# taz.de -- Kommentar Atompolitik: Schleichendes Gift
       
       > In Deutschland wird die Energiewende mittlerweile als Chance begriffen.
       > In Japan nicht. Dort hat der Klüngel aus Politik, Medien und Wirtschaft
       > das Land im Griff.
       
 (IMG) Bild: Keine Energiewende in Sicht: Journalisten in Fukushima.
       
       Verkehrte Welt: Vor einem Jahr und neun Monaten wurde Japan von der größten
       Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg erschüttert – Erdbeben, Tsunami,
       Kernschmelzen. Während ein Land am anderen Ende der Welt, nämlich
       Deutschland, den endgültigen Ausstieg aus der Atomenergie beschloss und
       bisher einigermaßen unbeirrt vollzieht, wählt Japan mit Shinzo Abe nun
       einen Premierminister, der an der Atomkraft festhalten will.
       
       Als erste Amtshandlung verkündet er, einige momentan abgeschaltete Meiler
       so schnell wie möglich wieder ans Netz zu nehmen. Das wollte die bisher
       regierende Demokratische Partei zwar grundsätzlich auch, allerdings mit der
       Aussicht auf einen Atomausstieg bis zum Jahr 2030.
       
       Doch was in Japan ein Premierminister ankündigt, hat ungefähr die
       politische Verbindlichkeit der Neujahrsansprache der deutschen
       Bundeskanzlerin. Seit Abes erster Amtszeit von September 2006 bis September
       2007 ist er der sechste Premierminister in fünf Jahren.
       
       Seine erneute Wahl ist kein Votum für Atomkraft. Die Mehrheit der Japaner
       spricht sich in Umfragen gegen sie aus. Die Wahl ist ein Votum gegen die
       seit September 2009 regierende Demokratische Partei. Der Frust über den
       ständigen Bedeutungsverlust des Landes und seine politische Klasse zeigt
       sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung.
       
       Wahrscheinlich wird Abes anachronistische Politik von der Geschichte
       überrollt werden. Fukushima hat in Japan eine Veränderung angestoßen,
       ähnlich wie die radioaktive Wolke aus Tschernobyl 1986 in Deutschland. Zwar
       gab es damals auch in Japan eine Anti-Atom-Bewegung, doch die hat es nie in
       die gesellschaftliche Mitte geschafft. Fukushima hat dem Land vor Augen
       geführt, wie sehr der von Atomkonzernen gesteuerte Klüngel aus Politik,
       Medien und Wirtschaft das Land im Griff hat. Für die alte Machtelite sind
       die zerstörten Reaktoren ein ähnlich schleichendes Gift wie die
       radioaktiven Partikel, die sich über Jahrzehnte im Körper der Menschen in
       der Präfektur Fukushima ansammeln werden. Doch Veränderungen, zumal in
       Japan, brauchen Zeit. Noch fehlt dem Land die Alternative – nicht
       technisch, sondern politisch und administrativ.
       
       Dem Atomausstieg in Deutschland ging nicht nur ein jahrzehntelanger
       gesellschaftlicher Konflikt voraus. Seit den frühen Neunzigerjahren hat
       sich eine industrielle Basis für eine neue Energieversorgung aufgebaut.
       Unter Rot-Grün hat sich daraus eine mächtige Industrie entwickelt. Die
       Erzählung hierzulande: Wir bauen Windmühlen und Solarzellen, fühlen uns gut
       und verdienen auch noch Geld damit. Die alte Energiewirtschaft in
       Deutschland hat allmählich ihren Einfluss auf Parteien und Verwaltung
       verloren – und begreift die Energiewende heute eher als Chance denn als
       Bedrohung.
       
       Dieses Zusammenspiel fehlt in Japan. Deutschland steigt nicht aus einer
       irrationalen German Angst aus der Atomkraft aus, sondern weil Fukushima
       gezeigt hat, dass auch in Industrieländern mit höchsten
       Sicherheitsansprüchen der Super-GAU droht. Auch wenn die Risiken hier
       andere sind als an der japanischen Küste. Und vor allem: Deutschland hat
       einen Plan B, Japan nicht. Unbeeindruckt von amtierenden Premierministern
       regieren dort die Bürokraten in den Ministerien. Hauptsächlich von ihnen
       hängt es ab, ob und wann sich Japan von der Atomenergie verabschieden wird.
       
       27 Dec 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
       
       ## TAGS
       
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