicht
       Teil des Problems hier in der Sahara sein“, beteuert er.
       
       Am flimmernden Horizont kreuzt eine Kolonne unbekannter Jeeps den Weg. Hier
       irgendwo sollen Kampfflugzeuge vor kurzem einen großen Waffenkonvoi mit
       einer Scud-Mittelstreckenrakete bombardiert haben. Der Vorfall bleibt wie
       so vieles im Draa-Sandmeer bei Murzuk Gerücht und Rätsel, über dem ein
       Mantel des Schweigens liegt.
       
       Nach zwei Tagen in den Dünen erreichen wir Murzuk, die Hauptstadt der
       Toubou in Westlibyen. Hier wurde im Frühjahr ein über hundert Jahre
       ruhender Pakt wieder aktiviert. In dem Papier verpflichten sich die Toubou
       und Tuareg zu gegenseitiger Hilfe im Falle eines Angriffs. In Murzuk sind
       die arabischen Libyer in der Minderheit, 80 Familien sind nun wieder
       zurückgekehrt. Sie erzählen von der Furcht, wieder vertrieben zu werden –
       von den Toubou. Der Vertreter der arabischen Libyer, Khaled Abu Salah, war
       Mitte Mai von Unbekannten ermordet worden.
       
       ## Tuareg sind unerwünscht
       
       Auch die Tuareg leiden. In Alwaal bei Ghadames an der
       algerischen-tunesischen Grenze diskutiert eine Gruppe ihrer
       Stammesältesten. Die Hitze im Zelt ist unerträglich, die Versorgungslage
       wird immer schlechter. 500 Tuareg-Familien haben Ghadames verlassen. Es ist
       eine Bilderbuchstadt und seit Jahrhunderten Handelsknoten der
       Westsahara-Route. Die Unesco hat sie zum Weltkulturerbe erklärt. Tuareg
       sind hier nach Unruhen im September unerwünscht.
       
       Jahrelang flohen Tuareg-Kämpfer aus dem Tschad und Mali nach gescheiterten
       Aufständen in das Länderdreieck bei Ghadames. Gaddafi verlangte für seine
       Gastfreundschaft Loyalität und dankte den von der Bevölkerung unerwünschten
       Zuwanderern mit Einbürgerung und Geld. Nach dem Sieg der Revolution zogen
       die zu Söldner mutierten Tuareg mit ihren Waffen wieder nach Mali. Zurück
       blieben Vorurteile, auch gegen die aus Ghadames stammenden Tuareg.
       
       „Dabei haben viele von uns nicht mitgekämpft. Doch unsere Häuser wurden
       niedergebrannt, und wir können noch immer nicht zurück. Nun versuchen wir,
       unsere eigene Stadt zu bauen.“ Abdullah Omana wirkt ratlos – verständlich
       bei einem Blick in die trostlose Wüste um uns herum. Außer einem üppigen
       Grundwasservorkommen fehlt es an allen Voraussetzungen für die Gründung
       einer Stadt.
       
       „Was sollen wir machen?! Wir fühlten uns vom Nationalen Übergangsrat im
       Stich gelassen und werden von den Einwohnern von Ghadames immer wieder
       angegriffen.“ Omana will von einer Schuld der Tuareg nichts wissen. Wie in
       Kufra sind auch hier die Ereignisse des letzten Jahres nicht ansatzweise
       aufgearbeitet.
       
       Schließlich gibt es die Berber. Am verlassen wirkenden Grenzposten zu
       Algerien stehen zehn junge Leute in zusammengewürfelten Uniformen Wache. In
       ihren Gesichtern haben sich die Erlebnisse des Krieges eingegraben.
       
       Sie sind aus Jadu in den Nafusa-Bergen, südlich von Tripolis, eine
       Tagesreise entfernt. In Wochenschichten schieben sie freiwillig Dienst und
       versuchen, zwischen den Berbergruppen und Tuareg aus Ghadames zu
       schlichten. „Wir sind auch Berber“, sagt Maghid, „unter Gaddafi war unsere
       Sprache Amazigh verboten. Als Revolutionäre der ersten Stunde müssen uns
       beide Seiten akzeptieren. Sie sehen, dass wir anders als die Islamisten
       sind und nur helfen wollen. Ohne uns würde es hier schnell wieder zu
       Kämpfen kommen – und mit der Ankunft der Islamisten wohl auch.“
       
       Ajub Sufijan ist Berber und Jungpolitiker aus Zuwara an der
       Mittelmeerküste. Bis zu den Wahlen gab es Kämpfe mit immer noch bewaffneten
       Gaddafi-Milizen aus Al-Dschamil und Regdalin. „Wir Berber in Zuwara fühlen
       uns zwischen Gaddafi-Loyalisten und Islamisten im Nachbarort Sabratah
       eingekreist. Das ist eine ungute Allianz von Leuten, die keine geordneten
       und demokratischen Verhältnisse, sondern eine Eskalation der Lage wollen.“
       Als Ziele ihrer Strategie haben sich die Gegner des neuen Libyen mit den
       Minderheiten die Sollbruchstelle der libyschen Gesellschaft gesucht.
       
       23 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mirco Keilberth
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Gaddafi
       
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