# taz.de -- Debatte Literarischer Mord: Feuilletonistischer Fidelwipp
       
       > Die Debatte um den Steinfeld-Krimi liefert neue Munition für alle, die
       > den Kulturteil der Zeitungen elitär finden. Dünkelhaft wird Kompetenz
       > simuliert – vergebens.
       
 (IMG) Bild: Endlos im Kreis dreht es sich und sinkt dabei immer tiefer: das Feuilleton.
       
       Ach, das Feuilleton. Es ist so wichtig, wie es genommen wird. Im Moment
       nimmt es sich selbst sehr wichtig, und das ist eher komisch: Es gibt einen
       „Feuilleton-Skandal“: „Der Sturm“, ein „Schwedenkrimi“ von Thomas Steinfeld
       und Martin Winkler.
       
       Erst mit der Fiktion eines schwedischen Debütautors namens Per Johansson,
       dann Anlass kurzweiliger Spekulationen, ob mit einer ermordeten Nebenfigur
       der FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher gemeint sei und sich Koautor
       Steinfeld für irgendwelches Ungemach gerächt habe. So weit, so lustig.
       
       Dann aber gab’s tiefernste Ventilationen, ob Steinfeld vielleicht mit
       arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen habe, ob irgendwelche Kerle „wer
       hat den Längsten“ spielen (der echte Schirrmacher spielte gar nicht mit,
       bis jetzt), ob der Krimi als Genre geschändet, und jüngst, dass das Werk
       zwar als Krimi misslungen, dies aber in Balzac’schen Dimensionen zu sehen
       sei, mindestens.
       
       ## Ein Mütchen kühlen
       
       Überhaupt „Krimi“ – diese Angelegenheit (alle Zitate aus der aktuellen
       Debatte) für „Kulturspießer“ (Gumbrecht), dieses Zeug, mit dem sich
       „professionelle Literaturkritik“ nicht beschäftigt (Maid-Zincke), dieses
       Igitt, das niemanden kümmert (Radisch), und so weiter. „Das Feuilleton“
       kühlt sein Mütchen an dem, was ihm schon die ganze Zeit stinkt: dem
       Publikumserfolg Krimi, der die Gewichtungen auf dem Buchmarkt und im
       Leseverhalten verschoben und die „Macht“ der Feuilletons gemindert hat.
       
       Dass die literary pages Autorität jahrzehntelang verspielt haben und
       Innerbetriebliches immer dominanter wurde, wird nicht so gerne
       thematisiert. Lieber versichert man sich in einem lehrbuchreifen
       Doublebind, dass Krimis irgendwie was Niederes sind. Steinfeld hat zwar
       gesündigt, ist aber doch entre nous geblieben, weil er im Schmuddeleckchen
       gesündigt hat, er hat nun mal ’nen Hang zum Küchenpersonal.
       
       Die Wagenburg schließt sich – selbst dieser belanglose Krimi wird zum
       „Schlüsselroman“, zum soliden „Genrehandwerk“, zum irgendwie ehrenvoll
       Gescheiterten. Man merkt, wenn man solche Apologien liest, wie mühselig
       Rettungsaktionen contre coeur sein müssen. Dort, wo man „das Feuilleton“
       als irrelevant, korrupt, inzestuös, elitär und verkommen sehen will, es
       penibel beobachtet, um cool zu sagen, man interessiere sich nicht die Bohne
       dafür, also „im Netz“, in Blogs und social networks, bekommt so ein schon
       vorhandenes „Wir“-gegen-„die“-Szenario neues Futter. „Die“ ist eine
       paranoid konstruierte Clique, die anscheinend – trotz Zwist und Hader –
       letztendlich ein Herz und eine Seele ist, wenn es darum geht, auch ein
       schlechtes Buch zu promoten. Womöglich für Geld.
       
       ## List der Unvernunft
       
       Selbst schuld, wenn so ein Eindruck entsteht. Dabei konnte man klar sehen,
       wie beim „Sturm“ eine verunglückte PR-Aktion letztlich doch, und sei’s
       durch die List der Unvernunft, funktioniert. Das PR-Skript für das Buch
       leuchtet neongrell, überdeutlich: eine Kampagne, vorbildlich nach Georg
       Francks „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ gestartet, dann der Dynamik der
       Öffentlichkeit überlassen. Auch wenn der Plan die erste Phase nicht
       überlebt, wie jeder Schlachtplan. Immerhin, wer zum Thema etwas sagt, wird
       automatisch Teil des Spiels, nolens volens. Auch außerhalb des Feuilletons.
       Das ist an solchen Aktionen immer beteiligt, das Habitat an sich ist nichts
       Übles. Wie es damit umgehen kann oder nicht kann, hängt vom Personal und
       der Ökonomie ab.
       
       Übelnehmen kann man dabei höchstens, dass es Scheindiskussionen zulässt. Es
       geht mir hier nicht nur um „Krimi“. Es geht um fast alle Literatur, die mit
       „Genre“ zu tun hat, die die schon längst eingerissenen Grenzen von E und U
       ignoriert. Manchmal fühle ich mich in der Zeitmaschine, so um 1950,
       ästhetische Adenauer-Zeit.
       
       Seltsam, dass die meisten Feuilletons nicht gleich erkannten, ob „Der
       Sturm“ jetzt ein diskutabler oder nichtdiskutabler Kriminalroman ist. Das
       hat mit „Meinung“ nur insofern zu tun, als anscheinend jede seriöse
       Vergleichsmöglichkeit fehlt. Sonst hätte man gemerkt, dass ernst zu
       nehmende Kriminalromane mit einem Amateurversuch (Steinfeld und Winkler
       sind so gesehen Amateure, die meinen, „Krimi kann jeder“) nichts zu tun
       haben.
       
       Man könnte in den Redaktionen auch wissen, dass zwar große Teile der
       Krimiproduktion und deren Präsentation nicht dazu taugen, das Genre gut,
       stark und ästhetisch satisfaktionsfähig aussehen zu lassen, aber dass das
       Genre nichtsdestotrotz grandiose und wichtige Literatur hervorbringt.
       Diskussionen wie um den „Sturm“ insinuieren, es ginge substanziell um
       Kriminalliteratur statt um Betriebsquerelen. Das ist in der Tat
       feuilletonistischer Fidelwipp.
       
       Genau solche Diskussionen wären ja der Job des Feuilletons, ohne gleich
       Begierden der Buchindustrie zu bedienen oder weniger populäre Formen zu
       marginalisieren. Die Thematik von Kriminalliteratur bildet ein dafür
       besonders günstiges Gelenk zwischen Realität und Kunst.
       
       ## Schwacher Allerweltskrimi
       
       Statt dessen Dünkel und Angst, medienökonomisch gesehen zu Recht. Wer Panik
       hat, wird schrill und greift zu abwegigen Überhöhungen, die Skala
       exaltierter Reaktionen rauf und runter. „Das Feuilleton“ will ausgerechnet
       da Kompetenz beweisen, wo es offensichtlich keine hat. So wie in unserem
       Fall der krampfhafte Versuch, etwas Banales zum Ereignis hochzuschreiben.
       Als ob Personen der Zeitgeschichte wie Schirrmacher nicht oft bei
       Kriminalromanen und Polit-Thrillern in die Modellierung literarischer
       Figuren eingingen.
       
       Wer sich an pikanten Enthüllungen erfreuen mag, findet ein paar hundert
       einschlägige Zeilen über den toten Promi und bekommt für zwanzig Euro eine
       schwachen Allerweltskrimi, eine kriminalliterarische Tütensuppe. Das
       schafft kein Vertrauen ins Feuilleton.
       
       Also wäre es nicht ganz dumm, wenn „das Feuilleton“ mit den Lesern Klartext
       redete und nicht versäumte, sich derselben breiten Kompetenz angesichts
       populärerer Lesestoffe zu befleißigen, mit der man sinnvollerweise
       hermetischeren Dinge zu Leibe rückt. Sonst schafft es sich womöglich eines
       Tages selbst ab und niemand merkt’s.
       
       26 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Wörtche
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Frank Schirrmacher
       
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 (DIR) „Ego“ des FAZ-Mitherausgebers: Schirrmacher genießt die Reflexe
       
       Das neue Buch von Frank Schirrmacher heißt „Ego. Das Spiel des Lebens“.
       Über die Qualität des Werks haben die Feuilletonisten sehr unterschiedliche
       Meinungen.
       
 (DIR) Schwedenkrimi „Der Sturm“: Literarisch mit der Schaufel erschlagen
       
       Der Schwedenkrimi „Der Sturm“ von Steinfeld/Winkler ist durchaus
       lesenswert. Ob darin wirklich Schirrmacher ermordet wird, ist allerdings
       unklar.
       
 (DIR) Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
       
       Wer, wenn nicht Schirrmacher hat es verdient, im Buch grausam zu sterben?
       Ein Ritterschlag für Chefredakteure. Und: Was rauchen die da eigentlich in
       Karlsruhe? Respekt!
       
 (DIR) Kommentar Feuilleton-Krimi: Ein rätselhafter Mord
       
       Mordfantasien gegen das Feuilleton sind in. Es dient als Projektionsfläche
       für Größenwahn oder Selbsthass. Ein Schlüsselroman übers Feuilleton wäre
       angesagt.
       
 (DIR) Fischer Verlag vs. Schirrmacher: Fiktion ohne Grenzen
       
       Sind Thomas Steinfeld und der Fischer Verlag zu weit gegangen? Nach dem
       literarischen Mord an „FAZ“-Herausgeber Schirrmacher ist die
       Literaturkritik gefordert.