# taz.de -- Schlagloch Ägypten: Heldinnen werden gelöscht
       
       > Die Muslimbrüder zensieren jetzt die Schulbücher. Frauen werden aus der
       > Geschichte und dem Gedächtnis gelöscht. Muss ich umdenken?
       
 (IMG) Bild: Ein siebenjähriges Mädchen macht in der Wohnung ihrer Familie in Kairo Hausaufgaben.
       
       In Dantes „Göttlicher Komödie“ gelingt den Dichtern ihre Flucht aus der
       Hölle kurz vor Ostern im Jahr 1300. Cato von Utica – der Hüter des Tors zum
       Fegefeuer – betrachtet sie zunächst als eine Art unfreiwillige Flüchtlinge
       und fordert von ihnen Beweise für ihre Schuld. Erst dann dürften sie sich
       im Fegefeuer von ihren Sünden reinigen. Die Dichter fügten sich und fanden
       sich bald am Fuß vom Berg des Fegefeuers wieder und schickten sich an,
       diesen hinaufzuklettern.
       
       Es gibt eine Analogie zwischen Dantes Dichtern und Ägyptens Revolutionären,
       zwischen der Last der Geschichte und Dantes Hütern des Tors zum Fegefeuer.
       
       Zwei Jahre nach der ägyptischen Revolution haben sich die
       Interpetationsfronten weiter verhärtet – zumindest unter den politisch
       Denkenden – und ihre Zahl ist in Ägypten sprunghaft angestiegen. Spätestens
       seit Präsident Mursis Erlass vom 22. November 2012 stehen auf der einen
       Seite diejenigen, die den Muslimbrüdern vorwerfen, faschistische Tendenzen
       und versteckte Agenden zu haben. Den Prozess, die neue Verfassung durch ein
       Referendum absegnen zu lassen, beschreiben sie entsprechend als
       „Durchmarsch“.
       
       Auf der Gegenseite versammeln sich alle, die finden, dass die
       nichtislamistischen Kräfte völlig zu Unrecht das Ergebnisse der Wahlen
       ablehnen, immerhin waren diese fair. Dass sie jetzt auch noch den
       Verfassungsentwurf und den Ratifizierungsprozess als illegitim
       charakterisieren, erscheint ihnen als Gipfel der Unverschämtheit. Die
       Stimmung ist düster; die Flitterwochen der Revolution sind zweifellos
       beendet. Bleibt die Frage: Braucht Ägypten mehr Romantik oder mehr
       Pragmatismus?
       
       ## Kein Koknsens über gemeinsame Zukunft
       
       Das größte Problem ist, dass es nur einen kleinen bis gar keinen Konsens
       darüber gibt, wie eine gemeinsame Zukunft aussehen könnte. Intuitiv setzen
       beide Seiten auf kreative Destruktion – mach alles nieder, was da ist, und
       fang noch mal von vorne an (wie das gehen soll, wird dabei selten
       dargelegt). Oder: Schütze die verbliebene Stabilität um jeden Preis, auch
       wenn das bedeutet, mit dem Teufel zu kooperieren. Die Gretchenfrage ist und
       bleibt: In welchen Punkt sind die Ängste vor den Islamisten gerechtfertigt?
       
       Den Islamisten haftet entweder der Ruf an, sie würden das Land in den
       Abgrund stürzen. Mit diesem Albtraumszenario stilisieren sich autoritäre
       Regime als notwendiges Bollwerk – ein gigantischer Siegeszug mangelnder
       Fantasie. Das prominenteste Beispiel ist die Herrschaft von Bashar
       al-Assad. Variante 2: Die Muslimbrüder werden als authentische Figuren des
       Widerstands gehandelt. Dieser Mythos wurde in den letzten Wochen
       geschleift. Die Religiösen wurden einer beispiellosen Realitätsprüfung
       unterzogen.
       
       Was die Scharia angeht, ist es sicher richtig, dass es bei dieser
       Diskussion mehr darum geht, eine symbolische Autorität zu erheischen, als
       darum, tatsächlich die Gesetze zu ändern. Ein Blick in die Geschichte
       genügt. 1970 forderten die Muslimbrüder vehement die Einführung der Scharia
       – und lenkten schließlich ein. Am Ende war es in Ordnung, dass die Scharia
       nur noch eine islamische Referenz für die ägyptische Verfassung bildete.
       
       ## Doria Shafiq? Weg damit!
       
       Viele, die sich gegenwärtig über Mursis Erlass und die politisch
       tolpatschigen Muslimbrüder aufregen, sehen ihre Wut durch Unterstellungen
       geadelt, die „Brüder“ benutzten die Demokratie nur, um rechtstaatliche
       Institutionen mit ihrer Ideologie zu tränken. Genau diese Annahme hielt ich
       noch bis vor kurzem für haltlos. Ich fand schlicht keine Belege dafür, dass
       die Brüder ihre Macht anders einsetzten als andere Politiker in ihrer
       Position.
       
       Und dann erfuhr ich das: Das neue von den Islamisten dominierte
       Erziehungsministerium hat die ägyptische Feministin Doria Shafiq
       (1908–1975) aus den neuen Schulbüchern für 2013/14, für die Klassen 11 und
       12, tilgen lassen. Zusammen mit den Bildern der Toten der Revolution. Als
       Grund gab der Berater für Philosophie und Nationale Erziehung des
       Ministeriums, Mohamed Sherif, an, „dass einige religiöse Satelliten
       Programme Shafiq ablehnten, da sie keinen Hidschab trage“.
       
       Aber wer ist dieser „Mohamed Sherif“? Dieser Name ist in Ägypten so häufig!
       Heißt das, dass am Ende „irgendeiner“ entscheiden kann, dass man jetzt mal
       Doria Shafiq aus den Geschichtsbüchern streicht? Doria Shafiq, die 1951
       gemeinsam mit Hunderten Streiterinnen das ägyptische Parlament stürmte, um
       das aktive und das passive Wahlrecht für Frauen einzuklagen.
       
       Doria Shafiq, der ein Posten an der Universität verweigert wurde, nachdem
       sie ihren Doktor in Philosophie an der Sorbonne in Paris gemacht hatte,
       weil – man sagte das offen– sie nun mal eine Frau sei. Doria Shafiq, die
       Nasser 18 Jahre lang unter Hausarrest stellen ließ, bis sie sich 1975 vom
       Balkon stürzte und starb. Doria Shafiq, die auf Nassers Anordnung hin aus
       den Geschichtsbüchern gelöscht wurde. Ja, das hat eine ägyptische Regierung
       schon mal gemacht. Auch sie begann als revolutionär und endete als Diktatur
       – und sie läutete den schleichenden Ruin des Landes ein.
       
       ## Berg des Fegefeuers
       
       Ich sollte also etwas weniger Geduld mit den Muslimbrüdern haben. Denn es
       gibt ein Muster. Frauen werden buchstäblich aus der Geschichte und dem
       Gedächtnis gelöscht. Wieder mal.
       
       Da stehen wir also, zwei Jahre nach unserer Revolution. Wir stehen ganz
       unten Berg des Fegefeuers – nachdem wir aus der Hölle geklettert sind – und
       wir sollen geduldig sein und Demütigungen hinnehmen. Die Sehnsucht nach
       einer neuen (Revolutions-)Romantik, um gegen die Enttäuschungen
       anzukämpfen, beißt sich mit unserem Pragmatismus, das gegenwärtige
       Arrangement funktionieren zu lassen, immerhin ist es eine Frage des
       Überlebens.
       
       Das ist nicht die Revolution, die wir wollten. Und so wichtig es ist, dass
       gerade die lautesten unter uns besser mit der Regierung zusammenarbeiten –
       wenn diese weiter unsere Zeit verschwendet, dann müssen wir sie in einem
       legitimen politischen Prozess wieder loswerden. Das Erbe der Revolution vom
       25. Januar 2011 ist vielleicht genau das: Wir wissen, dass das möglich ist.
       
       18 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sarah Eltantawi
       
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