# taz.de -- „Ego“ des FAZ-Mitherausgebers: Schirrmacher genießt die Reflexe
       
       > Das neue Buch von Frank Schirrmacher heißt „Ego. Das Spiel des Lebens“.
       > Über die Qualität des Werks haben die Feuilletonisten sehr
       > unterschiedliche Meinungen.
       
 (IMG) Bild: Wenn Frank Schirrmacher den Zeigefinger hebt, fangen selbst der Kanzlerin Augen an zu glänzen.
       
       BERLIN taz | Er gilt, obschon erst knapp über fünfzig, bereits als der
       große alte Mann des deutschen Feuilletons. Der FAZ-Mitherausgeber Frank
       Schirrmacher hat diverse Themen gesetzt. Seinetwegen interessieren sich
       Historiker plötzlich für den Aufbau des menschlichen Genoms.
       
       Seinetwegen muss die Rentnerin nun rechtfertigen, dass sie sich von den
       Enkeln die Rente bezahlen lässt. Seinetwegen findet die urbane Erfolgsfrau
       nun auch am siebten Tag der Woche die Frankfurter Allgemeine
       Sonntagszeitung in ihrem Briefkasten. Seinetwegen glaubt der ältere Herr,
       dass der Computer unmittelbaren Zugriff auf seine
       Persönlichkeitsentwicklung hat.
       
       Schirrmacher hat Debatten entfacht. Hier macht er sich Feinde, indem er
       Sahra Wagenknecht oder Oskar Lafontaine im Feuilleton ihre Weltsicht
       verbreiten lässt, dort, indem er Thilo Sarrazin Werbeplatz für sein Buch
       einräumt und den Erzreaktionär Martin Mosebach in schrägen Metaphern die
       Moderne beschimpfen lässt. Unter ihm arbeiten als Redakteure Linksradikale
       wie Dietmar Dath und Hakenkreuzforscher wie Lorenz Jäger, der im
       rechtslastigen Karolinger Verlag publiziert.
       
       Schirrmacher ist bekannt dafür, dass er „Themen setzt“ und mit steilen
       Thesen um sich wirft. Im Mai sagte er in einem Gespräch mit der Zeit:
       „Jeder Mensch ist heute ein Medium.“ Er meinte, dass Menschen heute nicht
       mehr auf Zeitung und Fernsehen angewiesen sind, sondern jederzeit googeln
       und twittern können, also rezipieren und verbreiten, unabhängig von
       Redaktionsschlüssen und Sendezeiten. Doch er sagte – wie so oft – etwas
       anderes, einen schon beinahe apodiktisch klingenden Satz, dessen Gehalt
       allerdings falsch ist. Auf einen allerdings trifft der Satz zu:
       Schirrmacher selbst ist ein Medium geworden, es spricht aus ihm.
       
       Gerade hat Schirrmacher ein neues Buch veröffentlicht, es heißt: „Ego. Das
       Spiel des Lebens“. Darin finden sich Sätze wie: „Umgeben von einer Welt, in
       der Informationen nicht nur an Börsen, sondern am Arbeitsplatz, in der
       Kommunikation und sogar bei Freundschaften von logisch arbeitenden
       Rechenmaschinen organisiert werden, die nach den Gesetzen der persönlichen
       Profitmaximierung den menschlichen Charakter kalkulieren, verändern sich
       gesellschaftliche Wertvorstellungen in staunenswerter Geschwindigkeit.“
       
       Computer arbeiten „nach den Gesetzen der persönlichen Profitmaximierung“?
       Eine Freundschaftsanfrage bei Facebook ist von einem Computer
       „organisiert“, der davon ausgeht, dass ich meinen Freund übers Ohr hauen
       will? Schirrmacher, Träger des Jacob-Grimm-Preises Deutsche Sprache 2009,
       schreibt so 290 Seiten zusammen. Er selbst sagt zu Beginn: „Dieses Buch
       basiert auf einer einzigen These.“ Es ist die vom „ökonomischen
       Imperialismus.“ Hernach beschreibt er, wie Ideologien funktionieren, will
       aber aus irgendeinem Grund unbedingt Computer zu Ideologen machen. Oder
       auch nicht. Man weiß es nicht immer.
       
       Im Märzheft des Merkur findet sich ein bereits vorab im Internet
       veröffentlichter [1][Aufsatz von Joachim Rohloff] mit dem Titel
       „Sorgfaltspflichten. Wenn Frank Schirrmacher einen Bestseller schreibt“. In
       diesem untersucht Rohloff Schirrmachers letztes Buch, „Payback“, das voller
       grammatikalischer und orthografischer Fehler stecke.
       
       „Viele Sätze muss man zwei- oder dreimal lesen, bevor man den Fehler
       entdeckt und beheben kann. Dann erst stellt ein Sinn sich ein, von dem man
       aber nie mit Gewissheit annehmen darf, er treffe das, was der Autor sagen
       wollte,“ schreibt Rohloff. Um dann aber Schwerwiegenderes festzustellen als
       Rechtschreibschwächen und mangelhaftes Lektorat: Er weist en detail nach,
       wie Schirrmacher Aussagen falsch zitiert und wie er absichtlich falsch aus
       dem Englischen übersetzt.
       
       Ähnliches behauptet nun auch Cornelius Tittel in der Welt und Alan Posener
       auf Welt Online für das Buch „Ego“. Tittel schreibt auch, dass der
       FAZ-Herausgeber den Mathematiker und Moralphilosophen Kenneth Binmore
       ungerechtfertigterweise als kaltherzigen Dunkelmann stilisiere. Und Posener
       kritisiert, dass Schirrmacher die These vom „egoistischen Gen“, die der
       Biologe und Religionskritiker Richard Dawkins aufbrachte, offensichtlich zu
       seinen Zwecken ummünzte, um Dawkins verteufeln zu können.
       
       Gregor Dotzauer konstatierte gestern im Tagesspiegel, Schirrmachers Stil
       sei „von einer Wiederholungsfrequenz, die schreiberischer Sorglosigkeit wie
       einem Einhämmerungsgestus geschuldet sein mag – und eingepasst ist in eine
       narrativ bis zur Absurdität festgezurrte Abfolge des Schon, Dann und
       Worauf“. Um dann allerdings das Buch als Pamphlet zu empfehlen.
       
       Der Spiegel gab Schirrmacher in Form eines Interviews und eines Essays
       genügend Raum, seine Thesen selbst darzustellen, auf Spiegel Online
       sekundierte der unglückliche Jakob Augstein dem Kollegen und sah
       Schirrmacher „ohne Zweifel“ aufseiten der Linken angekommen. Als sei eine
       Kapitalismuskritik von rechts undenkbar – die Konservative Revolution und
       die Neue Rechte waren wohl auch Linke.
       
       Und viele andere hatten gar keine Meinung zu dem Buch, hinterfragten es
       nicht kritisch, sondern plapperten gleich den Klappentext nach und glaubten
       der Verlagswerbung, die das Buch vollmundig schon vor Erscheinen als neuen
       Bestseller pries.
       
       Josef Joffe verriss es vorgestern im Handelsblatt, Andreas Zielcke lobte es
       am Freitag in der Süddeutschen Zeitung. In einigen Redaktionen kursiert die
       These, Schirrmacher habe sich von der verschwörungstheoretischen TV-Serie
       „The Trap“ von Adam Curtis zu seinem Buch inspirieren lassen.
       
       Doch alle Texte, auch dieser hier, machen sich zum Helfershelfer einer
       Strategie, deren sich das Medium Schirrmacher bedient. Es geht bei „Ego“
       nicht um Ideologie, auch will Schirrmacher nicht sagen, dass er Angst hat
       vor Finanzmarkt, Globalisierung, den Amerikanern und dem Internet. Nein, er
       reizt gern, er genießt die Reflexe.
       
       So reiht sich „Ego“ in die Reihe der Bücher ein, deren prominente
       Autorinnen und Autoren Themen nutzen, künstlich aufblasen, willkürlich
       Belege zusammensuchen, mit einer schwurbeligen Sprache hantieren und
       Missverständnisse in Kauf nehmen. Denn es geht vor allem darum, sich
       wichtig zu machen. Wir, die wir darüber schreiben, spielen dieses Spiel
       mit.
       
       Frank Schirrmacher: „Ego. Das Spiel des Lebens“. Blessing Verlag, München
       2013, 352 S., 19,99 Euro
       
       20 Feb 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.merkur-blog.de/2013/02/sorgfaltspflichten-wenn-frank-schirrmacher-einen-bestseller-schreibt/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jörg Sundermeier
       
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