# taz.de -- Debatte Staatsanleihen: Die eingebildete Pleite
       
       > Viele Deutsche fürchten, die Zeche für den Aufkauf ausländischer
       > Staatsanleihen zu zahlen. Aber eine EZB-Intervention wäre umsonst.
       
 (IMG) Bild: Wie eine Herde trampeln die panischen Anleger durch die Straßen. Aber wer jagt wen?
       
       Ein böser Verdacht geht bei vielen Deutschen um: Falls die Europäische
       Zentralbank demnächst anfangen sollte, die Staatsanleihen von Italien und
       Spanien aufzukaufen, dann werden nur die Banken gerettet – und der
       Normalbürger muss die Zeche zahlen. Die Spekulanten hätten erneut gesiegt
       und könnten munter weiterzocken.
       
       Diese Furcht ist zu verstehen, denn in der Finanzkrise ab 2008 lief es
       genauso: Pleitebanken mussten mit Steuermilliarden gerettet werden, während
       die Investmentbanker weiterhin überhöhte Boni kassierten.
       
       Doch so naheliegend die Analogie zwischen Finanz- und Eurokrise wirkt – sie
       ist falsch. Die Eurokrise in Italien folgt anderen Gesetzen als die
       US-Hypothekenblase, die taggenau vor vier Jahren zum Untergang der
       Investmentbank Lehman Brothers führte. Der Unterschied: Lehman und viele
       andere Banken waren wirklich pleite – Italien und Spanien sehen nur so aus.
       
       ## Sonderfall Griechenland
       
       Zunächst mag es verwunderlich sein, dass ein Land konkursreif wirken kann,
       obwohl es eigentlich gesund ist. Ein fatales Krebsgeschwür bildet man sich
       schließlich auch nicht ein. Entweder man ist dem Tod geweiht oder man ist
       es nicht.
       
       Aber in der Welt des Geldes gibt es einen Unterschied, der für viel
       Verwirrung sorgt: Es ist die Differenz zwischen Solvenz und Liquidität. An
       der Oberfläche sehen beide gleich aus und sind in ihrer Tiefenstruktur doch
       völlig anders.
       
       Um bei der Insolvenz zu beginnen: Sie entsteht durch Überschuldung. Eine
       Firma, eine Bank oder auch ein Staat hat fleißig Geld aufgenommen – und
       leider falsch investiert. Lehman und viele andere Banken waren dafür
       typisch.
       
       Mit geliehenem Fremdkapital kaufte man undurchsichtige Verbriefungen von
       US-Ramschhypotheken, und als sich herausstellte, dass diese Investitionen
       wertlos waren, konnte man die aufgenommenen Kredite nicht zurückzahlen. Es
       blieben nur die Pleite oder staatliche Milliardenhilfen.
       
       Natürlich gibt es auch in der Eurozone Staaten, die überschuldet sind. Dazu
       gehört vorneweg Griechenland, das ungebremst Kredite aufnahm, um eine
       aufgeblähte Bürokratie zu finanzieren. Aber Griechenland ist nicht typisch
       für die Eurozone, obwohl dies immer wieder gern behauptet wird. Es ist ein
       Sonderfall an der Peripherie.
       
       Italien und Spanien haben ein anderes Problem: Sie sind solvent, also nicht
       überschuldet – aber sie sind nicht liquide. Sie kommen nicht an Geld heran,
       obwohl sie ihre Kredite finanzieren könnten. Spanien hatte zwar eine
       Immobilienblase, aber diese wäre beherrschbar. Und Italien hat zwar viele
       Schulden – hat diese aber immer mühelos bedient. Doch diese Argumente
       nutzen nichts, weil die Anleger panisch sind.
       
       ## Allein gegen alle?
       
       Panische Anleger sind eine seltsame Spezies: Als Herde trampeln sie
       gemeinsam in die falsche Richtung – aber für jeden einzelnen Investor ist
       es rational, mit der Herde in die Irre zu marschieren. Denn kein Anleger
       hätte genug Geld, um sich allein gegen die Herde zu stellen. Er würde
       niedergerannt und sein Vermögen vernichtet.
       
       Um aus der Tierwelt nach Italien und Spanien zurückzukehren: Viele Banken
       und Versicherungen fürchten, dass die beiden Länder pleitegehen könnten.
       Die Investoren setzen auf das beliebte Motto „sicher ist sicher“.
       Schließlich ist Griechenland konkursreif, warum sollte dies nicht auch für
       andere Südländer gelten?!
       
       Also kaufen die Banken und Versicherungen keine italienischen oder
       spanischen Staatsanleihen mehr. Sie treten in einen Käuferstreik. Es wäre
       also falsch zu sagen, dass die Anleger „spekulieren“ oder „zocken“ würden.
       Sie tun das Gegenteil: Sie investieren gar nicht mehr.
       
       Dieser Käuferstreik hat jedoch fatale Konsequenzen. Jedes Land, auch
       Deutschland, muss jährlich viele Milliarden Euro an Krediten aufnehmen, um
       fällige Schulden zu bezahlen. Normalerweise ist dies kein Problem, die
       Schulden werden einfach „rolliert“.
       
       Doch wenn die Investoren streiken, dann schießen die Zinsen nach oben. Für
       Italien und Spanien lagen sie zeitweise bei 7 Prozent. Das können die
       Länder nicht stemmen. Sie werden in die Pleite getrieben, weil die
       Investoren eine Pleite fürchten. Eine Erwartung erfüllt sich selbst.
       
       ## Kein Geld für „Zockerbuden“
       
       In der taz treffen immer wieder Leserbriefe ein, die eine gute Frage
       stellen: Anfang der 1980er Jahre musste die Bundesrepublik zum Teil 8,5
       Prozent Zinsen zahlen – warum sollen 7 Prozent jetzt ein Problem sein?
       
       Um es etwas kurz zu machen: Zinsen sind nur bezahlbar, wenn sie dem
       nominalen Wirtschaftswachstum entsprechen. Sie dürfen also nicht über dem
       realen Zuwachs plus Inflation liegen. Diese recht technischen Angaben
       bedeuten für Italien: Bei einer schrumpfenden Wirtschaft von minus 2,6
       Prozent und einer Inflation von etwa 2,5 Prozent beträgt das nominale
       Wachstum null.
       
       Zinsen von 7 Prozent bedeuten da alsbald die Pleite, weil man in eine
       „Zinsfalle“ gerät: Die Zinsen lassen sich nur durch weitere Kredite
       finanzieren, der Schuldenberg wächst von selbst.
       
       Um diese Abwärtsspirale zu stoppen, müssen die Zinsen für Italien und
       Spanien gedrückt werden, indem die Europäische Zentralbank interveniert.
       Dies führt sofort zu einer neuen Debatte: Welche Auflagen müssen die beiden
       Länder erfüllen?
       
       ## Spanien und Italien sind frech
       
       Viele Deutsche finden es frech, dass Spanien und Italien sich weigern, mit
       den gleichen Auflagen wie Griechenland belegt zu werden. Für die Deutschen
       ist klar: Wer Hilfe benötigt, muss unter die Fuchtel eines externen
       Sparkommissars.
       
       Aber dieser deutsche Strafansatz verwechselt erneut Solvenz und Liquidität.
       Bei Griechenland ist nachvollziehbar, dass die Gläubiger engste Kontrollen
       verlangen. Denn das Land ist überschuldet und benötigt weitere
       Kapitalhilfen. Es wird „echtes“ Geld fließen. Anders ist es bei Italien und
       Spanien: Sie könnten sich selbst finanzieren, wenn nicht die Anleger
       panisch wären. Eine EZB-Intervention wäre also kostenlos, weil die
       Notenbank ihr Geld wiedersehen würde.
       
       Trotzdem fürchten viele Deutsche, dass nur die „Zockerbuden“ profitieren,
       wenn die EZB einschreitet. Doch da ist Entwarnung möglich: Die Notenbank
       würde ja die Zinsen drücken – was automatisch die Renditen der Banken
       schmälert.
       
       16 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Herrmann
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ökonom Bofinger über Eurokrise: „Inflation ist keine Schweinegrippe“
       
       Der Ökonomieprofessor Peter Bofinger sieht keine Gefahr der Geldentwertung.
       Statt am falschen Ende zu sparen, sollten die Staaten gezielt Geld
       ausgeben.
       
 (DIR) Küstenbebauung in Spanien: Die letzten Strände ihrer Art
       
       Von wegen Immobilienkrise in Spanien: Lokale Baulöwen machen schon wieder
       Geschäfte mit Bettenburgen. Die Umwelt wird darunter leiden.
       
 (DIR) Kommentar Bankenaufsicht: Schäuble wartet ab
       
       Bankenaufsicht und Einlagensicherung müssen für alle EU-Staaten gemeinsam
       her. Finanzminister Schäuble stellt sich quer. Die Krise wird immer
       teuerer.
       
 (DIR) Kommentar Proteste Spanien: Europa zerfällt
       
       In Spanien protestieren Gewerkschaften und Organisationen gegen die
       Sparmaßnahmen der Regierung. Hilfe aus Brüssel gibt es nicht umsonst, das
       ist das Problem.
       
 (DIR) Proteste gegen Spardiktat in Spanien: „Auf! Sie wollen das Land ruinieren!“
       
       Mehrere Hundertausend Menschen machten ihrer Empörung über die
       Krisenpolitik der spanischen Regierung Luft. Sie sprechen von
       „schwerwiegendem Wahlbetrug.“
       
 (DIR) Krise in Griechenland: Die Euro-Retter haben es eilig
       
       Forderungen des Verfassungsgerichts zum ESM sollen schnell umgesetzt
       werden. Für Athen zeichnet sich beim Sparen ein Aufschub ab.
       
 (DIR) Euro-Finanzminister auf Zypern: Mehr Zeit für Griechenland
       
       Die Finanzminister der EU wollen Griechenland mehr Zeit für die Umsetzung
       der Sparauflagen geben – und Wolfgang Schäuble erklärt sein Vertrauen zur
       EZB.
       
 (DIR) Was kostet die Währungskrise?: 300 Milliarden Euro
       
       Wer bekommt und wer zahlt wieviel in der Eurokrise? Die Bewältigung der
       Krisensituation ist jedenfalls billiger als die Wiedervereinigung.
       
 (DIR) Kritik an Volkswirtschaftslehre: Neue Ideen, bitte!
       
       StudentInnen aus zehn kritischen Hochschulgruppen drängen auf eine Wende in
       der Volkswirtschaftslehre. Neue Ideen und neue Bücher sollen her.