# taz.de -- Debatte Arabellion: Der Staat ist nicht alles
       
       > Ägyptische Frauen sind die Verliererinnen und die Gewinnerinnen der
       > Revolution zugleich. Das ist ein Widerspruch? So ist es nun einmal.
       
 (IMG) Bild: Junge Männer belästigen Frauen in Kairo.
       
       Nicht nur im Ausland, auch in Ägypten fragt man sich, ob die Ägypterinnen
       nun die Gewinnerinnen oder die Verliererinnen der Revolution sind. So
       präsent die Frauen auf dem Tahrirplatz und überhaupt in der Revolution
       waren, wo sind sie jetzt?
       
       Viele Deutsche, fällt mir auf, beurteilen die Entwicklungen in Ägypten vor
       allem negativ. Damit sind sie deutlich pessimistischer als die Mehrheit der
       Ägypterinnen und Ägypter. Der grundsätzliche Optimismus am Nil kann aber
       nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die meisten Frauenrechtlerinnen
       sich in der Tat viel mehr von der Revolution erwartet haben.
       
       Als ägyptisch-deutsche Politikwissenschaftlerin und Aktivistin bin ich der
       Ansicht, dass man auf die „Siegerinnenfrage“ sowohl mit einem Ja als auch
       mit einem Nein antworten kann. Auf welcher Ebene nehmen wir die
       „Frauenfrage“ in den Blick? Meinen wir die Regierungsebene, den Staat oder
       die Zivilgesellschaft, oder reden wir von einem Wertewandel insgesamt?
       
       ## Die Ägypterin? Fehlanzeige
       
       Wir müssen exakt bestimmen, über welche Frauen wir sprechen. Es muss uns
       klar sein, dass es die Ägypterin an sich nicht gibt. Geschlecht muss immer
       in Verbindung mit Klasse und Herkunft gebracht werden. Entsprechend
       unterschiedlich fallen die Interessen von Frauen und Männern aus. Das ist
       eine Binsenweisheit, allerdings wird sie im Kontext der Arabellion viel zu
       wenig berücksichtigt.
       
       Die gängige Politikwissenschaft untersucht die Politik von oben. Sie
       betrachtet die staatliche Ebene, analysiert Verfassungen und Wahlgesetze
       oder zählt, wie viele Frauen im Parlament sitzen beziehungsweise überhaupt
       in Entscheidungspositionen vertreten sind.
       
       Aus dieser Perspektive ist die Antwort eindeutig: Ägypterinnen sind die
       Verliererinnen der Revolution. Sie sind mit 2 Prozent im Parlament
       vertreten, und auch im Verfassungskomitee sitzt so gut wie keine Frau. Eine
       unter Mubarak eingeführte Quotenregelung, die Frauen 12 Prozent der Sitze
       im Parlament garantierte, wurde im Juli 2011 vom Militärrat abgeschafft. Im
       neu gewählten ägyptischen Parlament sind lediglich zwölf Frauen vertreten.
       
       Betrachten wir aber die „Politik von unten“ und nehmen damit die
       Perspektive der Transformationsforschung ein: Dann werden wir feststellen,
       dass in Sachen soziale Bewegung und Wertewandel, in Sachen Beziehung
       zwischen den Geschlechtern und auch zwischen den Generationen die Frauen
       die Gewinnerinnen der Revolution sind.
       
       ## Revolution der Werte
       
       Als ägyptische Frauen vom Regime gemeinsam mit den Konservativen als Hure
       beschimpft wurden, antworteten sie gelassen „Genau, wird sind Huren“, und
       sie gingen weiter demonstrieren.
       
       Auch dass Frauen auf dem Tahrirplatz übernachteten, war ein historischer
       Moment. Einige von ihnen treten heute im Satellitenfernsehen auf und
       erzählen Millionen von Arabern, wie sie von Polizisten gedemütigt, sexuell
       belästigt und geschlagen wurden. Tabusätze wie „Er hat meine Vagina
       berührt“ oder „Er drohte, mich zu vergewaltigen“ sprechen sie heute laut
       aus, voller Selbstbewusstsein. Das ist eine Revolution in sich.
       
       Zuvor galt in Ägypten wie in vielen arabischen Ländern auch: Wird eine Frau
       angemacht oder belästigt, ist sie selbst schuld. Vergewaltigte Frauen
       wurden oft zwangsverheiratet. Jetzt stehen immer mehr Eltern ihrer Tochter
       zur Seite und erheben Anklage gegen die Vergewaltiger. Die ägyptische Armee
       musste sich entschuldigen.
       
       Die Gesellschaft hat sich für Frauenrechte sensibilisiert. Frauen zeigen
       sich als Opfer, aber als durchaus stolze Opfer.
       
       Die Frage ist natürlich, ob die Konterrevolution den gerade erst gewonnenen
       Einfluss und Freiraum wieder zunichtemachen wird. Ich antworte mit einer
       Gegenfrage: Über welche Frauen sprechen wir? Mittelschichtsfrauen sind
       zumeist sehr an individuellen Menschenrechten interessiert. Sie fordern
       Freiheiten gerade im Privatbereich. Sie wollen die sexuelle
       Selbstbestimmung, und sie wollen sich auf keinen Fall
       Bekleidungsvorschriften unterwerfen müssen. Sie fordern die Freiheit der
       Kunst und der Presse. Ihre Forderungen können sich im Moment kaum Gehör
       verschaffen.
       
       ## Die Gewinnerinnen
       
       Die Frauen, die unter der Armutsgrenze leben – und das sind immer noch 40
       Prozent der ägyptischen Bevölkerung –, haben erst einmal andere
       Bedürfnisse. Ihnen geht es vor allem um ökonomische Menschenrechte. Sie
       wollen schlicht sauberes Trinkwasser, Elektrizität, Gesundheitsversorgung
       oder eine Absicherung ihrer zumeist informellen Arbeitsverhältnisse. Die
       Freiheit der Kunst hat für sie keine Priorität, sie haben keinen Zugang zur
       Kulturwelt.
       
       Und vergessen wir nicht: Viele Frauen haben die Islamisten gewählt und
       stehen jetzt also auf der Seite der Gewinner. Die wenigen Frauen, die im
       Parlament sitzen, sind zumeist streng religiös. Sie wehren sich zum Teil
       aggressiv gegen die Etablierung von Frauenrechten.
       
       Weibliche Abgeordnete der Muslimbrüder etwa wollen die Ratifizierung der
       UN-Übereinkunft, dass Staaten gegen Diskriminierung von Frauen aktiv werden
       müssen, das sogenannte Cedaw-Abkommen rückgängig machen. Dabei gehörte
       Ägypten zu den ersten Unterzeichnerinnen des Übereinkommens. Die ägyptische
       Frauenbewegung ist eine der ältesten und stärksten in der arabischen Welt.
       Aber auf ihrer Agenda steht eben eine eher säkulare ägyptische
       Gesellschaft.
       
       Dennoch: Es gibt genug gut ausgebildete, durchsetzungsstarke Frauen, die
       politische Ämter bekleiden könnten. Sicher haben die Frauen genau wie
       Männer der sozialistischen, linken, liberalen bis säkularen Strömungen die
       erste Runde im neuen Ägypten verloren. Aber in vier Jahren können sie die
       Gewinner sein.
       
       Dafür allerdings müssten sie dringend politische Bündnisse eingehen, doch
       bislang ist das nichtkonservative Lager arg zerstritten. Außerdem müssten
       Feministinnen auch aggressiver auftreten. Denn es macht keinen Sinn, darauf
       zu warten, bis sie ins Verfassungskomitee eingeladen werden. Sie müssen die
       Tür selbst öffnen.
       
       3 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hoda Salah
       
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 (DIR) Zehn Jahre Arabischer Frühling
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