# taz.de -- Philosoph Kenichi Mishima: Der blinde Fleck der Sonne
       
       > Der Philosoph Mishima eröffnet die Vortragsreihe „Frankfurter
       > Positionen“. Er ist einer der wichtigsten Kritiker des japanischen
       > Ethnozentrismus.
       
 (IMG) Bild: Der Samurai als Teil des Kriegerkults in Japan.
       
       BERLIN taz | Die Postmoderne, die so viel darauf hielt, „große Erzählungen“
       und deren geschichtsphilosophische Implikationen als Ballast verabschiedet
       zu haben, beruht auf einem Selbstwiderspruch: Sie verabschiedete die
       Geschichtsphilosophie mit einem Satz und hievte sich selbst in die
       Nachmoderne. Ein münchhausisches Unternehmen.
       
       Wie anders als mit geschichtsphilosophischen Spekulationen kommt die
       Postmoderne zu Aussagen über die Zukunft? Die Rede von der Postmoderne
       beruht nicht nur auf diesem Selbstwiderspruch, sondern auch auf dem
       Selbstmissverständnis, etwas überwunden zu haben, was tatsächlich mehr
       einer Überbietung gleicht. Eher als postmodern ist die Postmoderne nämlich
       hypermodern in dem Sinne, dass sie selektiv Momente der Moderne – und zwar
       nicht die überzeugendsten – radikalisiert und überbietet.
       
       Die Moderne spielte gern mit dem Motiv der bilder- und
       geschichtszertrümmernden Tabula Rasa und des intellektuellen Hoppla-hopp im
       Geist von „Jetzt komme ich und damit das ganz Neue“. Die Postmoderne machte
       diese beiden Schwachstellen der Moderne zum Programm – auch wenn sie sich
       programmatisch als radikal programmlos verstand und verkaufte.
       
       Die Frankfurter Vortragsreihe öffnet sich nach den lauten Jahren der
       postmodernen Verabschiedungs- und Überbietungspirouetten für die Vermutung,
       dass der „Diskurs der Moderne nicht beendet, sondern im Gegenteil weiter
       vorangetrieben“ werden kann und vielleicht muss, wie es in der Ankündigung
       heißt. Die Krisenerfahrungen der letzten Jahre und die Lehren daraus für
       gesellschaftliche, politische, ästhetische und ökonomische Diskurse weisen
       in diese Richtung.
       
       ## Moderne jenseits ethnozentrischer Scheuklappen
       
       Den ersten Vortrag bestreitet der 1942 geborene, japanische Philosoph und
       Literaturwissenschaftler Kenichi Mishima. Er wurde einem breiteren Publikum
       erst im letzten Jahr bekannt, als ihm die FU Berlin die Ehrendoktorwürde
       verlieh und Jürgen Habermas die viel beachtete Laudatio hielt. Habermas
       würdigte Mishimas Verdienste bei der „selbstbewussten Aneignung der
       gesellschaftlichen Moderne als kulturelle Ressource“ jenseits
       ethnozentrischer Scheuklappen.
       
       Mishima lehrte zunächst in Osaka und zuletzt Sozialphilosophie an der
       Wirtschaftsuniversität in Tokio. 1970 und 1980 war er Stipendiat der
       Humboldt-Stiftung und 1994/95 Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin.
       Mishima machte sich einen Namen mit Studien über Max Weber, die Kritische
       Theorie, Walter Benjamin, Friedrich Nietzsche und Jürgen Habermas.
       Übersetzt wurden bislang nur einige Aufsätze Mishimas. Sie finden sich in
       Sammelbänden und Zeitschriften wie der European Review, Wissenschaft und
       Frieden und den Blättern für deutsche und internationale Politik. 
       
       Mishimas Denken kreist immer um die doppelte intellektuelle Prägung der
       japanischen Elite. Diese ist „hin- und hergerissen zwischen dem
       Minderwertigkeitskomplex gegenüber dem Westen einerseits und dem Glauben an
       die Überlegenheit der eigenen Lebenswelt andererseits“.
       
       Gestützt auf die 2.600-jährige Kontinuität des japanischen Kaiserhauses,
       die Heroisierung großer Männer und blutrünstige Kriegslegenden, pflegte man
       in Japan vor 1945 einen rabiaten Ethnozentrismus. Nach 1945 begab sich
       Japan mehr oder weniger freiwillig unter die Kuratel der USA und wurde – so
       Mishima – zur „Schachfigur im amerikanischen System der Weltpolizei“.
       
       Mit der eigenen Vergangenheit, insbesondere den verbrecherischen Kriegen
       gegen Korea, China und die USA, setzten sich in Japan nur wenige
       auseinander. Das Land stilisierte sich kollektiv als unschuldiges Opfer der
       amerikanischen Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki. Der
       japanische Ethnozentrismus läuterte sich zwar in den letzten Jahrzehnten zu
       den „sanften kulturellen Erwärmungspraktiken“ (Mishima) eines
       kommerzialisierten Kulturnationalismus im Zeichen von Postmodernismus oder
       Esoterik.
       
       ## Nationalismus und Kaiserkult
       
       Wie virulent Nationalismus und quasireligiöser Kaiserkult geblieben sind,
       belegt ein Satz des japanischen Ministerpräsidenten Nakasone aus dem Jahr
       1987: „Der Tenno hat eine Stellung wie die Sonne, die an der höchsten Höhe
       des Himmels leuchtet. Wir können deswegen ruhig unserem irdischen Geschäft
       nachgehen, manchmal auch unerfreuliche Dinge tun und miteinander streiten;
       über allem ruht die leuchtende Sonne. Die irdische Welt ist unsere Partei.
       Das irdische Geschäft übernimmt die Liberal-Demokratische Partei. Wir haben
       dieses Zwei-Welten-System.“
       
       Mishima fragt sich selbstkritisch, was wohl geschähe, wenn sich ein
       deutscher FDP-Politiker „auf eine germanische Gottheit“ bezöge, um seine
       politischen Ansprüche zu begründen. Mishima kritisiert jedoch nicht nur den
       japanischen Ethnozentrismus, sondern auch den unberechtigten europäischen
       Aufklärungsstolz gegenüber dem unterbelichteten Osten: „Die Beschlagnahme
       geistiger Güter ist immer problematisch, wenn sie aufgrund einer
       gemeinsamen Sprache vollzogen wird.“
       
       Habermas bescheinigte Mishima in seiner Laudatio die Fähigkeit, „den
       Alteuropäern bei aller Begeisterung für deren Programm den blinden Punkt
       ihrer Fixierung auf die westliche Moderne zu Bewusstsein“ zu bringen. Diese
       Fähigkeit beruht auf Mishimas Sensibilität für die Vielfalt und Komplexität
       von Modernisierungsprozessen und auf der Einsicht in den
       „Konstruktionscharakter“ (Mishima) der landläufigen Rede von „Identität“.
       Darin erkennt Mishima wechselseitige Projektionen des Eigenen auf das
       Andere und umgekehrt. Von solchen wahnhaften Identitätskonstrukten kann
       sich nur befreien, wer die Perspektive des jeweils anderen einnimmt und
       sich für Lernprozesse öffnet.
       
       28 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rudolf Walther
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Literatur
 (DIR) Magazin
       
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