# taz.de -- Schwedenkrimi „Der Sturm“: Literarisch mit der Schaufel erschlagen
       
       > Der Schwedenkrimi „Der Sturm“ von Steinfeld/Winkler ist durchaus
       > lesenswert. Ob darin wirklich Schirrmacher ermordet wird, ist allerdings
       > unklar.
       
 (IMG) Bild: Hat Steinfeld wirklich Schirrmacher im schwedischen Schonen literarisch ermordet?
       
       Dass prominente Angehörige des Kultur- und Medienbetriebs als
       Schriftsteller unter Pseudonym veröffentlichen, wäre an sich keine Meldung
       wert. Dass jedoch der Feuilletonchef der geschätzt zweitwichtigsten
       deutschen Tageszeitung den der geschätzt wichtigsten in einem Kriminalroman
       fiktiv ermorden lässt, dies dann schon.
       
       Und so beherrscht eine von Die Welt-Redakteur Richard Kämmerlings am 14.
       August in Umlauf gebrachte These seither das Tratschen im deutschen
       Feuilleton: Demnach soll der leitende SZ-Redakteur Thomas Steinfeld –
       getarnt unter dem Autorenpseudonym „Per Johansson“ – seinen Rivalen und
       FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher in dem Roman „Der Sturm“ literarisch mit
       der Schaufel erschlagen und vom Dachs zerfressen haben lassen.
       
       Das gab’s nun wirklich noch nicht. In Springers Die Welt, aber auch im
       Deutschlandradio forderten Kritiker Steinfelds Kopf. Der sah sich
       gezwungen, sein Pseudonym zu lüften (er hat „Der Sturm“ tatsächlich
       zusammen mit Martin Winkler verfasst), dementierte jedoch im gleichen
       Atemzug, dass Schirrmacher mit der ermordeten Figur des Journalisten
       Christian Meier im Buch identisch sei.
       
       Wer auch immer aus dem Umfeld Steinfelds oder des S. Fischer Verlags sich
       verplapperte und Kämmerlings auf die Fährte mit dem Pseudonym brachte, er
       oder sie meinte es nicht gut mit Steinfeld und nicht gut mit Schirrmacher.
       Der eine steht seither als eitler Psychopath da, der andere als ein in
       Sexforen chattender Spinner und machtgeiler Opportunist. Doch aus einer
       halben Wahrheit wird noch keine ganze.
       
       „Alles deutet darauf hin“, schreibt Kämmerlings, „dass der Feuilletonchef
       einer großen überregionalen Tageszeitung sich eine komplette Deckidentität
       inklusive getürkten Autorenfotos erfindet, um seinem Exchef und
       Blattmacher-Rivalen unter dem Mantel der Fiktion eines grausigen Todes
       sterben zu lassen und dessen publizistisches Schaffen durch den Dreck zu
       ziehen.“ Alles, wirklich? Das mit dem Pseudonym stimmt, doch der Rest?
       
       ## Dürftige Beweislage
       
       Nun, da das Buch seit dieser Woche erhältlich ist (ein Teil in der
       Erstauflage mit Autorenpseudonym Per Johansson, die Zweitauflage mit den
       Namen Steinfeld/Winkler folgt zugleich), deutet einiges darauf hin, als
       habe sich Kämmerlings vieles, was den Roman, den Autor und die Ähnlichkeit
       zu real lebenden Personen angeht, selbst ausgedacht. Der Fall erinnert
       darin in vielem dem seines Kollegen Georg Diez, der ebenfalls mit
       außerliterarischen Methoden versuchte, den Schriftsteller Christian Kracht
       prominent zur Strecke zu bringen.
       
       „Härter als in diesem Schlüsselroman hat öffentlich noch niemand
       Schirrmacher angegriffen, jedenfalls niemand auf Augenhöhe“, raunte
       Kämmerlings und ließ seine Interpretation der Romanfiguren so schlüssig
       erscheinen, so schlüssig, als habe er sie sich über die Lektüre
       detektivisch erschlossen und nicht umgekehrt nachträglich über den Tipp mit
       dem tatsächlichen Verfasser zusammengereimt.
       
       Denn nach Prüfung des Romans muss man sagen: Wäre der Verfasser ein
       Johansson geblieben, Kämmerlings wäre wohl kaum auf seine abstrusen
       Schirrmacher-Analogien gekommen. Sie sind aus der literarischen
       Konstruktion von „Der Sturm“ kaum ableitbar.
       
       ## Ist Schirrmacher der „big shot“?
       
       Steinfeld/Winklers Figuren sind viel zu offen angelegt, als dass man sie
       allesamt 1 zu 1 auf real existierende Personen beziehen könnte, geschweige
       denn auf Schirrmacher. Der „big shot“, von dem Steinfeld/Winkler in ihrem
       Roman schreiben und der da tot in einem Schuppen im südschwedischen Schonen
       nahe Osby liegt, heißt zwar im Roman Christian Meier und ist ein deutscher
       Journalist aus Berlin. Er arbeitet aber nicht für ein gediegenes Blatt wie
       die FAZ, sondern für ein etwas windigeres, ähnlich der New York Post, so
       der Autorenhinweis, also einem konservativen Boulevard, den es so in
       Deutschland gar nicht gibt.
       
       Die Romanfigur Meier war in „Der Sturm“ vor seiner Ermordung eher
       investigativ als feuilletonistisch unterwegs, in Machenschaften verwickelt,
       die zu seinem Tod führten und die so gar nicht ins abgezirkelte Umfeld des
       deutschen Qualitätsfeuilletons passen würden. Kämmerlings Beweislage ist
       literarisch dürftig, Steinfeld/Winklers Roman durchaus lesenswert.
       
       Land und Leute im südschwedischen Schonen fängt er gut ein und auch seine
       Hauptfigur, der Aussenseiter und Lokaljournalist Ronny Gustavson, gibt in
       dem Roman eine interessante Figur ab. Das scheint durchaus
       fortsetzungsfähig. Die Region Schonen ist in diesem Roman das Synonym für
       eine globalisierte Peripherie, die mit dem Ausbau der Infrastruktur und den
       digitalen Netzwerken unversehens zum Zentrum internationaler Machenschaften
       werden kann. Da Steinfeld/Winkler allerdings an Gott (Bob Dylan) und
       Anemonen (Schonen, Tradition und Natur) glauben, bleibt der Mensch und all
       seine Technik doch eine endliche Größe.
       
       Ein reinigender Sturm fegt durch den Roman und deckt dabei in seiner
       Unbeherrschbarkeit einiges auf. Vieles, was mit New York, Schonen und
       Berlin genauso zu tun hat oder haben kann wie mit den kommunizierenden
       Röhren der Hacker („Freibeuter“, „Pirate Bay“) und Sicherheitsfirmen, die
       die großen Daten und Finanzströme in den Metropolen attackieren oder vor
       unerlaubten Zugriff schützen sollen.
       
       ## Romanfigur als kleines Licht
       
       In alldem bleibt die Romanfigur des erschlagenen und vom Dachs
       angeknabberten Christian Meier eher ein kleines Licht. Er ist der, der für
       die Dramaturgie dazwischentrampeln muss. Der, der ungewollt das Unsichtbare
       sichtbar macht, die Dinge zwischen New York und dem Schloss Ekeby Gard
       miteinander verbindet und in seiner Maßlosigkeit umkommen wird. Sicher kein
       schöner Tod für einen „big shot“. Aber so ist es halt.
       
       Die Figur des toten Meiers dient als Antipode vor allem der literarischen
       Konturierung des höchst lebendigen Deleuze-Schülers und früheren radikalen
       Linken Ronny Gustavson. Der 49-jährige Lokaljournalist ist die
       desillusionierte Hauptfigur. Einer, der auszog und heimkehren musste und
       sich nun fernab der Hauptstadtbüros mit Provinzbullen wie Pelle herumärgern
       muss.
       
       Doch Ronny, der Amateur, wird fast alles herauskriegen, was es
       herauszukriegen gilt. Er verfügt über ausreichend technisches Wissen, gute
       Allgemeinbildung, einen verlässlich-elitären Freundeskreis sowie einen
       Lokalreporterjob, der ihn zwingt, dorthin zu gehen, wo es wehtut. Mag sein,
       dass dies etwas romantisch klingt, aber für einen konventionell gut
       geschriebenen Krimi zwischen Walker, Harris und einer Handvoll Schweden
       reicht dies allemal.
       
       ## Unterhaltsam war das Gerücht trotzdem
       
       Natürlich wäre die Meldung: Ja, es ist Steinfeld, und, nein, es ist nicht
       Schirrmacher, kaum eine Schlagzeilen generierende geworden. Aber
       Kämmerlings sei Dank, wissen wir jetzt tatsächlich mehr und hatten es auch
       sehr unterhaltsam.
       
       Zum Beispiel mit Hans Ulrich Gumbrecht, Professor an der Stanford
       University und Schirrmachers Doktorvater. Er schaltete sich in die Debatte
       via Deutschlandradio ein und ließ die Hörer wissen, dass „das deutsche
       Feuilleton schon national gesehen einen großen Einfluss, einen großen
       Impact“ habe und auch „international sehr beachtet und geschätzt“ würde,
       mit Schirrmacher an der Spitze („das präsidierende Genie“). „Und ich sage
       das mit Bewunderung“, so Gumbrecht weiter über seinen Meisterschüler, der
       „ein Talent für Macht hat, was unter geistigen Menschen sehr ungewöhnlich
       ist“.
       
       Ganz im Gegenzug natürlich zu dem mittelmäßigen Steinfeld („ein Mann mit
       wenig Konturen“), dem der Krimi misslungen sei, wenn auch dies, so
       Gumbrecht, wohl strafrechtlich nicht zu verfolgen sei. Doch „wie diese
       Leiche geschändet ist“, so der Professor, „das ist ein Exzess“
       („Schirrmachers Leiche von einer Dachsfamilie bestialisiert“).
       
       Kämmerlings hatte diese Passage aus dem Buch mit dem erfundenen Bezug auf
       Schirrmacher genüsslich in seinem Welt-Artikel herausgestellt. Blöd nur,
       dass es eine literarische Figur bleibt, ein Christian Meier mit
       klischierten Charaktereigenschaften, die auf ziemlich viele „big shots“
       zutreffen – und eben auch nicht.
       
       ## (Per Johansson): "Der Sturm". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012,
       336 S., 18,99 Euro
       
       24 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Debatte Literarischer Mord: Feuilletonistischer Fidelwipp
       
       Die Debatte um den Steinfeld-Krimi liefert neue Munition für alle, die den
       Kulturteil der Zeitungen elitär finden. Dünkelhaft wird Kompetenz simuliert
       – vergebens.
       
 (DIR) Kommentar Feuilleton-Krimi: Ein rätselhafter Mord
       
       Mordfantasien gegen das Feuilleton sind in. Es dient als Projektionsfläche
       für Größenwahn oder Selbsthass. Ein Schlüsselroman übers Feuilleton wäre
       angesagt.
       
 (DIR) Fischer Verlag vs. Schirrmacher: Fiktion ohne Grenzen
       
       Sind Thomas Steinfeld und der Fischer Verlag zu weit gegangen? Nach dem
       literarischen Mord an „FAZ“-Herausgeber Schirrmacher ist die
       Literaturkritik gefordert.