# taz.de -- Aktionstag gegen Gewalt an Frauen: Die dunkle Seite des Tahrir
       
       > Regelmäßig umringen Männergruppen auf dem Tahrirplatz Frauen und
       > vergewaltigen sie. Freiwillige organisieren sich nun um die Überfallenen
       > zu befreien.
       
 (IMG) Bild: Frauen protestieren gegen sexualisierte Gewalt auf dem Tahrirplatz.
       
       KAIRO taz | Die ägyptische Frauenrechtlerin Mariam Kirollos hat Wichtigeres
       zu tun, als am Freitag wieder auf dem Tahrirplatz demonstrieren zu gehen.
       Sie findet auch, dass zwei Jahre nach dem Sturz Mubaraks die Proteste mit
       der Forderung, die Revolution fortzusetzen, richtig sind. Aber die
       22-jährige Ägypterin sitzt im Krisenstab der Operation gegen sexuelle
       Belästigung (OpAntiSH) an der Hotline und hofft, dass es nicht klingelt.
       Wobei sie sich da nicht sicher ist.
       
       „Wenn das Telefon nicht läutet, dann bin ich einerseits froh, dass es heute
       keinen Notfall gibt, andererseits fürchte ich, dass manche der sexuellen
       Übergriffe auf Frauen nicht gemeldet werden“, sagt Mariam Kirollos, die
       beruflich für eine internationale Menschenrechtsorganisation recherchiert.
       
       Mariam bekämpft die dunkle Seite des Tahrirplatzes. Die sexuellen Angriffe
       auf Frauen haben dort in den vergangenen Monaten zugenommen. Die Angriffe
       laufen stets nach dem gleichen Muster ab. Eine Frau wird von einem Mob von
       Männern umringt. Oft sind sie mit Messern und Knüppeln bewaffnet. Sie
       reißen der Frau die Kleider vom Leib, begrapschen sie, stecken ihr Hände
       und Gegenstände in die Körperöffnungen, vergewaltigen sie.
       
       Inzwischen existieren YouTube-Videos von den Vorfällen, aus weiter
       Entfernung von einem Balkon aus mit Zoom gefilmt. Die Angst steht den
       Frauen ins Gesicht geschrieben. Sie wirken, als hätten sie aufgegeben, wie
       sie fast regungslos in einem Meer von Männern dahingetrieben werden.
       
       ## Geplante Angriffe?
       
       Manche Frauen berichten später, dass sie bereit waren, zu sterben. Auf den
       Videos ist nicht auszumachen, wer die Frau angreift und wer versucht, sie
       aus dieser Lage zu retten. Oft dauert es über eine Stunde, bis andere
       Demonstranten es schließlich schaffen, die Frauen zu befreien. Die Polizei
       bleibt dem Platz seit dem Sturz Mubaraks fern.
       
       Am Jahrestag der Revolution, dem 25. Januar, wurden mindestens 20 Frauen
       auf diese Art angegriffen. Unklar ist, ob die Übergriffe organisiert sind
       und als politische Waffe eingesetzt werden und wenn ja, wer dahintersteckt.
       Vieles deutet auf geplante Angriffe hin, um den Protesten auf dem Tahrir
       das Rückgrat zu brechen und Frauen abzuschrecken, dort teilzunehmen. Manche
       spekulieren, dass die Männer von Vertretern des alten Mubarak-Systems
       bezahlt werden, andere deuten auf die regierenden Muslimbrüder, die den
       Vorwurf weit von sich weisen. Handfeste Beweise gibt es für die Vorwürfe
       nicht.
       
       Möglich ist auch, dass die Angriffe spontan geschehen. Vielleicht ist es
       eine Mischung aus beidem, denn die Angriffe wären nicht so erfolgreich,
       könnten die Angreifer nicht darauf zählen, dass Männer spontan mitmachen,
       andere als Schaulustige teilnehmen und die Reihen schließen, so dass kaum
       jemand durchbrechen kann, der die Frauen befreien will.
       
       Die Übergriffe zeigen ein gesellschaftliches Problem. Sexuelle Belästigung
       gehört für Frauen in Ägypten zum Alltag. In einer Studie gaben 83 Prozent
       der ägyptischen Frauen an, schon einmal sexuell belästigt worden zu sein.
       „Das Problem hat sich verschärft, weil es die Ägypter jahrelang verleugnet
       haben“, sagt Mariam Kirollos. Den Frauen war es peinlich, darüber zu
       sprechen. Für die Männer war es ein Kavaliersdelikt.
       
       ## Die Scham überwunden
       
       Die Aggression gegen Frauen hat sich über die Jahre verschärft, da
       Millionen wirtschaftlich und sexuell frustrierte junge Männer in Ägypten
       leben, die es sich nicht leisten können zu heiraten und die Frauen nur als
       Sexobjekte ansehen. „Wenn man ein Problem verleugnet und nicht zugibt, dass
       es existiert, kann man es nicht lösen“, sagt Mariam Kirollos. Doch sie ist
       zuversichtlich, dass sich das Land ändert. Denn die Angriffe gegen Frauen
       werden zwar brutaler, doch mehr Menschen sprechen offen über das Thema.
       
       Tatsächlich überwinden neuerdings ägyptische Frauen ihr Trauma und ihre
       Scham und erzählen im Fernsehen von ihrer Erfahrung. Wie Jasmin, die auf
       dem Tahrir von einem Mob überfallen wurde. Der Moderator der privaten
       Fernsehstation An-Nahar hört sichtlich geschockt und schweigend zu. „Sie
       haben mit Messern meine Kleidung aufgeschlitzt und haben mich dabei
       verletzt. Die Hände der Männer waren überall. Sie kamen von allen vier
       Seiten. Ich habe versucht, meine Hose festzuhalten“, erzählt Jasmin, um
       dann aus einer Plastiktüte ihre zerschlitzte Hose auszupacken und
       hochzuhalten und im Detail zu erzählen, was mit ihr geschehen ist.
       
       Die Frauen entwickeln ein neues Selbstbewusstsein, unterstützt vom Aufbruch
       der jüngeren Generation nach dem Sturz Mubaraks. In den vergangenen Wochen
       haben sich mehrere Gruppen gegründet, um die Angriffe auf Frauen zu
       bekämpfen. Mariam Kirollos ist eine von Hunderten Freiwilligen, die sich
       des Themas angenommen haben.
       
       In weißen T-Shirts mit dem Aufdruck „Gegen sexuelle Belästigung“ verteilen
       junge Frauen und Männer freitags auf dem Tahrir Flugblätter. „Meine Aufgabe
       ist es, auf das Problem aufmerksam zu machen und den Leuten zu sagen, wie
       sie sich in solchen Fällen verhalten und wo sie anrufen können“, sagt
       Jurastudentin Sarah Hamdy.
       
       ## Safe-House für die Überfallenen
       
       Andere Freiwillige der „Operation gegen sexuelle Belästigung“ haben sich zu
       einer Art schnellen Eingreiftruppe formiert, deren Aufgabe es ist, die
       Frauen zu schützen und notfalls auch mit Gewalt zu befreien. „Hier geht es
       nicht um sexuelle Belästigung, das ist Krieg“, sagt Mohammed al-Khateeb,
       einer der Aktivisten im Fernsehen.
       
       Die Angreifer seien bewaffnet. Oft dauert es eine Ewigkeit, bis er und
       seine Mitstreiter sich bis zu der Frau durchgeschlagen haben und einen
       Schutzring um sie bilden, um sie vom Platz zu führen.
       
       Auch Heba Gamal ist ein Teil des organisierten Widerstandes gegen die
       sexuellen Übergriffe. An diesem Freitag ist sie in einem sogenannten
       Safe-House mit Blick auf den Tahrir auf Bereitschaft. „Hier bringen sie die
       Frauen her, nachdem sie befreit wurden“, sagt Heba und führt durch ein
       kleines ruhiges Zimmer mit einem Bett.
       
       „Wir versuchen sie zu beruhigen und schauen, was sie brauchen und wohin sie
       möchten“, erzählt sie. „Wir stellen nicht viele Fragen, was mit ihr
       passiert ist, und berühren sie möglichst wenig, denn das wollen die
       traumatisierten Frauen nicht.“ Manche Frauen müssten ins Krankenhaus
       gebracht werden, andere wollen schnell nach Haus.
       
       ## „Nur noch hemmungslos geweint“
       
       Während Heba am Ende der selbstorganisierten Hilfskette auf Bereitschaft
       ist, wacht Mariam Kirollos weiterhin am Telefon. „Oft ist es schwer zu
       ertragen“, sagt sie. Auch am 25. Januar, als es besonders viele furchtbare
       Übergriffe gab, saß sie am Telefon. „Es war frustrierend und
       niederschmetternd“, erinnert sie sich. Die Hotline ist für Notfälle
       vorgesehen, alle anderen Anrufe würgt sie deswegen ab.
       
       Aber dann, um Mitternacht, rief ein alter Mann an und sagte einfach nur
       danke. „Wir und unsere Arbeit seien der Grund, warum er beschlossen hat,
       doch mit seiner Tochter zum Tahrirplatz zu gehen“, sagt Mariam Kirollos. Da
       schaffte sich der Druck des Tages und die Freude über diesen Zuspruch
       freien Lauf. „Ich habe am Telefon einfach nur hemmungslos geweint“, erzählt
       sie.
       
       Mariam Kirollos und den anderen AktivistInnen geht es darum, dass sich die
       Frauen nicht abschrecken lassen, auf dem Tahrir für ihre Rechte zu kämpfen.
       Denn genau das sei das Ziel die Angreifer. Dass Premier Hischam Kandil nun
       den Nationalen Frauenrat aufgerufen hat, einen Gesetzesentwurf zu
       verfassen, der sexuelle Belästigung strafbar macht, beeindruckt Mariam
       Kirollos nicht. Der Nationale Frauenrat habe schon Gesetze zum Verbot der
       Genitalverstümmelung geschrieben, dennoch sei die Praxis weit verbreitet.
       
       Doch die Basisarbeit verändere das gesellschaftliche Bewusstsein. Seit der
       Revolution habe es mehr Frauendemonstrationen gegeben, als in der gesamten
       ägyptischen Geschichte zusammen, sagt Kirollos. Eine Demonstration mit
       mehreren tausend Frauen, mit und ohne Kopftuch, jung und alt, zieht am
       Dienstag durch die Kairoer Innenstadt, um gegen die sexuellen Übergriffe zu
       protestieren. Lautstark verkünden sie ihre Botschaft: „Niemand vertreibt
       uns vom Tahrir! Wir bleiben auf dem Platz!“
       
       14 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Karim Gawhary
 (DIR) Karim El-Gawhary
       
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