# taz.de -- Ehrenmord an Arzu Özmen: Das archaische Familienkollektiv
       
       > Arzu Özmen musste sterben, weil sie einen Deutschen liebte. Getötet hat
       > sie ihr Bruder – doch das Gericht hält auch ihren Vater für schuldig.
       
 (IMG) Bild: Sechseinhalb Jahre Haft lautet das Urteil: Der Vorsitzende Richter im Prozess gegen den Vater von Arzu Özmen.
       
       DETMOLD taz | Es war wie eine Hinrichtung: Mit zwei aufgesetzten Schüssen
       in die Schläfe wurde Arzu Özmen am 1. November 2011 ermordet. Die
       Schusskanäle verliefen gerade und parallel, heißt es im Bericht der
       Gerichtsmedizin. Bewegt oder gar gewehrt hat sich Arzu zum Zeitpunkt ihres
       Todes nicht mehr.
       
       Ihr eigener Bruder Osman hat die deutsch-kurdische Jesidin im Alter von
       gerade einmal 18 Jahren getötet, weil sie mit einem Deutschen zusammenleben
       wollte – zumindest im archaischen Verständnis ihrer Familie erlaubt die
       Religion des Jesidentums kein Verhältnis zu einem Nichtgläubigen. Nach
       ihren vier Brüdern und ihrer Schwester Sirin hat das Landgericht Detmold am
       Dienstag auch Arzus Vater Fendi zu einer Haftstrafe verurteilt: Wegen
       Beihilfe zum Mord durch Unterlassung, Freiheitsberaubung und
       Körperverletzung muss der 53-Jährige für sechs Jahre und sechs Monate in
       Haft.
       
       Dabei schienen die Özmens, die seit 25 Jahren bei Detmold lebten, zumindest
       bei oberflächlicher Betrachtung als bestens integriert: Die älteste Tochter
       Sirin arbeitet nach dem Abitur bei der Stadt Detmold als
       Verwaltungsangestellte. Ihre Brüder Elvis, Kemal und Kirer gelten als gute
       Handwerker. Familienintern aber tritt Fendi Özmen als autoritär
       herrschender Patriarch auf, der keinen Widerspruch duldet. Seiner Frau und
       den zehn Kindern zwingt er seinen Willen mit Gewalt auf.
       
       Als Arzu rote Rosen ins Haus geliefert bekommt, beginnt für sie ein
       Martyrium: In ihrem Handy, das sie nicht mehr zerstören konnte, werden
       Hinweise auf ihren Freund Alexander K. gefunden. Danach wird sie von ihrem
       Vater und ihrem Bruder Osman zusammengeschlagen – so brutal, dass sie im
       Krankenhaus behandelt werden muss. Ein Unfall mit dem Fahrrad, lügt sie den
       Ärzten vor.
       
       ## „Wenn die mich finden, bin ich eine tote Frau“
       
       Danach verordnet die Familie der Tochter Hausarrest, nimmt ihr
       Personalausweis, Führerschein, Bankkarte ab. Ihren Job in der Bäckerei, wo
       sie Alexander K. kennengelernt hat, muss sie aufgeben. Am 1. September 2011
       entscheidet sich Arzu trotzdem für ein selbstbestimmtes Leben. Sie flieht.
       Dabei weiß sie um die Lebensgefahr: „Wenn die mich finden, bin ich eine
       tote Frau“, schreibt sie an eine Bekannte.
       
       Denn Arzu hat den Patriarchen öffentlich bloßgestellt: Sie hat ihren Vater
       und Osman angezeigt. Die Anzeige macht bald die Runde in der jesidischen
       Gemeinschaft – und setzt gerade das Familienhaupt massiv unter Druck: „Alle
       wissen Bescheid, dass eine Tochter von Fendi abgehauen ist“, mailt Sohn
       Elvis.
       
       Die Polizei hält den Gewalttätern eine sogenannte „Gefährderansprache“.
       Arzu zieht in verschiedene Frauenhäuser, nimmt unter dem Decknamen „Emily
       Ostermann“ eine neue Identität an, färbt ihr Haar. Ihre Schwester Sirin
       versucht vergeblich, ihren Aufenthaltsort beim Einwohnermeldeamt
       herauszubekommen. Immer wieder will sie die Schwester aufzuspüren: „Du bist
       eine Jesidin! Willst Du Dich Dein ganzes Leben verstecken?“, droht sie in
       unzähligen Mails – und lockt: „Arzu-Schatz, brauchst Du Klamotten, Geld?“
       
       ## Nur noch wenige Stunden zu leben
       
       Am 1. November 2011 hat Sirin Erfolg. Durch das geöffnete Fenster der
       Wohnung von Alexander K. erkennt sie die Stimme ihrer Schwester. Vier
       Brüder werden zusammengetrommelt. Mit vorgehaltener Schusswaffe erzwingen
       die Özmens gegen ein Uhr in der Nacht Zugang zur Wohnung. Um 1.14 Uhr wählt
       Arzu die Notrufnummer der Polizei. Alexander wird durch Schläge gezwungen,
       seine Freundin loszulassen. Ihr bleiben nur noch wenige Stunden zu leben.
       
       Niemals sei an eine Ermordung gedacht worden, beteuern die fünf Geschwister
       bis zu ihrer Verurteilung im März 2012. Bei Verwandten in Norddeutschland
       habe man Arzu zur Vernunft bringen wollen, mehr nicht.
       
       Sirin, Kirer und Osman verfrachten die entführte Schwester in ein Auto.
       Osman gesteht, seine Schwester am Rand eines Autobahnplatzes an der A2
       getötet zu haben. Arzu habe nicht nur ihn, sondern auch die Eltern
       beleidigt, verteidigt er sich – da sei er „außer Kontrolle geraten“. Wegen
       Mordes wird er dafür zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
       Sirin und Kirer müssen zehn, Kemal und Elvis fünfeinhalb Jahre ins
       Gefängnis.
       
       Vor dem Detmolder Landgericht hat der Freiburger Ethnologe Jan Kizilhan
       klargemacht, dass „archaische Kollektive“ als Schuldigen oft denjenigen
       aussuchten, „der am wenigsten zur Gemeinschaft beiträgt“. Osman hat als
       einziger der fünf keine Ausbildung, keine Familie.
       
       ## „Ganz großes Märchen“
       
       Ein „ganz großes Märchen“ sei dem Gericht erzählt worden, klagte der
       Vorsitzende Richter Michael Reineke schon 2012 bei der Verurteilung der
       Geschwister. Dass er die Wahrheit nicht im ganzen Ausmaß kennt, machte
       Reineke auch in der Begründung des Urteils gegen Arzus Vater Fendi klar:
       Niemand wisse, was kurz nach dem Überfall auf die Wohnung von Alexander K.
       in Telefonaten zwischen den Geschwistern und dem Elternhaus besprochen
       wurde. Doch es hätte nur eines Wortes des Vaters an seine Kinder bedurft,
       um den Mord zu stoppen.
       
       Das Gericht sei aber überzeugt, dass der Vater nicht, wie von
       herbeigeeilten Polizisten gefordert, per Telefon mäßigend auf seine Kinder
       eingewirkt habe. „Da war ein Mordkommando unterwegs. Der Angeklagte wusste
       das“, betonte Reineke. „Zumindest durch Unterlassen“ habe sich Özmen
       deshalb der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht. „Hingerichtet worden“ sei
       Arzu: „Hätte der Angeklagte eingegriffen, wäre es nicht zum Schlimmsten
       gekommen.“ Fendi Özmen wurde noch im Gerichtssaal festgenommen.
       
       4 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Wyputta
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