# taz.de -- Punk-Band S.Y.P.H.: Die drei Rrrs des Rock n Roll
       
       > Sie hatten keinen Bock auf Hippie-Zeug und schrieben als erste Punk-Band
       > deutsche Texte: S.Y.P.H. Nun kommt ihr Album „4.LP“ neu heraus.
       
 (IMG) Bild: Im Standardgrau-Design: Das bundesdeutsche Telefon und S.Y.P.H.
       
       BERLIN taz | In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre liefen sich hier und
       da in der Bundesrepublik seltsam gekleidete Jugendliche über den Weg.
       Manchem jagten sie einen Schrecken ein. Andere ließen sie rotsehen, so dass
       sie sich in Acht nehmen mussten, wenn sie nicht Prügel beziehen wollten.
       
       In Solingen erlebte der Auszubildende Peter Braatz 1978 beides, nachdem er
       seine Schlaghosen enger nähen ließ und eine Schweißerbrille trug. Zusammen
       mit seinem Schulfreund Thomas Schwebel ging er in diesem Aufzug zum
       Auftritt einer Band. Welcher, spielte keine Rolle. Denn die Musik, die
       Bands damals spielten, klang sowieso immer, als wollte sie bloß keinen
       schlechten Eindruck hinterlassen.
       
       Das Konzert besuchten auch ein paar Hippies. Die hatten mal als Leute
       gegolten, die zu allem Möglichen „Nein!“ sagten. Dabei handelte es sich
       früher um eine brauchbare Methode, um Platz zu schaffen. Aber wenn sich
       Braatz und Schwebel jetzt mit ihnen unterhielten, dann legten die immer die
       gleiche Platte mit immer denselben elegischen Hippie-Hits auf. Die Hippies
       beherrschten ihr Repertoire. Sie hatten sich mit ihrem „Nein!“ eingerichtet
       wie auf einem Sofa.
       
       Um davon keine schlechte Laune zu bekommen, dachte sich Thomas Schwebel den
       Bandnamen S.Y.P.H. aus. Weder er noch Raatz besaßen Instrumente, geschweige
       denn, dass sie welche spielen konnten. Aber sie hatten Zeit, um ins nah
       gelegene Düsseldorf zu fahren und im „Ratinger Hof“ einzukehren. Die Gäste
       dort übten verschiedene Sportarten aus. Eine war, informiert zu sein. Über
       diese englische Musikzeitschrift. Über jene Band. Eine weitere Sportart war
       Selbsterfindung. Dazu gehörte, sich einen neuen Namen zu geben. Peter
       Braatz hieß seitdem nach einem Song der Kinks „Harry Rag“.
       
       ## Erfundene Lieder
       
       Um in Gesprächen mit Düsseldorfer Bands wie Charley’s Girls oder
       Mittagspause mitzuhalten, behaupteten Schwebel und Rag, dass auch S.Y.P.H.
       Songs geschrieben hätten. Wie die denn heißen würden, kam es zurück. –
       „Zurück zum Beton“, „Industriemädchen“ oder „Lachleute und Nettmenschen“.
       Zu diesen Titeln existierte weder Texte noch Musik, aber jetzt hatten
       S.Y.P.H. den Druck, sich welche auszudenken.
       
       Schwebel schrieb über das „Industriemädchen“, mit dem sich eine gut
       gelaunte Liebesgeschichte zwischen Raffinerie, Hochspannungsmasten und
       Hinterhöfen entwickelte. Rag erklärte in „Zurück zum Beton“: „Ich glaub,
       ich träume / Ich seh nur Bäume / Wälder überall / Ich merk auf einmal / Ich
       bin ein Tier hier / Ein scheiß Tier hier / Da bleibt mir nur eins: / Zurück
       zum Beton / Zurück zum Beton / Zurück zur U-Bahn / Zurück zum Beton / Da
       ist der Mensch noch Mensch / Da gibt’s noch Liebe und Glück“.
       
       Schwebel wechselte bald zu Mittagspause, daraus entstanden 1979 die
       ehrgeizigeren Fehlfarben, mit denen Schwebel das berühmte Album „Monarchie
       & Alltag“ aufnahm. Noch Jahrzehnte danach trugen junge Männer Zeilen aus
       den Fehlfarben-Songs mit sich herum wie Schminktaschen.
       
       Rag ging zusammen mit dem Gitarristen Uwe Jahnke und dem Schlagzeuger Uli
       Putsch in ein Studio, um Stücke für die S.Y.P.H.-Debütsingle aufzunehmen.
       Als Cover wählten sie das Foto des Kinderwagens, der bei der Entführung des
       Arbeitgeberpräsidenten Schleyer eine Rolle spielte. Auf der Rückseite ein
       Foto des R.A.F.-Mitglieds Christian Klar.
       
       ## Ein neuer Begriff
       
       Inzwischen hatten Journalisten, wie zuvor etwa bei Krautrock und in den
       späten Achtzigern etwa bei der Hamburger Schule, einen Begriff lanciert, um
       passend zu machen, was vorher nicht gepasst hatte. Ob es die Vorgänge im
       „Ratinger Hof“ betraf, dessen Gäste oder deren Kostümierungen, die
       Fanzines, für die sie schrieben, oder die Musik, die sie mochten oder
       selbst spielten, all das hieß jetzt „Punk“. Punks überfielen zwar keine
       Banken, sie sprengten kein Springer-Hochhaus in die Luft, sie entführten
       und erschossen auch niemanden. Aber ein Plattencover wie das von der
       S.Y.P.H.-Single „Viel Feind, viel Ehr“ genügte 1979, um Mitarbeiter von
       Presswerken und Plattenläden erst in Angst und Schrecken zu versetzen und
       dann auf die Palme zu bringen.
       
       Den Mut, die Single zu veröffentlichen, bewies Carmen Knoebel, Künstlerin
       und Programmacherin des Hofs. Sie veröffentlichte 1980 auch die ersten
       beiden LPs sowie 1981 ein Live-Album auf ihrem Label Pure Freude. Bald nach
       dessen Veröffentlichung saß Knoebel eines Nachmittags in ihrer Wohnung, um
       sich neue S.Y.P.H.-Aufnahmen anzuhören. Aber jetzt zusammen mit einer Band,
       die sich sehr verändert hatte. Harry Rag liebte seit vielen Jahren Can.
       
       Anders gesagt: Punks aller Länder mochten Krautrock. Es ging ihnen also nie
       darum, reinen Tisch mit der Vergangenheit zu machen. Keiner hatte etwas
       gegen Kraftwerk. Joy Division borgten sich von Neu! ihren musikalischen
       Ansatz. Und The-Fall-Sänger Mark E. Smith kam auch durch Can auf „die drei
       Rrrs des Rock ’n’ Roll: Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung.“
       
       Harry Rag durfte den Can-Bassisten Holger Czukay, der Komposition bei
       Karlheinz Stockhausen studiert hatte, für eine Schülerzeitung interviewen.
       Gute Voraussetzung, befand Rag, um S.Y.P.H. mit Czukay als Produzenten zu
       neuen Ufern aufbrechen zu lassen. Doch im Studio war es zu ebenso
       dramatischen wie traditionellen Streitereien gekommen. Die Stimmung sank,
       bis sich die Bandmitglieder gegenseitig als „faschistische Arschlöcher“
       beschimpften.
       
       ## Ein Unterwasserkonzert
       
       Holger Czukay machte es ihnen als Produzent auch nicht leicht. Er
       entschied, dass die Musik von S.Y.P.H. keine Strophen braucht, keine
       Refrains und wenig Gesang. Stattdessen einen Aufzug aus dem All wie in „Die
       deep“. Ein Unterwasserkonzert, Pochen vom Meeresgrund und Satzfetzen aus
       der Taucherglocke wie in „Hänschen Horror“. Eine Gothic-Gitarre im Dom für
       abstrakte Expressionisten wie in „Nachbar“. Entspanntes Murmeln in Zungen
       wie in „Lämmerschwanz“. Eine verrückt eiernde Klingel mit Schlagzeug wie in
       „Satarasch“. Und mit „Little Nemo“ ein Stück, das Czukay auch zum
       Titelstück seines köstlichen Solo-Albums „On the way to the peak of normal“
       (1982) ausbaute.
       
       Als Carmen Knoebel das Album „4.LP“ 1982 erstveröffentlichte, hatte die
       Band fürs Erste das Handtuch geworfen. „Die anderen haben mich
       rausgeschmissen. Sie fanden mich zu schlecht“, erzählt Rag. „Aber ich habe
       darauf bestanden, dass ich den Bandnamen S.Y.P.H. behalte.“
       
       Später in den Achtzigern rauften sich S.Y.P.H. wieder zusammen und so
       entstanden weitere Alben mit Stücken, die von anderen gecovert wurden und
       deren Texte in Songtexten junger Bands als Zitate auftauchten.
       
       Das Label mit dem etwas witzlosen Namen Made in Germany hat nun „4.LP“ von
       S.Y.P.H. neu herausgebracht. Das Album, das mal eine Band kostete, bis sich
       die Musiker wieder beruhigten, berappelten und besannen. Offenbar können
       Trennungen wieder näher aneinanderschweißen. Weswegen Band-Geschichten auch
       immer immens komische Geschichten sind.
       
       Die von S.Y.P.H. erhält eine Fortsetzung. Im November wird ein Album mit
       Remixen, unter anderem von Gudrun Gut und Frieder Butzmann, erscheinen.
       
       Harry Rag verfolgt das von der slowenischen Hauptstadt Ljubljana aus, wo er
       heute mit seiner Frau und zwei Kindern lebt. Dort dreht er Filme und Videos
       und besorgt für die Filme seiner Frau Maja Weiss öfter den Schnitt. Ein
       wichtiger Einfluss dabei ist nach wie vor Holger Czukay. S.Y.P.H. bleibt
       also ein Faden, der immer wieder aufgenommen werden kann. Und eine Band,
       bei der es viel zu entdecken gilt.
       
       31 Aug 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kristof Schreuf
       
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