# taz.de -- Literaturnobelpreis für Mo Yan: Der schreibende Bauer
       
       > Mo Yans Romane widmen sich Säufern, Menschenfressern und prügelnden
       > Bräuten. Die Geschichten spielen fernab von der Metropole Peking.
       
 (IMG) Bild: Auf dem Land, fernab Pekings, spielen die Geschichten Mo Yans.
       
       BERLIN taz | Es gibt eine chinesische Redewendung, die ziemlich genau
       beschreibt, was der neue Literaturnobelpreiträger in seinen Büchern macht.
       Die Redensart lautet: Der Himmel ist hoch, der Kaiser weit. Soll heißen:
       Was Peking beschließt, das muss noch lange nicht im riesigen Hinterland
       passieren, wo ganz sicher nicht jeder tun kann, was er will – wo er aber
       jedenfalls eher sagen kann, was er denkt.
       
       Es ist das chinesische Dorf, das den 57-Jährigen in all seinen Texten
       umtreibt. Nicht umsonst hat er, der als Guan Moye geboren wurde und dessen
       Pseudonym Mo Yan eigentlich „der Sprachlose“ bedeutet, sich selbst oft als
       „schreibender Bauer“ bezeichnet.
       
       Mo Yan ist Sohn eines Bauern. Er konnte nur fünf Jahre zur Schule gehen.
       Mit 20 trat er in die Volksbefreiungsarmee ein und begann während dieser
       Zeit Literatur zu studieren und erste Erzählungen zu schreiben. Alle seine
       Romane spielen in seinem ostchinesischen Heimatdorf Gaomi: dem „zweifellos
       schönsten und abstoßendsten, einzigartigsten und gewöhnlichsten, heiligsten
       und korruptesten, heroischsten und feigsten, trinkfreudigsten und
       liebestollsten Ort auf der Welt“, wie er meint. So verhält es sich beim
       Roman „Das Rote Kornfeld“, der durch die Verfilmung Zhang Yimous 1987 im
       Westen berühmt wurde, so ist es sich auch bei seinen anderen ins Deutsche
       übersetzten Romanen „Die Schnapsstadt“, „Die Sandelholzstrafe“, „Die
       Knoblauchrevolte“ und „Der Überdruss“.
       
       ## Sex und Gewalt
       
       Die realistischen, manchmal magischen und märchenhaften Dorfromane sind
       deftig und derb. Sie strotzen nur so vor Fäkalsprache, vor Sex und Gewalt.
       Sie setzen voller Hingabe und Kraft, ebenso satirisch wie mitfühlend
       Säufern ein Denkmal, auch Menschenfressern, korrupten Kadern, laut
       schimpfenden und prügelnden Bräuten und erschlagenen Großgrundbesitzern,
       die mal als Esel, dann wieder als Stier, Schwein, Hund oder Affe
       wiedergeboren werden.
       
       Damit widersetzen sich Mo Yans Texte jenem neuen Turbo-China, in dem die
       Welt, so heißt es, bereits im 22. Jahrhundert angekommen ist – und zwar
       ebenso beharrlich und durchtrieben wie die Erniedrigten und Beleidigten,
       die sie beschreiben. Am beeindruckendsten aber an Mo Yans Büchern ist die
       Art und Weise, wie seine gebeutelten und hartgesottenen Gesellen sich
       diesem China widersetzen.
       
       Denn Mo Yan setzt auf die subversive Kraft der Sprache seiner Helden, die
       keineswegs immer als Opfer dargestellt werden, sondern allzu oft ihr
       garstiges Schicksal in die eigene Hand zu nehmen versuchen. Er weiß, dass
       seine Landsleute, fern von Peking, oft kein Blatt vor den Mund nehmen, dass
       sie dreist und furchtlos sein können: Darum hat wohl Mo Yan sogar einen
       seiner Romane, „Der Überdruss“ laut eigenen Angaben in nur 43 Tagen
       niedergeschrieben – per Hand, nicht am Computer. So konnte er den Rhythmus
       des mündlichen Erzählens nachstellen, die platten Wahrheiten und wilden
       Wucherungen, die nun mal auch entstehen, wenn man einen langen Text einfach
       nur runterrockt.
       
       ## Kritik von Dissidenten
       
       Mo Yan ist hart dafür kritisiert worden, Teil des literarischen
       Establishments in China zu sein: So musste er sich vielfach rechtfertigen,
       als er 2009 als Mitglied der offiziellen Delegation Chinas beim
       umstrittenen Gastlandauftritt der Buchmesse nach Frankfurt reiste. Auch
       wird er von anderen chinesischen Autoren und Dissidenten kritisiert, dass
       er sich als Mitglied des Schriftstellerverbands bei Vater Staat anstellen
       ließ und zudem noch behauptet, die Zensur habe nie ein Problem für ihn
       dargestellt.
       
       An dieser Kritik mag etwas dran sein, und trotzdem vergessen seine Kritiker
       etwas Wichtiges. Viele Autoren, die heute in Chinas Städten leben, sind
       selbst auf dem Land geboren und gehören erst seit Kurzem der gerade erst
       entstehenden Mittelschicht an, die sie gern beschreiben. Sie haben wenig
       darüber zu sagen, dass von Chinas 1,3 Milliarden Einwohnern noch immer
       stolze 900 Millionen Bauern sind, die ziemlich abgehängt sind von den
       gegenwärtigen Entwicklungen, die in der topmodernen Selbstdarstellung ihres
       Landes aber gern unter den Tisch fallen.
       
       Insofern sind Mo Yans Bücher sehr wohl subversiv. Sie gehören zum
       Ordinärsten, vielleicht aber auch zum Originärsten, was die chinesische
       Literatur derzeit zu bieten hat. Sie haben den Nobelpreis verdient.
       
       11 Oct 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Messmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) China
 (DIR) Mo Yan
 (DIR) Buch
       
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