# taz.de -- Umwelt und Gene: Wie wir werden wie wir sind
       
       > Die Eigenschaften des Nachwuchses werden nicht nur von der Sequenz der
       > Gene bestimmt. Auch Umweltfaktoren verändern und vererben
       > Aktivitätsmuster.
       
 (IMG) Bild: Schon bei der Geburt gibt es auch bei eineiigen Zwillingen epigenetische Unterschiede.
       
       Dass Menschen Marionetten ihrer Gene sind, ist ein Trugschluss. Das lässt
       sich zumindest aus Studien der jungen Forschungsrichtung Epigenetik
       folgern. Neben dem genetischen Code, dem Genom, existiert nämlich noch ein
       sogenanntes Epi-Genom.
       
       Denn verschiedenste chemische Veränderungen am DNA-Strang oder an den sie
       umhüllenden Proteinen, den Histonen, führen dazu, dass bestimmte Gene aktiv
       oder stillgelegt sind. Und dies hat Konsequenzen für die Entstehung von
       Krankheiten wie Übergewicht, Diabetes, Herzkrankheiten, Krebs oder auch
       Depressionen.
       
       Seit der Entschlüsselung des Genoms hatte man diese Krankheiten eher auf
       das Konto von Mini-Varianzen im Erbgut geschoben. Bislang gibt es jedoch –
       ganz zur Enttäuschung der Forscher – keine Gen-Varianten, die für sich
       allein die Entstehung von Diabetes oder Krebs erklären könnten. Nun gibt
       die Epigenetik-Forschung neue Hoffnung im Kampf gegen die Volksleiden.
       
       Die Epigenetik hat erst einmal eine grundlegende physiologische Bedeutung.
       Denn alle menschlichen Gene verfügen über denselben genetischen Code. Erst
       durch verschiedene epigenetische Markierungen wird aus der Blutstammzelle
       eine Blutzelle, aus der Hautvorläuferzelle eine Hautzelle. Dabei verfügt
       der Organismus über mehrere Mechanismen, Gene an und abzuschalten. Bislang
       am besten untersucht ist die sogenannte Methylierung der DNA oder der
       Histone.
       
       Kürzlich hat eine US-Studie belegt, dass sogar eineiige Zwillinge bei ihrer
       Geburt unterschiedliche epigenetische Muster aufweisen.Und es mehren sich
       die Hinweise, dass die Epigenetik der Zelle nicht nur eine Identität,
       sondern auch ein Gedächtnis verleiht. Mit ihr verstehen Wissenschaftler
       zunehmend, wie sich Umwelterfahrungen auf unser Genom auswirken.
       
       ## Die Ernährung im Visier
       
       Gerade bei Forschern, die untersuchen, wie sich Erfahrungen im Mutterleib
       oder in den ersten Jahren nach der Geburt auf unsere Gesundheit auswirken,
       ist das Interesse für die Epigenetik groß. In ihr Visier ist etwa die
       Ernährung geraten. Wenn die Mutter in der Schwangerschaft einseitig isst
       oder unter Übergewicht oder Diabetes leidet, führt das mit einer gewissen
       Wahrscheinlichkeit zu einer Fehlprogrammierung des kindlichen Stoffwechsels
       – das Kind neigt im Erwachsenenalter zu Übergewicht.
       
       Dies wird heute zumindest zum Teil den epigenetischen Markierungen
       zugeschrieben. Im gesunden Organismus fungieren Insulin und Leptin als
       Sättigungssignale im Gehirn. Bei einem Überangebot beider Stoffe infolge
       einer zu kalorienhaltigen Ernährung der Mutter kommt es jedoch im
       kindlichen Gehirn zu einer Fehlprogrammierung. Die Folge ist eine
       zentralnervöse Resistenz, genauer, das Gehirn erhält die Satt-Botschaften
       nicht mehr. Grund dafür ist eine dauerhafte Veränderung der normalen
       Aktivität der für Gehirnbotenstoffe kodierenden Gene durch veränderte
       Methylierungsmuster.
       
       Aber nicht nur die Quantität der Ernährung scheint eine Rolle zu spielen,
       auch die Qualität könnte von Bedeutung sein: Das bekannteste Experiment
       dazu hat der Wissenschaftler Randy Jirtle von der Duke University im Jahr
       2003 gemacht. Er fütterte trächtige Mäuse, die genetisch bedingt gelbes
       Fell hatten und obendrein dick, diabeteskrank und anfällig für
       Krebskrankheiten waren, mit Folsäure, Vitamin B12 und Cholin. Andere Mäuse
       bekamen gewöhnliches Futter.
       
       Das Ergebnis: Obwohl die Nachkommen der Mäuse alle dieselben Gene geerbt
       hatten, waren die Diät-Mäusekinder schlank, braunfellig und erkrankten als
       erwachsene Mäuse auch nicht öfter an Diabetes oder Krebs als gewöhnliche
       Tiere. Während die normal Gefütterten wie ihre Mütter gelbfellig und öfter
       krank waren.
       
       Bei einer molekularen Analyse der Tiere, entdeckte Jirtle, dass an dem
       krankmachenden Genabschnitt der gesunden Nachkommen Methylierungen saßen,
       die das Gen abgeschaltet hatten. So konnte es offensichtlich keinen Schaden
       anrichten. Und mittlerweile hat man viele Substanzen wie Vitamine,
       sekundäre Pflanzenstoffe oder Fettsäuren identifiziert, die dabei helfen,
       Gene an- oder abzuschalten.
       
       Doch nicht nur die Ernährung der Mutter, auch ihr psychisches Erleben und
       die Umgebungsbedingungen, in denen das Kind groß wird, scheinen den
       Nachwuchs zu prägen: So hat Dietmar Spengler vom Münchner
       Max-Planck-Institut für Psychiatrie 2009 in einer Mäusestudie gezeigt, dass
       frühkindlicher Stress bei Mäusebabys zu veränderten Methylierungsmustern im
       Gehirn führte. Und zwar in einer Schlüsselregion des AVP-Gens. Wobei AVP
       die Empfindlichkeit der Stressachse erhöht. Zudem litten die Mäuse später
       unter Gedächtnisdefiziten und hatten insgesamt mehr Probleme, mit Stress
       umzugehen, als wohlbehütet aufgezogene Mäuse.
       
       Der Wissenschaftsjournalist Peter Spork berichtet in seinem Buch „Der
       zweite Code“: 10- bis 19-jährige Kinder von Müttern, die während der
       Schwangerschaft misshandelt wurden, haben veränderte Methylierungen am Gen
       des Glucocorticoid-Rezeptors. Sie können weniger gut mit Stress umgehen.
       
       ## Nicht alles ist übertragbar
       
       Das Fazit der Epigenetiker: „Wir sind, was unsere Mütter gegessen oder
       erlebt haben.“ Teilweise sind epigenetische Veränderungen sogar noch bei
       den Enkeln zu finden. Die Ergebnisse sind jedoch nur mit Vorsicht auf den
       Menschen übertragbar. So sind viele Studien im Tiermodell oder sogar nur in
       der Zellkultur gemacht worden. „Es ist fraglich, welche Rolle
       Lebensmittelinhaltsstoffe im menschlichen Organismus tatsächlich spielen,
       da sie sehr schwache Interaktionspartner mit den Erbstrukturen darstellen“,
       gibt Bernhard Bader von der TU München zu bedenken. Berücksichtigt werden
       muss auch, dass Versuchstiere, die als Kontrollgruppe dienen, durch die
       künstliche Umgebung vermehrt stoffwechselkrank sind.
       
       Setzt man etwa trächtige Mäuse auf Diät, was ihrer natürlichen Umwelt
       entspricht, lebt der Nachwuchs sehr lange. Beim Menschen kann eine
       gedrosselte Energiezufuhr in der Schwangerschaft hingegen zur
       Mangelernährung des Fötus führen.
       
       Andreas Plagemann, Geburtsmediziner an der Charité in Berlin, meint
       deshalb: „Bislang kennen wir keine bestimmten Nahrungsbestandteile, die den
       Stoffwechsel nachhaltig prägen. Wir wissen nur, dass Über- oder
       Unterernährung schädlich ist.“ Schwangere sollten also nicht „für zwei“
       essen, umgekehrt aber auf keinen Fall eine Abmagerungskur machen.
       
       Ob sich Fehlprogrammierungen über Generationen weitervererben, dazu gibt es
       erste Antworten: So hat eine im Juni erschienene Studie der University of
       Texas, Austin, gezeigt, dass toxische Einflüsse etwa durch Fungizide zu
       epigenetischen Narben im Stresssystem führen, die über die Keimbahn an den
       männlichen Nachwuchs übergehen.
       
       ## Reversible Veränderungen
       
       Auch eine Human-Studie unter Federführung des US-Pädiaters Robert Waterland
       gibt Hinweise, dass sich Mangelernährung vor der Schwangerschaft auf das
       Methylierungsmuster der Kinder auswirkt. Er hatte Frauen in Gambia
       untersucht, deren Ernährung sich durch abwechselnde Trocken- und
       Regenzeiten erheblich unterscheidet.
       
       Unklar ist bislang, inwieweit Fehlprogrammierungen anhaltend sind oder sich
       nicht vielmehr durch günstige Umweltbedingungen wieder rückgängig machen
       lassen. Der Mediziner Spengler weist darauf hin, dass die hyperaktive
       Stressachse bei Mäusebabys in einer frühen Phase nach der Trennung von der
       Mutter wieder normalisiert werden kann. Das funktioniere mit
       Psychopharmaka, aber auch mit positiven Erfahrungen. Liegt das Trauma
       einige Zeit zurück, ist es schwieriger, zu intervenieren.
       
       Insgesamt sehen die Forscher eine Chance im Wissen um die Veränderbarkeit
       der Gene. „Epigenetische Markierungen sind reversibel, dies spielt
       insbesondere während der frühen Entwicklung und Kindheit eine große Rolle“,
       meint Spengler. Und Peter Spork plädiert deshalb für eine ausgewogene
       Ernährung sowie ausreichend Bewegung, Entspannung und Schlaf. Vor allem für
       die Empfehlung, Sport zu treiben, sprechen mittlerweile eindeutige Belege:
       So hat eine schwedische Studie kürzlich gezeigt, dass es durch Sport in den
       beanspruchten Muskelzellen zu einer Demethylierung der DNA kommt. Dadurch
       können verschiedene Gene, die an der Fettverbrennung beteiligt sind,
       leichter abgelesen werden.
       
       24 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kathrin Burger
       
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