# taz.de -- Literaturfestival: Lieder übers Furzen
       
       > Der lange Abend der Kinderliteratur auf dem Internationalen
       > Literaturfestival ist eher öde. Bis der Barde Gerald Jatzek seine
       > unflätigen Witze macht.
       
 (IMG) Bild: Der Große Abend der Kinderliteratur blieb eher überschaubar.
       
       Spätestens, als das Lied von der Ahnfrau an die Reihe kommt, haben die
       Kinder alles verziehen. Ja, es sind zu wenige gekommen zum Großen Abend der
       Kinderliteratur im Haus der Berliner Festspiele – nur fünfzig Zuschauer in
       Abendgarderobe, davon etwa zwanzig wohlerzogene Kinder, und das vor der
       riesigen Bühne des großen Saals. Und ja: So ein Abend kann anstrengend sein
       – denn selbst, um die artigsten Kinder im Grundschulalter dazu zu bringen,
       länger als eine Stunde stillzusitzen, braucht es mehr als langweilige
       Vorträge wie die der Autoren Salah Naoura und Adam Jaromir aus ihren
       zweifellos schönen Kinderbüchern. Es braucht zum Beispiel ein wenig
       Interaktivität – so, wie dies viele andere Veranstaltungen des
       Kinderprogramms vom Illustrationsworkshop bis hin zum Musiktheater ja auch
       vorgesehen haben.
       
       Doch dann betritt der 1956 geborene Wiener Autor und Musiker Gerald Jatzek
       die Bühne, schnallt sich die Gitarre um und hebt spöttisch eine seiner
       ausdrucksstarken Augenbrauen. Sofort weiß man, woher der Wind weht: Wir
       haben es mit einem Barden zu tun, mit einem jener Dichter, die fest davon
       überzeugt sind, Kinder sollten vor allem eins haben: ihren eigenen Kopf.
       Nach dem dritten Akkord stellt sich zudem heraus: Gerald Jatzek hat den
       Dreh raus, er weiß, wie Kinder aus der Reserve zu locken sind, und nimmt
       sofort Kontakt zu ihnen auf.
       
       Und schließlich, als Jatzek das Lied von der Ahnfrau aus seinen
       „Raubauken-Reimen“ zum Vortrag bringt, ist der Löwe vollends los. Die
       Kinder singen mit und quietschen vor Vergnügen – selbst die, die mit
       beflissenen Eltern und im gebügelten Hemd erschienen sind. Denn hier geht
       es nicht um Bildung, sondern um liederliche Manieren: „Die Ahnfrau von Burg
       Glockenhaus zieht niemals ihre Socken aus. Sie trägt dasselbe graue Paar
       das zweihundertundzwölfte Jahr.“
       
       Wieder einmal hat uns der Geist der antiautoritären Erziehung der 68er mit
       ihren respektlosen Blödeleien eingeholt – denn diese haben sich zumindest,
       so geben wir freimütig zu, auch im zweihundertundzwölften Jahr den
       bühnentauglicheren Humor bewahrt. Die Eltern der Kinder im Oberhemd schauen
       pikiert, können dann aber doch nicht anders als erleichtert sein, denn der
       Barde mit den unflätigen Witzen haut’s raus. Und so ist man am Ende doch
       sehr beschwingt. Man braust zu ungewohnt später Stunde mit der vierjährigen
       Tochter im Hunderter nach Hause, oben in der ersten Reihe natürlich – und
       sie, nachhaltig inspiriert, singt aus dem Stegreif laute Lieder übers
       Furzen.
       
       9 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Messmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kinderbuch
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Neue Kinderbücher: „Du blöder Haufen Wolle“
       
       Eine Vogel-Kroko-Freundschaft und eine Schaffamilie unter Schweinen: In
       neuen Kinderbüchern aus Großbritannien, Frankreich und dem Iran geht es um
       Toleranz.
       
 (DIR) Literaturfestival (9): Tendenz zum Unendlichen
       
       Toll und fast wie in den 80ern: Thomas Kapielski und Frieder Butzmann
       machen beim Literaturfestival bewundernswert komische Sachen.
       
 (DIR) Kinderliteraturtage: Liest du mir was vor?
       
       Immer öfter bringen Literaturfestivals die jüngste Lesergruppe ans Buch.
       Sie weiten die Leseorte weit über die Buchhandlungen aus.
       
 (DIR) Internationales Literaturfestival: Eine blöde abgedrehte Laus
       
       Große Worte (5): Herta Müller trägt ihre Gedichtcollagen vor. So gelöst hat
       man die Nobelpreisträgerin selten gesehen.
       
 (DIR) Internationales Literaturfestival: Kleine, nächtliche Ratlosigkeit
       
       Große Worte (4): Drei kluge Denker sprechen beim Literaturfestival über
       Emanzipation durch Intellekt - aber was meinen sie wohl damit?
       
 (DIR) Internationales Literaturfestival: Unfreiheit, die ich meine
       
       GROSSE WORTE (2): Der Autor Liao Yiwu hat für das Internationale
       Literaturfestival Werke chinesischer Künstler zur Ausstellung "Die
       sichtbaren und die unsichtbaren Gefängnisse" zusammengetragen