# taz.de -- Britische Polizeispitzel: Mit den Namen toter Kinder
       
       > V-Männer im Protestmilieu borgten sich ihre falsche Identität von
       > verstorbenen Kindern. Die Eltern wussten von nichts. Einer der Ermittler
       > spricht von Stasi-Methoden.
       
 (IMG) Bild: Polizeibeamte beim Identitätsbasteln am Themseufer.
       
       Die Metropolitan Police, Londons Polizeibehörde, hat ihren Spitzeln in den
       Protestbewegungen die Identität von rund 80 verstorbenen Kindern verpasst
       und ihnen zu diesem Zweck auch Papiere mit den Namen der Toten ausgestellt.
       Dies geschah, ohne die Eltern der Kinder darüber in Kenntnis zu setzen. Das
       polizeiliche Vorgehen ist von der britischen Tageszeitung The Guardian
       aufgedeckt worden, die darüber [1][am Montag] berichtete.
       
       Drei Jahrzehnte lang hätte die Polizei die nationalen Geburts- und
       Sterberegister nach geeigneten Identitäten und Namen durchforstet.
       Basierend auf den Angaben zu den Toten gaben sich die verdeckten Ermittler
       Pseudonyme und wurden mit den entsprechenden Identitätsnachweisen
       ausgestattet, z.B. mit Führerscheinen und Versicherungsnummern. Einige der
       Polizisten täuschten ihre solchermaßen gefakte Identität über einen
       Zeitraum von bis zu zehn Jahren vor.
       
       In einer Stellungnahme teilte die Metropolitan Police mit, sie könne den
       verdeckten Einsatz individueller Beamter weder bestätigen noch dementieren,
       die Annahme von Namen verstorbener Kinder sei aber „gegenwärtig nicht
       autorisiert“. Sie kündigte eine Untersuchung vergangener Arrangements für
       Undercover-Identitäten an, wie sie insbesondere von den Beamten der SDS,
       der 2008 aufgelösten Special Demonstration Squad, benutzt wurden, einer
       Spezialeinheit, die zur Beobachtung von Demonstranten eingesetzt wurde.
       
       Tatsächlich ist die Verwendung von Namen toter Kinder in der Vergangenheit
       keine unübliche Spitzel-Technik gewesen, so der Guardian. Vor 40 Jahren sei
       sie durch die Polizei eingeführt worden, um der Hintergrundgeschichte von
       verdeckten Ermittlern mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.
       
       Seitdem haben Dutzende von SDS-Beamte, inklusive solche, die sich als
       Antikapitalisten, Tierrechtsaktivisten und gewalttätige Neonazis ausgaben,
       sich dieser Methode bedient. Ein Dokument, dass dem Guardian vorliegt,
       lässt den Schluss zu, dass zwischen 1968 und 1994 rund 80 Polizeioffiziere
       die Identitäten von toten Kindern benutzten. Die absolute Zahl kann
       allerdings höher liegen.
       
       ## Beamte im „Jackal Run“
       
       Längst hat dieses Vorgehen auch Eingang in die Literatur gefunden. Es kommt
       in Frederick Forsyths Spionageroman „[2][The Day of the Jackal]“ vor,
       weshalb die britische Polizei intern die Suche nach geeigneten Identitäten
       von Verstorbenen als „Jackal Run“ bezeichnete.
       
       Es bestehe Grund zur Annahme, so der Guardian, dass die Benutzung von
       Identitäten toter Kinder Mitte der 90er Jahre eingestellt worden sei, als
       nämlich die Sterberegister digitalisiert wurden. Doch in einem Fall, der
       jetzt durch die Metropolitan Police selbst untersucht werden soll, geht es
       um einen verdeckten Ermittler, der einen solchen Kindernamen auch noch 2003
       genutzt haben könnte.
       
       Dem Guardian gegenüber schilderten verdeckte Beamte detailliert, wie sie
       und andere die gefälschten Identitäten nutzten. Ein Ermittler nahm die
       Persönlichkeit eines gewissen Pete Black an, während er in
       antirassistischen Gruppierungen spitzelte. Um sich in dessen Persönlichkeit
       hineinzuversetzen und überzeugend erscheinen zu können, wenn er über seine
       Kindheit sprach, besuchte der Ermittler die Heimatstadt des toten Kindes,
       um sich mit der Umgebung vertraut zu machen.
       
       ## Kleine Details zählten
       
       Der Beamte sagte, er fühlte sich damals, als ob er auf dem Grab des
       vierjährigen Jungen, dessen Identität er nutzte, „rumtrampeln“ würde. Es
       seien bei ihm Schuldgefühle aufgekommen, wenn er den Geburtstag des Jungen
       als seinen eigenen gefeiert hatte. Er war sich bewusst, dass irgendwo die
       Eltern in dem Moment „an ihren Sohn dachten und ihn vermissten“.
       
       „Pete Black“, der in den 90er Jahren verdeckt ermittelte, sagte, seine
       Operation sei Stasi-Methoden gleichgekommen. Generell hätten die
       SDS-Beamten die Häuser, in denen sie angeblich geboren wurden, besucht. „Es
       waren die kleinen Details, die zählten: der muffige Geruch aus den
       Abwasserrohren, die schon seit Jahren kaputt waren, wo sich die nächste
       Post befindet, welche Nummer der Bus hatte, der in der Nähe hielt“, sagte
       er.
       
       Ein weiterer verdeckter Beamter in der Special Demonstration Squad, der
       sich als John Dines zu erkennen gab, hatte die Identität von John Baker,
       einem acht Jahre alten Jungen angenommen, der 1968 an Leukämie verstorben
       war. Während seiner Ermittlung hatte er eine zwei Jahre währende
       Liebesbeziehung mit einer Aktivistin. Dann verschwand er unangekündigt aus
       ihrem Leben.
       
       Beim Versuch, ihn aufzuspüren, entdeckte die Frau die Geburtsurkunde von
       John Baker und versuchte, dessen Familie ausfindig zu machen, ohne dass sie
       wusste, dass sie nach einem toten Kind suchte. Die Aktivstin erklärte, sie
       sei erleichtert, dass sie es niemals geschafft habe, die Eltern des toten
       Jungen zu finden. „Das wäre der Horror gewesen“.
       
       Der Vorsitzende des Innenausschusses im Unterhaus, Labour-Politiker Keith
       Vaz, äußerte sich schockiert über die jetzt bekannt gewordene
       Polizeipraktik. Sobald sie entdeckten, was mit der Identität ihrer
       verstorbenen Kinder passiert sei, würden die Eltern sehr leiden.
       
       ## Untersuchungsausschuss gefordert
       
       Der Namensklau der verdeckten Ermittler wird die Kontroverse um die
       Infiltration von Protestgruppen in Großbritannien weiter befeuern. Mit der
       Enttarnung des Polizeispitzels Mark Kennedy vor zwei Jahren war ans Licht
       gekommen, dass zahlreiche Ermittler sexuelle Beziehungen zu Aktivistinnen
       unterhielten. Das sorgte für Empörung im Bewegungsmilieu. Am Dienstag wird
       der Innenausschuss die Anwälte von elf betroffenen Frauen anhören, die
       gerichtlich gegen die Polizeibehörden vorgehen.
       
       Gegenüber [3][BBC News] forderte Lord Ken Macdonald, der ehemalige Chef der
       obersten Anklagebehörde Großbritanniens, einen eigenen parlamentarischen
       Untersuchungsausschuss zu den Ermittlungspraktiken der Polizei. Es sei
       unangemessen, wenn Polizeibeamte den Namen verstorbener Kinder annehmen
       oder Sex mit Menschen hätten, über die sie Informationen sammeln würden.
       
       „Dies sind alles Beispiele, in denen die Polizei komplett ihren moralischen
       Kompass verloren und es nicht verstanden hat, die Grenzen einzuhalten“, so
       MacDonald.
       
       Chief Constable Alex Marshall, der inzwischen die Verantwortung über die
       verdeckten Polizeiermittlungen in England und Wales übernommen hat, nannte
       am Mittwoch die Nutzung der Identität toter Kinder ein „sehr erbärmliches“
       Vorgehen. „Es scheint, als ob hier das öffentliche Interesse nicht
       berücksichtigt worden sei“, so Marshall. Dennoch lehnte er einen
       parlamentarischen Untersuchungsausschuss ab. Dies würde „lange dauern und
       eine Menge Geld kosten.“
       
       5 Feb 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.guardian.co.uk/uk/2013/feb/03/police-spies-identities-dead-children
 (DIR) [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Schakal_(Roman)
 (DIR) [3] http://www.bbc.co.uk/news/uk-21316768
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Oliver Pohlisch
       
       ## TAGS
       
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