# taz.de -- Weltwirtschaftsforum in Davos: Tüten kleben für einen Dollar am Tag
       
       > Bei der Simulation „Kampf ums Überleben“ bekommen Politiker und Manager
       > einen Eindruck, wie sich Armut anfühlt. Und das mitten in Davos.
       
 (IMG) Bild: Irgendjemand muss auch diese Tüte kleben ...
       
       DAVOS taz | Die fünfköpfige Familie hockt auf der zwei mal zwei Meter
       großen Plane. Mit selbstgemachtem Leim aus Mehl und Wasser kleben sie
       Papiertüten aus alten Zeitungen. Hunderte davon müssen sie täglich
       verkaufen, um das Geld für Essen, Wasser und die Miete zu verdienen.
       
       Diese Szene könnte sich in irgendeinem Slum auf dieser Welt abspielen.
       Diesmal ist es eine Simulation, eine Art Theater mit Zuschauerbeteiligung,
       die die Wohltätigkeitsorganisation Crossroads aus Hongkong veranstaltet.
       Sie heißt „Kampf ums Überleben“ und findet im Schweizer Skiort Davos statt,
       auf dem diesjährigen World Economic Forum (WEF).
       
       Der Vater bringt die Tütenstapel zum Slumlord. Der zerreißt die Hälfte der
       Lieferung und lässt sich erst nach Beschimpfungen und Drohungen dazu herab,
       ein paar Scheine rauszurücken. Der Mann eilt zurück, weiter Tüten kleben.
       
       Die Simulation soll den Teilnehmern für eine Stunde einen Einblick
       verschaffen, was es bedeutet, auf dem niedrigsten Niveau der Gesellschaft
       zu leben – also beispielsweise wie jeder siebte Mensch auf der Welt mit
       einem Dollar pro Tag auszukommen. „Bleibt am Leben, lasst eure Familie
       nicht sterben“ ist die Vorgabe von Crossroads-Manager David Begbie.
       
       ## Mächtige und Ohnmächtige
       
       Rund 100.000 Interessierte hat Crossroads binnen sieben Jahren durch 30
       Simulationen geschleust. Viele davon Manager von Unternehmen – eine
       wichtige Zielgruppe: Crossroads will Kontakte herstellen zwischen den
       Mächtigen und den Vertretern der Ohnmächtigen, um beispielsweise sinnvolle
       Entwicklungsprojekte anzuschieben.
       
       Eine Veranstaltung wie „Kampf ums Überleben“ gab es früher in Davos nicht.
       Doch das Forum hat sich verändert, seit die globalisierungskritische
       Bewegung nach der Jahrtausendwende als Gegenveranstaltung den
       „Weltsozialgipfel“ organisierte und gegen den „Weltwirtschaftsgipfel“ in
       Davos aufrief. WEF-Chef Klaus Schwab und seine Mitarbeiter hielten es
       deshalb für ratsam, einige der neuen Akteure einzubeziehen.
       
       Diese allerdings werden sorgfältig ausgewählt. Organisationen, die die
       Umweltzerstörungen durch Konzerne oder die schlechten Arbeitsbedingungen
       etwa in asiatischen Textilfabriken kritisieren, sind nicht beteiligt,
       manche wollen sich auch nicht einbinden lassen. Stattdessen gibt es etwa
       die „Young Global Leaders“: Sozialunternehmer mit Firmen, deren
       Geschäftszweck die Linderung eines sozialen Missstandes ist und deren
       Profite nur diesem Ziel zugutekommen.
       
       ## „Die Zeit der Zivilgesellschaft“
       
       Manche Werbeslogans deuten darauf hin, dass das auch die anderen Teilnehmer
       beschäftigt. Die Unternehmensberatung KPMG beispielsweise ist am Hotel
       Steigenberger-Belvedere, wo viele Firmen ihr Hauptquartier aufgeschlagen
       haben, großformatig mit dem Spruch vertreten: „Die Zeit der
       Zivilgesellschaft ist gekommen“. Und natürlich gelobt jeder Firmenchef,
       dass er den ökologischen Fußabdruck seines Unternehmens verringern und dazu
       beitragen wolle, die Armut zu reduzieren.
       
       Bei den Teilnehmern der jüngsten Simulation jedenfalls hat das Experiment
       Eindruck hinterlassen. Nach einer Stunde Bodenhocken und Tütenkleben,
       umgeben von Krach, Dreck, Schrott und Erniedrigungen, berichten einige in
       der abschließenden Runde, sie könnten sich jetzt „ein bisschen besser
       vorstellen, was Schutz- und Ausweglosigkeit ist“.
       
       24 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Davos
 (DIR) Weltwirtschaftsforum
 (DIR) Davos
 (DIR) WEF
 (DIR) Davos
 (DIR) Weltwirtschaftsforum
 (DIR) Weltwirtschaftsforum
 (DIR) ILO
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) World Economic Forum in Davos: Verschnaufen und Aufatmen
       
       Entspannt ist das diesjährige World Economic Forum in Davos zu Ende
       gegangen. Die Europanik des vergangenen Jahres ist verflogen.
       
 (DIR) Kommentar Weltwirtschaftsforum: Euroland ist nicht abgebrannt
       
       Die Pessimisten des letztjährigen Davoser Forums 2012 haben sich geirrt.
       Der Zerfall der Eurozone konnte verhindert werden - vor allem dank der EZB.
       
 (DIR) Die Magie des WEF in Davos: Auf dem Zauberberg
       
       Ich hätte da so eine Geschäftsidee… Was einen Sozialunternehmer, einen
       Unternehmensberater und einen Drogerieketten-Manager an Davos reizt.
       
 (DIR) Weltwirtschaftsforum in Davos: „Wir müssen mehr Steuern zahlen“
       
       US-Ökonom Barry Eichengreen über die Welt nach der großen Krise, die
       Wichtigkeit des Euro und die Furcht vor einer Wachstumsschwäche.
       
 (DIR) Industrieländer ohne Innovationen: Wasserklosett in weiter Ferne
       
       Ökonomen debattieren, warum die Wachstumsraten der Wirtschaftsnationen
       immer weiter abnehmen. Ein Grund könnte der Mangel an Neuerungen sein.
       
 (DIR) Globale Arbeitslosigkeit: Rezession vernichtet 5 Millionen Jobs
       
       2013 wird es weltweit über 200 Millionen Arbeitslose geben, befürchtet die
       UN. Der Trend soll anhalten und werde vor allem junge Frauen betreffen.
       
 (DIR) Bericht des Weltwirtschaftsforums: Viel für wenige, wenig für viele
       
       Das Weltwirtschaftsforum warnt in seinem Bericht zur Bewertung globaler
       Risiken vor sozialer Ungleichheit. Wenig beeindruckend, findet Attac.