# taz.de -- Proteste in Europa: Die Stimmen der Empörten
       
       > Eine Programmiererin, eine Anwältin, eine Verkäuferin, ein Polizist. Alle
       > eint die Unzufriedenheit mit dem Sparkurs in Europa – Teil I.
       
 (IMG) Bild: Eine Demonstration in Rom, gegen das „Casino total“.
       
       ## Kein zweites Kind in Krisenzeiten
       
       ROM taz | „Ein Zeichen setzen.“ Stefania Formisano braucht nur drei Worte,
       um zu erklären, warum sie beim europäischen Protesttag dabei ist.
       Metallgewerkschafterin ist die Programmiererin seit Jahren schon. „Ich kann
       mich noch glücklich schätzen“, erzählt Stefania, „ich habe eine feste
       Stelle, ich bringe 1.700 Euro netto nach Hause.“ Bei dem Großunternehmen
       Almaviva, der IT-Dienstleistungen anbietet und Callcenter betreibt,
       verdient sie ihr Geld. „Aber auch bei uns ist die globale Krise
       angekommen“, fügt Stefania leise hinzu.
       
       Sie selbst programmiert Abläufe des Zahlungsverkehrs der Post, eigentlich
       eine sichere Sache. Dumm nur: Das öffentliche Unternehmen Post ist ein
       unzuverlässiger Zahler, so wie die meisten Behörden, für die Almaviva
       arbeitet. Seit Beginn der Krise dauert es oft Monate, bisweilen auch mal
       ein Jahr, bis die Firma Geld sieht für ihre Dienstleistungen. Und die
       privaten Auftraggeber? „Die haben die Tarife gnadenlos zusammengestrichen.
       Deshalb geht auch bei uns die Angst um die Arbeitsplätze um.“
       
       Angst aber, sagt die 41-Jährige, hat sie vor allem um ihre kleine Tochter,
       gerade zwei Jahre alt. „Manchmal bin ich regelrecht verzweifelt, frage ich
       mich, ob sie überhaupt eine Perspektive in diesem Land hat, ob sie nicht am
       Ende ins Ausland gehen muss.“
       
       Auch für sich selbst fürchtet sie: Den Kündigungsschutz zum Beispiel hat
       die Regierung Monti deutlich geschwächt – „wenn Almaviva in schweres Wasser
       geraten sollte, können die uns jetzt ohne viel Federlesens loswerden.“ Ihr
       Mann, auch er IT-Experte, ist gerade zusammen mit den 80 Kollegen aus dem
       ursprünglichen Betrieb ausgegliedert und an einen französischen Konzern
       verkauft worden.
       
       ## Angst vor der Arbeitslosigkeit
       
       „Da fragen wir uns oft, ob wir in Zukunft noch den Kredit für die Wohnung
       bedienen können, wenn einer von uns beiden arbeitslos wird.“ Den Wunsch
       nach einem zweiten Kind hat Stefania erst mal auf Eis gelegt. Als
       Betriebsdelegierte der Metallgewerkschaft Fiom war es für Stefania von
       Anfang an klar, dass sie am 14. November mitstreiken würde, „auch wenn man
       das dann schmerzlich in der Lohntüte merkt“.
       
       Der Regierung Monti will sie Druck machen. „Außer streichen, streichen,
       streichen ist Monti bisher nichts eingefallen, nichts hat die Regierung für
       Wachstum, für Innovation getan.“ Vor allem ärgert sie sich, dass die großen
       Einkommen, die großen Vermögen bisher geschont wurden – wieso, fragt sie,
       soll die Einführung einer Vermögenssteuer nicht gehen?
       
       Und wieso schafft es Europa nicht, zu einer Regulierung der Finanzmärkte zu
       kommen? Solidarität wünscht sie sich auch von Deutschland mit den
       Krisenstaaten – und die könne durchaus mit Druck einhergehen. „Deutschland
       könnte viel energischer darauf bestehen, dass Italien zum Beispiel die
       exorbitante Steuerhinterziehung wirklich bekämpft“. MICHAEL BRAUN 
       
       ## Wir wähnten uns lange in Sicherheit
       
       ATHEN taz | Politik habe ihr früher fern gelegen, sagt Lila Bellou. Sie war
       ein typisches Kind der griechischen Wohlstandsgeneration aus den neunziger
       Jahren: Jurastudium in Athen, Nachdiplomstudium in Online-Recht in
       Frankreich, die Karriere fest im Blick. So erging es vielen ihrer Freunde
       und Kommilitonen.
       
       „Politik war kein Thema bei uns an der Uni. Anders als die Generation
       unserer Eltern haben wir ja keinen Bürgerkrieg erlebt und auch nichts
       mitbekommen von der griechischen Militärdiktatur, die 1974 zu Ende ging“,
       erinnert sich die 30-jährige Anwältin. „Lange Zeit haben wir uns in
       Sicherheit gewähnt und der Illusion hingegeben, es gebe gut bezahlte Jobs
       für alle, es könne nur aufwärtsgehen im Land.“
       
       Politik und Medien hätten alles getan, um diesen Eindruck zu verstärken,
       sagt Bellou: „Ende der neunziger Jahre trat Griechenland der Währungsunion
       bei und bekam zudem noch den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele
       2004. Uns schien alles möglich.“
       
       Seit 2007 führt sie ein gemeinsames Anwaltsbüro mit drei Kollegen in der
       Athener Innenstadt. Doch 2008 begann die Krise mit ersten
       Einkommenskürzungen, ihre großen Hoffnungen wurden enttäuscht. „Ab 2009 gab
       es kein Halten mehr: Hunderttausende verloren ihren Job, Mandanten ließen
       auf sich warten.“ Im Mai 2010 ging Bellou erstmals auf die Straße, um gegen
       die Sparmaßnahmen der damaligen sozialistischen Regierung zu protestieren.
       
       ## Vermummte mit Molotowcocktails
       
       Sie erlebte gleich einen Schock: „Am Demonstrationstag attackierten
       Vermummte eine Bankfiliale mit Molotowcocktails. Drei Menschen kamen dabei
       ums Leben. Eine Kollegin von mir war befreundet mit einem der Opfer.“ Auch
       am vergangenen Mittwoch war sie dabei, als das Parlament ein
       Mammutsparpaket für den öffentlichen Dienst mit knapper Mehrheit billigte.
       
       Man müsse einfach Flagge zeigen, sagt sie: „Es wäre leichtfertig und
       irgendwie auch engstirnig zu sagen, gut, ich arbeite nicht für den Staat,
       mich geht die Sache gar nichts an. Ich finde, wir haben lange genug unser
       politisches System mit Gleichgültigkeit bestrafen wollen und dabei nicht
       viel erreicht.“
       
       Am meisten empört Bellou die umfassende Deregulierung des Arbeitsmarktes,
       die das griechische Parlament in der vergangenen Woche im Eilverfahren
       billigte – auf Druck der internationalen Gläubiger, wie es hieß. So etwas
       könne man nicht einfach hinnehmen, findet die junge Anwältin, denn hier
       ginge es um Fundamentalrechte, um die viele Generationen hart gekämpft
       haben: „Dass der Staat einfach den Mindestlohn abschafft, will mir nicht in
       den Kopf und widerspricht auch allem, was ich an der Uni gelernt habe. Mich
       wundert vor allem, dass Europa so etwas zulassen will“. JANNIS
       PAPADIMITRIOU 
       
       *Noch mehr Stimmen der Empörten finden Sie morgen auf taz.de
       
       14 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
 (DIR) Jannis Papadimitrou
       
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