# taz.de -- Debatte SPD-Kanzlerkandidat: Der rechte Kandidat
       
       > Die SPD steuert mit Peer Steinbrück am Ruder einen gefährlichen Kurs.
       > Doch einen besseren Ersatzkapitän haben sie nicht.
       
 (IMG) Bild: Jetzt muss die SPD ihren Kandidaten wärmen!
       
       Es ist leicht, sich bei Peer Steinbrück von den Antipathien leiten zu
       lassen, die der Kanzlerkandidat der SPD in spe so vielfältig gegen sich
       mobilisiert. Steinbrück ist ein Mann aus der Ministerialbürokratie, der oft
       kalt, eitel, arrogant wirkt. Aber es geht um Macht.
       
       Da ist es besser, die Dinge nicht mit heißem Herzen, sondern besonnen vom
       Ende her zu betrachten und sich somit am trockenen Pragmatismus von Angela
       Merkel zu orientieren. Nutzt es, den Kandidaten Steinbrück auszuwechseln?
       Steigen die Chancen der SPD mit einem anderen Kandidaten? Mit wem?
       
       Richtig ist: Wenn schon im Sommer klar gewesen wäre, wie viel gut dotierte
       Vorträge Steinbrück gehalten hat, wäre er kaum Kandidat geworden. Die SPD
       hat nur eine Chance, wenn sie Merkel an der sozialen Flanke attackiert.
       Dazu passt ein Kandidat, der sich nur selten im Bundestag sehen lässt und
       viel Geld für Reden anderswo kassiert, wie Marmelade zu Senf.
       
       Es gab zuvor das Kalkül, dass Steinbrücks Qualitäten in der Krise, die 2013
       Deutschland erreicht, zum Vorschein kommen. Ihm traut man zu, Unangenehmes
       auszusprechen, er verkörpert die Härte, die man in Krisen braucht, so
       jedenfalls seine Selbstinszenierung. Im besten Falle sollte Steinbrück beim
       unteren Fünftel der Gesellschaft (zumindest dessen männlichem Teil)
       punkten.
       
       ## Steinbrück auf Klientelsuche
       
       Die Klientel aus Geringverdienern und Arbeitslosen zählte früher zur
       sozialdemokratischen Stammwählerschaft. Doch sie hat sich, aller
       Aufstiegshoffungen längst beraubt, in spektakulärem Ausmaß aus der Politik
       zurückgezogen. 1980 lag der Unterschied in der Wahlbeteiligung zwischen dem
       oberen und dem unteren Fünftel bei 3 Prozentpunkten, 2009 bei 32.
       
       Das letzte Mal, dass die SPD von der Unterschicht an die Macht gewählt
       wurde, war 1998. Damals trat Gerhard Schröder mit einer Mixtur aus
       Sozialpopulismus (der an der Regierung schnell im Wandschrank verschwand)
       und markigen Law-and-Order-Sprüchen an. Der Mittelschicht versicherte
       Schröder, wie Steinbrück ein rechter Sozialdemokrat, dass es ganz
       pragmatisch zugehen werde.
       
       Nach diesem Muster sollte, so der Traum der SPD-Strategen, auch der
       Kandidat Steinbrück 2013 funktionieren. Das Raue, Machohafte, Kantige des
       Kandidaten sollte die Unterschicht ansprechen, die bei Kik kauft, grünen
       Lifestyle verachtet und auch wenig Antennen für die weichgespülte, mittige
       Merkel-CDU hat. Zudem sollte Steinbrück, der wie Clement stets zum
       Industrieflügel der SPD zählte, bei Wirtschaftsverbänden und obererer
       Mittelschicht reüssieren, die nach all dem handwerklichen Stümpern von
       Schwarz-Gelb kuriert sein müssten.
       
       Außerdem gibt es sogar die begründete Hoffnung, dass eine rot-grüne
       Steinbrück-Regierung mit mehr Steuern für Reiche Ernst machen würde. Der
       Zeitgeist ist eher pro-etatistisch, und die Schuldenbremse zwingt zu mehr
       Staatseinnahmen.
       
       ## Talente mit Schwächen
       
       Steinbrück 2012 ist nicht Schröder 1998. Nicht alles was hinkt, ist ein
       Vergleich. Von den Hoffnungen der Steinbrück-Unterstützer ist nicht viel
       übrig. Als Projektionsfläche für Unterschichtswähler ist der
       Vortragsmillionär disqualifiziert. Was bleibt, ist die Hoffnung auf die
       Vergesslichkeit des Publikums. Es sieht nicht gut aus.
       
       Was nun? Was braucht die SPD für einen Kanzlerkandidaten? Der ideale
       Kandidat wäre intellektuell wie Steinbrück, solide und verlässlich wie
       Steinmeier und volkstribunhaft wie Gabriel. Leider sind Talente und
       Schwächen äußerst gleichmäßig auf die Troika verteilt. Frank-Walter
       Steinmeier war 2009 eine Fehlbesetzung. Er verkörpert die mittlere
       Vernünftigkeit des Technokraten, die ihn unbrauchbar für harte Kontroverse
       macht.
       
       Sigmar Gabriel hat etwas Unstetes und Wankelmütiges. Man weiß bei ihm nie
       genau, was morgen ist. Das passt, nun ja, nicht unbedingt ins
       Anforderungsprofil eines Kanzlers. Es war deshalb eine kluge Entscheidung
       von Gabriel, angesichts bescheidener Sympathiewerte im Vergleich zu Merkel
       auf seine Kandidatur zu verzichten. Denn es wird 2013 sehr auf Personen
       ankommen, vielleicht mehr als sonst. Es wird Rot-Grün kaum gelingen, der
       fest in der Mitte verwurzelten Merkel ein Thema aufzuzwingen.
       
       ## Partei ohne Kandidaten
       
       Energiewende ist etwas für Fachleute, in der Eurokrise stimmen SPD und
       Grüne brav mit der Kanzlerin. Es bleibt die Gerechtigkeit. Doch ob ein
       bisschen höhere Steuern für die obere Mittelschicht das Thema sind, das
       Merkels Teflonschicht im Wahlkampf durchschlägt, ist fraglich. Weil uns
       wohl ein Wahlkampf ohne harte, zentrale Kontroverse droht, zählt das
       Habituelle der Kandidaten umso mehr. Da wäre Poltergeist Gabriel völlig
       chancenlos gegen die versierte, ausgleichende Merkel.
       
       Kurzum: Eine dramatische Rückholaktion des Kanzlerkandidaten nutzt der SPD
       nichts, weil auch die Ersatzleute Steinmeier und Gabriel ins Auge
       springende Defekte haben. Hannelore Kraft, die Merkel gefährlich werden
       könnte, will nicht und hat dafür einen guten Grund. Wenn Kraft gegen alle
       Versprechungen doch NRW den Rücken zuwendet, zerstört sie die Quelle ihres
       Erfolges: ihre Authentizität.
       
       Die SPD verhält sich daher rational. Sie steht demonstrativ hinter
       Steinbrück, auch wenn der das Willy-Brandt-Haus mit abseitigen
       Personalentscheidungen traktiert. Die Partei folgt damit der Einsicht, dass
       es selbstzerstörerisch ist, einen schwankenden Kandidaten zu schwächen,
       wenn man keine Alternative hat. Das wirkt wie eine Wagenburg, ist aber
       konsequent.
       
       ## Masochistische SPD
       
       Und auch komisch. Es war ja Steinbrück, der die Genossen als Heulsusen
       verhöhnte. Kanzlerkandidat wurde er, weil er in das Anforderungsprofil
       passt, dass nur SPD-Politiker, die ihre Partei mitunter wie einen Haufen
       Schwererziehbarer behandeln, als Kanzler in Betracht kommen.
       
       In der CDU und CSU wäre es unvorstellbar, einen Kanzlerkandidaten zu küren,
       der die eigene Partei verachtet. In der SPD gilt dieser Masochismus als
       normal. Das mag ein fernes Echo der Zeiten sein, als die SPD vom Bürgertum
       aus dem nationalen Diskurs ausgegrenzt wurde. Um zu regieren, muss sie sich
       verbiegen.
       
       Das Einzige, was bei Steinbrück derzeit noch auf der Habenseite steht, ist
       die eisern disziplinierte Partei, die ihm, trotz aller Fauxpas,
       applaudiert. Das ist schon kurios.
       
       9 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Stefan Reinecke
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