# taz.de -- Frauen in der „New York Times“: Stinktier auf der Gartenparty
       
       > Jill Abramson ist seit gut einem Jahr Chefredakteurin der „New York
       > Times“. Die bekennende Demokratin verwandelt ihre Redaktion nun in eine
       > Feministinnenoase.
       
 (IMG) Bild: Seit einem Jahr mit einer Frau an der Spitze: die Redaktion der „New York Times“.
       
       Es gab eine Zeit, da hatten Frauen in der New York Times nichts zu sagen.
       Iphigene Ochs, einzige Tochter des Altverlegers Adolph Ochs, durfte weder
       schreiben noch nach dem Tod ihres Vaters 1935 die Geschicke der Zeitung
       bestimmen; ihr Ehemann Arthur Hays Sulzberger übernahm das Blatt.
       
       Times-Korrespondentin Anne O’Hare McCormick, die Mussolini, Stalin und
       Hitler interviewt und den Pulitzerpreis erhalten hat, bekam lange keinen
       Vertrag. Noch in den Sechzigerjahren war die Times ein Old Boys Club in
       dunkel getäfelten Sälen. Susan Chira, heute stellvertretende Chefin vom
       Dienst, erzählte dem New Yorker, als sie 1981 bei der Times anfing, seien
       viele Frauen „traurig, bitter, und wütend“ gewesen: durchaus begabt, aber
       daran gehindert, ihr Talent auszuleben.
       
       Seit etwas über einem Jahr hat die Times die erste Chefredakteurin, Jill
       Abramson. Die nicht allzu große, schlanke 58-Jährige mit einer Tätowierung
       auf der Schulter (ein New Yorker Subway-Token) hat seit diesem September
       2011 ein turbulentes Jahr hinter sich. Erst vor ein paar Wochen
       protestierten Times-Gewerkschafter vor dem neuen, lichtdurchfluteten
       Wolkenkratzer für höhere Löhne – ein Arbeitskampf, der mit einem lauen
       Kompromiss endete.
       
       Der Präsidentschaftswahlkampf war kräftezehrend und auch die Times selbst
       hat harte Zeiten sowohl hinter wie vor sich. Der Aktienkurs ist
       eingebrochen, Tochterzeitungen wurden mit Verlust abgestoßen, das Stammhaus
       verkauft, ein Wucherkredit aufgenommen, der Wandel zum Onlinemedium zwar
       begonnen, aber wirkliches Geld damit noch nicht verdient. Dass Frauen ans
       Ruder dürfen, wenn die Krise hochschäumt, ist nicht ungewöhnlich.
       
       Und Abramson ist zäh: Als sie vor ein paar Jahren von einem Lastwagen fast
       totgefahren wurde, dirigierte sie vom Krankenhaus aus die Berichterstattung
       weiter. Abramson stammt aus einer dieser intellektuellen ultraliberalen New
       Yorker Familien aus Manhattans Upper West Side, die gut als Schauplatz für
       einen Woody-Allen-Film dienen könnten. „Mein Vater war Hutmacher, er hatte
       damals das Angebot, in das Filmstudio von Samuel Goldwyn zu investieren“,
       erzählte sie einmal Journalistikstudenten. „Er lehnte ab: Diese bunten
       Bilder seien bloß kurzlebige Spielerei, Frauen dagegen würden immer Hüte
       tragen.“
       
       ## „Ersatz für Religion“
       
       In der Familie galt die Times als „Ersatz für Religion“. Und ihr war der
       Weg zum „Walhalla“, wie sie dieses Blatt nannte, vorgezeichnet:
       Säkular-jüdische Privatschule, danach Harvard, wo sie Theaterkritiken für
       die Campuszeitung schrieb; Kommilitonen erinnern sich an eine geistreiche
       Kosmopolitin, immer einen lockeren Kommentar auf den Lippen – heute gilt
       sie eher als kurz angebunden.
       
       Ein erster Recherchejob bei NBC. Dann leitete sie Brill’s Magazine, ein
       juristisches Fachblatt, als erste Frau – um danach ein Buch über die
       Probleme, die Frauen im Rechtswesen bereitet werden, zu schreiben. Sie
       wechselte zum Wall Street Journal, aber eigentlich wollte sie immer zur
       Times. 
       
       Die unsichtbare Hand bei der Times, die heute Frauen fördert, ist der alte
       Verleger, Arthur O. Sulzbergers jr.; er hatte auch Janet Robinson zur
       ersten Vorstandschefin der Company gemacht. Und die Idee, Abramson zu
       holen, kam von der liberalen Kolumnistin Maureen Dowd. Die Kollegin war ihr
       aufgefallen, weil sie mit Jane Mayer, heute investigative Reporterin beim
       New Yorker, ein Buch über die umstrittene Berufung von Clarence Thomas an
       das Verfassungsgericht geschrieben hatte; Thomas war sexuelle Belästigung
       vorgeworfen worden.
       
       1997 wurde Abramson ins Washingtoner Büro berufen, drei Jahre später wurde
       sie dessen Chefin. Eine aufregende, wenn auch auslaugende Zeit. George W.
       Bush war Präsident. „Ich kam mir bei Empfängen vor wie ein Stinktier auf
       der Gartenparty“, sagte die New Yorkerin einmal. Die Times kritisierte Bush
       oft, aber Judith Miller, die Pentagon-Korrespondentin, ließ sich von dessen
       Subalternen die Entdeckung der irakischen Massenvernichtungswaffen in den
       Block diktieren. Es war Abramson, die letztlich Alarm schlug: Miller müsse
       gestoppt werden. Miller, die heute für das Wall Street Journal arbeitet,
       will das nicht kommentieren. Am Ende trennte sich das Blatt von Miller.
       
       ## Er oder ich
       
       Auch mit Howell Raines, damals Chefredakteur, legte sich Abramson an. Als
       der anfing, das Washingtoner Büro zu managen, ging sie zum Verleger und
       machte klar: Er oder ich. Dabei hatte sie – so der New Yorker –,
       Rückendeckung von Vorstandschefin Robinson. Letztlich wurde Raines nicht
       nur wegen seiner strittigen Mitarbeiterführung gefeuert, sondern weil er
       den Skandal um den plagiierenden Reporter Jayson Blair zu verantworten
       hatte. Abramson, die sich offen gegen Raines gestellt hatte, wurde zur
       Chefin vom Dienst befördert.
       
       Die politische Spaltung Amerikas, wo Konservative schon lange das Gefühl
       haben, eine liberale großstädtische Elite bestimme die Agenda des Landes
       allein, berührt auch die Times. Oft wurde dem Blatt – das eine
       Wahlempfehlung für Obama aussprach – vorgeworfen, es favorisiere die
       Demokraten, auch kürzlich, als Leser aufgefordert wurden, Fragen an
       Abramson zu mailen. „Zu unseren Standards für Gründlichkeit und
       Qualitätsjournalismus gehört es, Nachrichten und Meinung zu trennen“,
       antwortete sie auf eine kritische Frage. Aber natürlich ist sie Demokratin.
       
       Dass die Times Frauenrechte befürwortet, geschieht nicht erst seit
       Abramson. Bei ihrer Ernennung sagte sie, sie stehe auf den Schultern
       starker Frauen; seit ihrem Amtsantritt werden weit mehr Frauen befördert
       als je zuvor. Susan Chira etwa, Abramsons rechte Hand; Carolyn Ryan, die
       erste Lokalchefin; Margaret Sullivan, die erste weibliche „Public Editor“,
       die im Blatt ausbreitet, wie die Redaktion mit umstrittenen Themen umgeht.
       Margaret bringe „frische Energie für den Job mit“, weil sie viel Erfahrung
       mit Bloggen und anderen digitalen Formen habe, erklärte die
       Chefredakteurin.
       
       Und das ist letztlich ihre wichtigste Aufgabe: der Übergang zur Digitalära,
       ein Gesamtkunstwerk aus Videos, Leserkommentaren und Fotos, Blogs,
       Audiodebatten, angedockten Statistiken, Applikationen und Werbung, Twitter
       und Facebook. Als Erstes ließ Abramson einen Bildschirm im Newsroom
       installieren, sodass die Blattmacher immer vor Augen haben, was online
       läuft.
       
       Welchen Bestand das neue feministische Paradies bei der Times hat, wird man
       sehen. Abramsom selbst findet, es gebe „noch sehr viel Raum zur
       Verbesserung“. Sulzberger, der das möglich machen könnte, ist oft unter
       Beschuss – erst in diesen Monaten wieder. Er musste Vorstandsfrau Robinson
       gehen lassen. Ihrem Nachfolger Mark Thompson, der von der BBC kam, wird
       vorgeworfen, den Pädoskandal um Jimmy Savile unter den Teppich gekehrt zu
       haben. Früher mussten Times-Chefredakteure behutsam in den Ruhestand
       gedrängt werden. Heute sind sie längst nicht mehr so langlebig. Auch wenn
       sie so zäh wie Abramson sind.
       
       19 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva C. Schweitzer
       
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