# taz.de -- Aktionstag gegen Genitalverstümmelung: Die Mutter ist keine Verbrecherin
       
       > Jährlich werden drei Millionen Frauen beschnitten. Auch Faduma Korn ist
       > beschnitten. Sie lebt in Deutschland und wehrt sich gegen vereinfachende
       > Täter-Opfer-Bilder.
       
 (IMG) Bild: Mit Theateraufführungen gegen die Genitalverstümmelung von Mädchen.
       
       BERLIN taz | Es rauscht. Was für ein Geräusch. Der Urin rauscht aus ihrem
       Körper. „Wie schrecklich“, denkt Faduma Korn, „wie bei einem Kamel.“
       Vorher, vor ihrer „Öffnung“, hatte sie nur ein Rinnsal produziert, sie war
       zugenäht bis auf ein kleines Loch. Sie war „rein“ gemacht worden, sagt die
       heute 49-Jährige.
       
       Faduma Korn kennt die Irritation, die diese Wahrnehmung auslöst, sie kennt
       die Kultur Somalias, in der Frauen sich schämen, wenn ihr Urin rauscht,
       wenn ihre Vagina nicht eine glatte, zugenähte Fläche ist. Sie hat das
       unmenschliche Ritual und seine furchtbaren Folgen selbst erlebt.
       
       Bei der Beschneidung wurde sie ohnmächtig. Die Wunde infiziert sich, durch
       die monatelange Entzündung bekommt sie eine Art Rheuma. Sie konnte nicht
       mehr laufen und ihrer Nomadenfamilie folgen.
       
       Nach langer Odyssee landet sie in Deutschland. Wird behandelt, bekommt
       künstliche Fingergelenke. Lernt ihren Mann kennen. Und lässt sich „öffnen“.
       Der Arzt, dem sie sich präsentiert, fällt vor Schreck vom Stuhl. Sie selbst
       hadert nach der OP lange mit sich, bevor sie in den Spiegel schaut: „Eine
       offene Frau ist keine schöne Frau.“
       
       ## Kulturelle Kluft
       
       Mit dieser kulturellen Kluft haben es nicht nur Menschen zu tun, die im
       sogenannten „Beschneidungsgürtel“ von Westafrika bis zur Arabischen
       Halbinsel leben, sondern auch die hiesigen Gesellschaften. 15 Prozent aller
       beschnittenen Frauen, auch Faduma Korn, werden nach „Typ 3“ beschnitten.
       
       Dabei werden die Klitoris und die inneren Schamlippen entfernt und die
       äußeren Schamlippen zusammengenäht. „Typ 1“ beschreibt die Entfernung der
       Klitorisvorhaut, „Typ 2“ die Entfernung der Klitoris oder der Klitoris und
       der inneren Schamlippen.
       
       Fast jedes Land ächtet inzwischen Beschneidung als „Genitalverstümmelung“,
       bekämpft sie als „schädliche traditionelle Praxis“. Dagegen steht eine
       Kultur, in der Unbeschnittene „unrein“ sind und Mütter fürchten, dass ihre
       Töchter keinen Mann finden, wenn sie „offen“ sind.
       
       Mit den Einwanderern aus diesen Ländern wanderte auch diese Kluft nach
       Deutschland ein. 43 Prozent von 493 befragten GynäkologInnen waren schon
       einmal mit dieser Verletzung konfrontiert, hat die Frauenrechtsorganisation
       Terre des Femmes ermittelt.
       
       ## Bei der Reise ins Herkunftsland
       
       Seit Jahren macht der Verein darauf aufmerksam, dass es Familien gibt, die
       ihre Töchter bei einer Reise in das Herkunftsland verstümmeln lassen. Etwa
       6.100 Mädchen in Deutschland seien davon bedroht. Ein Grund, immer wieder
       Kampagnen gegen Genitalverstümmelung zu lancieren.
       
       Sie prangern die Menschenrechtsverletzung an. Können aber die Kluft, die
       Faduma Korn so gut kennt, nicht auffangen. „Genitalverstümmelung sagen sie
       auf ihrem Anrufbeantworter“, so Korn. „Sie müssen diese Wortwahl ändern.
       Keine Beschnittene wird dort noch einmal anrufen.“
       
       Das Problem sei, dass Frauen, die sich bisher als schön und rein erlebten,
       plötzlich als Überlebende eines Verbrechens gelten würden, als
       Verstümmelte. Und dass Weiße dies so definiert hätten. „In diesen
       Organisationen sind keine schwarzen Frauen“, hat Korn beobachtet. Die
       Mütter sehe man als Verbrecherinnen, die Töchter als Opfer, meint sie.
       
       ## „Wir sind beide betrogen worden.“
       
       „Niemand spricht über die Stärke und Schönheit dieser Frauen, oder darüber,
       dass die Mütter ihre Töchter lieben. Meine Mutter hat mich aus Liebe
       beschnitten. Wir sind beide betrogen worden.“
       
       Faduma Korn hat deswegen in Frankfurt am Main eine eigene Organisation
       gegründet, NALA heißt sie. Sie soll Frauen vor der Beschneidung schützen
       und helfen, mit ihr umzugehen. „Die Frauen öffnen sich mir, wenn sie hören,
       dass auch ich beschnitten worden bin. Ich bin wie sie“, erklärt sie.
       
       Franziska Gruber von Terre des Femmes kennt die Kritik. „Wir haben uns sehr
       damit auseinandergesetzt“, sagt sie. Damit, dass Terre des Femmes eine
       weiße Organisation ist. Dass Weiße unbewusst Rassismen reproduzieren
       können, weil sie sich ihrer Privilegien und der Hierarchisierung zwischen
       Weißen und Schwarzen nicht bewusst sind.
       
       ## Neokolonialer Duktus
       
       Terre des Femmes hat gelernt, dass Weiße aus dem neokolonialen Duktus der
       weißen Frau, die die Schwarze „retten“ will, kaum herauskommen. Deshalb
       geht die Organisation nicht selbst zu den Einwanderern. „Afrikanerinnen
       sind für uns in den Communitys unterwegs“, erklärt Gruber. „Unsere Aufgabe
       ist es, in die deutsche Gesellschaft hineinzuwirken. LehrerInnen und
       ÄrztInnen zu sensibilisieren, die Ämter über die Herkunftsländer zu
       informieren und Lobbyarbeit in der Politik zu betreiben.“
       
       So hat Terre des Femmes erfolgreich gefordert, dass Genitalverstümmelung
       als geschlechtsspezifische Verfolgung einen Asylgrund oder zumindest ein
       Abschiebehindernis darstellt.
       
       Am Begriff Genitalverstümmelung hält Grube fest: „Es ist eine
       Menschenrechtsverletzung. Die muss man beim Namen nennen.“
       
       Doch einiges hat die Organisation verändert: Schockierende Bilder verwendet
       sie nicht mehr. Die neue Kampagne zeigt Mütter und Töchter, die sich in die
       Augen schauen.
       
       5 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heide Oestreich
       
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