# taz.de -- Roboter bringt mehr Autonomie: Am Arm der Technik
       
       > Für ihren Job an der Uni Bremen übt Lena Kredel mit einem Roboter: In ein
       > paar Tagen soll sie mit seiner Hilfe Bücher katalogisieren. Es ist ein
       > ein großer Schritt für Kredel: Sie ist vom Hals abwärts gelähmt.
       
 (IMG) Bild: Ohne viel Übung geht es nicht: Lena Kredel und ihr Roboter-Assistent "Friend".
       
       BREMEN taz | Es surrt. Lena Kredel drückt ihr Kinn in die gelbe
       Schaumstoff-Kuppe des Joysticks und schiebt ihn nach vorn, nur ein paar
       Millimeter. Wie eine Python-Schlange aus Metall durchschneidet der
       Roboterarm den Raum. Bei jeder Drehung seiner Gelenke mischt sich ein
       heller Klang mit dem monotonen Grundgeräusch des Computers. Der konisch
       zulaufende Arm sitzt vorn an Lena Kredels Rollstuhl. Kredel ist vom Hals
       abwärts gelähmt. „Er“ bewegt sich für sie.
       
       Im Laborraum N1340 der Naturwissenschaftler der Uni Bremen ist alles auf
       Lena Kredel und ihren Roboter-Assistenten „Friend“ ausgerichtet. Torsten
       Heyer, Mathematiker am Institut für Automatisierungstechnik, will mit
       diesem Projekt beweisen, dass es mit Robotertechnik möglich ist, Menschen
       mit einer Querschnittslähmung so stark zu assistieren, dass sie ohne
       zusätzliche Hilfe einen Beruf ausüben können. In ein paar Tagen soll Kredel
       mit dem Roboter an ihren richtigen Arbeitsplatz umziehen. In der Staats-
       und Universitätsbibliothek wird sie als Verwaltungsfachkraft Bücher
       katalogisieren. Noch schuften sie und Heyer im Labor. Sie üben seit
       Monaten, zwei bis drei Tage in der Woche, jeweils für mindestens vier
       Stunden. Immer ist es der gleiche Ablauf.
       
       Langsam wandert der Zeiger über den Monitor zu Kredels Rechten. Sechs oder
       sieben Schaltflächen sind darauf einzelnen Arbeitsschritten zugeordnet.
       Buch aufnehmen, ablegen, aufblättern. Befehle in Englisch. Ein Stirnband
       voller Technik läuft um Kredels Kopf herum, daran befestigt sind Schalter
       und Kabel, die hinter den Rollstuhl führen.
       
       ## Befehle per Nicken
       
       Kredel nickt nach vorn und tippt mit der Stirn an den mittleren Schalter.
       Der stammgroße Arm dreht sich, „sssst“, stoppt kurz vor einem Regal, das
       rechts vor dem Rollstuhl aufgestellt ist. Darin reihen sich zwei Dutzend
       alte Bücher über „Zuckerkrankheit“ oder „Grundkenntnisse der
       Ingenieurswissenschaft“, die von der Bibliothek aussortiert wurden. Sie
       stehen und liegen, jeweils abwechselnd, „damit der Arm sie überhaupt
       richtig zu fassen kriegt“, sagt Heyer.
       
       Er kennt die Kniffe. Seit 1997 arbeitet Heyer an dem Roboter. Frühere
       Generationen holten Teller aus dem Schrank und stellten Essen in die
       Mikrowelle. Aber der berufliche Bereich sei vielversprechender, „weil es
       mehr Institutionen gibt, die das bezahlen würden“, sagt Heyer. Tatsächlich
       gab das Versorgungsamt Bremen über 400.000 Euro. Allein die Materialkosten
       für den Arm betragen 120.000 Euro.
       
       Stück für Stück tastet sich der Greifer immer näher an das nächste Buch
       heran, ganz automatisch. Dann bremst er ab. Auf dem Monitor erscheint das
       Videobild einer Kamera, die vorn direkt bei den Greifern angebracht ist.
       Die letzten paar Zentimeter steuert Kredel mit dem Kinn-Joystick. Die
       Bücher dürfen nicht beschädigt werden. Einige Seiten sind schon zerknickt,
       weil der Roboter daneben griff.
       
       Kredels Hände ruhen angewinkelt auf ihrer Brust, Kissen stützen ihre Beine.
       Sie bewegt nur ihren Kopf, nickt für den nächsten Befehl. Der Roboterarm
       surrt mit einem eingeklemmten Buch aus dem Regal, plötzlich stockt er. Mit
       dem Buch ragt er schief in die Luft, wie eine Fackel. „’Er‘ hat schon
       wieder irgendwas“, sagt sie.
       
       Heyer schnappt sich eine Tastatur, klemmt sie im Stehen auf seine Schenkel
       und tippt dabei. Mit der Maus gleitet er an seinem Bein auf und ab, seine
       Jeans ist sein Mousepad. Über Lena Kredels Bildschirm sausen
       Konsolen-Befehle. „Abgestürzt“, sagt Heyer.
       
       Wenn der Arm kein Signal mehr von der Software bekommt, ist es früher schon
       mal passiert, dass er sich weiterdreht in Richtung Rollstuhl. Heyer hat
       jetzt einen Not-Ausschalter und Laserschranken installiert, die Kredel
       schützen. Der Arm steht still.
       
       „Geduld? Die habe ich,“ sagt Kredel, „ich bin geduldig geworden, mit jeder
       Fliege, die sich auf mich gesetzt und mich geärgert hat.“ Die Steuerung mit
       dem Kinn und Kopf sei anstrengend, „das geht auf die Nackenmuskeln“, sagt
       sie. Den Roboter komplett fernzusteuern, wäre deshalb kaum möglich. Die
       Programmierung des Assistenz-Systems, die intelligente Verarbeitung
       unterschiedlicher Raum-Informationen, ist daher der Kern des Projektes.
       
       Sieben Gelenke teilen den Arm. „Freiheitsgrade“, nennt sie Torsten Heyer.
       Der Mathematiker redet gern über die Technik, die er mit seinen Kollegen
       verbaut hat. Oben auf dem Rollstuhl misst eine Stereo-Infrarotkamera die
       Umgebung, die Computer-Einheit hinten am Rollstuhl, ein Linux-System,
       errechnet daraus den Standort im Raum. Am vorderen Ende, gleich hinter den
       beiden Greifer-Platten, registriert ein Kraftmoment-Sensor jeden Widerstand
       bei einer Berührung. Wie sensibel die Einstellungen sein sollen, haben
       Heyer und Kredel in vielen Versuchsschritten austariert.
       
       Kredel musste dabei nicht nur lernen, mit dem Roboter zu kommunizieren,
       sondern auch mit Torsten Heyer, dem Naturwissenschaftler mit seinen
       Fachwörtern und Zahlen. „Es geht gut zusammen“, sagt die
       Geisteswissenschaftlerin. Sie hat Italienisch, Germanistik und Publizistik
       an der Freien Universität in Berlin studiert.
       
       Durch ihre multiple Sklerose sitzt sie seit 20 Jahren im Rollstuhl. Seit
       zwölf Jahren kann sie auch ihre Arme nicht mehr bewegen. Nach dem Studium
       erledigte sie die Öffentlichkeitsarbeit für einen Behindertenverein. Als
       der kein Geld mehr hatte, wurde sie arbeitslos. „Das war ich elf Jahre
       lang.“ Hin und wieder lektorierte sie als freie Mitarbeiterin für
       Schulbuch-Verlage. „Ein bisschen wenig für einen klugen Kopf“, sagt sie.
       Ihrer Sozialassistentin musste sie immer ganz genau erklären, wo sie die
       farbigen Markierungen in den Manuskripten eintragen sollte.
       
       Mit dem Roboter ist eine Spracherkennung verbunden, über die sie die
       Katalogdaten eingibt. „ISBN-Nummer, Erscheinungsjahr, der ganze Krempel“,
       sagt Kredel. Sie hat extra eine Schulung von der Bibliothek bekommen. Bis
       sie eingestellt wurde, musste viel Papier gewälzt werden.
       Versicherungsfragen, Zuständigkeiten. Die Arbeitsagentur Bremen sagte,
       Berlin sei zuständig und vice versa. Ohne Arbeitsvertrag gab’s keinen
       Mietvertrag. Hindernisse müssen eben nicht nur physisch sein.
       
       „Das Leben ist nicht einfach“, sagt Kredel. Sie vermisst ihre Freunde in
       Berlin, in Bremen kennt sie kaum jemanden. „Aber ich bin ein Sturkopf. Hier
       ist mein Job, hier bin ich glücklich.“ Das ganz Projekt läuft noch bis
       Mitte 2013. Wenn der Arbeitsplatz in der Bibliothek aufgebaut ist, soll es
       wohl eine Verlängerung geben. Sicher ist das aber nicht.
       
       Lena Kredel hat ihr Leben dafür umgestellt. Ein, zwei Stunden etwas selbst
       machen zu können, das sei ihr viel wert, sagt sie. „Die Leute kratzen sich
       hinter den Ohren und wissen gar nicht, wie groß der Programmierungsaufwand
       wäre, wenn das ein Roboterarm machen müsste.“ Sie denkt schon ein bisschen
       wie der Naturwissenschaftler.
       
       7 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jean-Philipp Baeck
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wissenschaft
 (DIR) Dirigent
       
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