# taz.de -- Knut im Museum: Ein Bär wie Berlin
       
       > Eisbär Knut ist wieder da, diesmal als Ausstellungsstück. Seine
       > Inszenierung als ein Bild der Stärke wird auch das Elend der Stadt
       > lindern.
       
 (IMG) Bild: Fast auferstanden: Der ausgestopfte Kult-Eisbär Knut wird am 15. Februar 2013 der Presse vorgeführt.
       
       Dass Zoodirektor Bernhard Blaszkiewitz in der Lage ist, konsequent
       durchzugreifen, wenn Gefahr droht, bewies er schon vor Jahrzehnten, als er
       invasiven Kätzchen im Friedrichsfelder Tierpark kurzerhand den Hals
       umdrehte. Umso erstaunlicher, dass er 2006 am Eisbärgehege des Zoos auf den
       finalen Rettungsgriff verzichtete. So blieb das von seiner Mutter
       verstoßene Eisbärjunge am Leben und wurde im Folgenden aufopferungsvoll
       durch den Tierpfleger Thomas Dörflein von Hand aufgezogen.
       
       Eigentlich hätte es eine Sternstunde der modernen Tiergärtnerei werden
       können. Dörflein und das Zoo-Team zeigten, was kompetente Tierpflege
       gepaart mit viel Engagement vermag, der Zoo erhielt mit Knut, dem
       Mini-Bären, einen neuen Sympathieträger, der zudem nicht nur für die
       Gefährdung der Biodiversität stand, sondern auch symbolisch für eine der
       größten globalen Herausforderungen, den Klimawandel. Aber irgendwie geriet
       alles außer Kontrolle.
       
       Die Begeisterung um das Bärenjunge nahm hysterische Züge an, Dörflein und
       Knut wurden zu Yellow-Press-Figuren, zu Ersatzadligen in einer Stadt, die
       sich so sehr nach etwas Glanz sehnt und nach jemandem, zu dem sie
       aufblicken kann. Zwar trug Dörflein keine schicke Uniform wie der Alte
       Fritz und war weniger eloquent als der Führer, auch ob Knut wenigstens
       schwul werden würde, war noch nicht raus, aber die Berliner erknuddelten
       jeden Restverstand mit ihrer grenzenlosen Zuneigung zu dem ungleichen Paar.
       Kein Mensch dachte bei Knuts Anblick an die Erderwärmung, stattdessen wurde
       das Wildtier zum A-Promi der Berliner Society. Zoologischer Sachverstand
       spielte keine Rolle mehr, spätestens als die Grünen-Tierschützerin Claudia
       Hämmerling und die Tierrechtler von Peta auf den Plan traten.
       
       Die Katastrophe nahm ihren Lauf. Erst dankte Dörflein ab, zweieinhalb Jahre
       später sprang auch sein Ziehsohn ein letztes Mal in den Wassergraben. Die
       Stadt stand unter Schock. Der Zoo wurde des Mordes bezichtigt, die
       Artgenossen auf dem Eisbärfelsen des Mobbings, Verschwörungstheorien
       machten die Runde.
       
       ## Schnitzel und Tränen
       
       Menschen, die nichts dabei finden, sich ein Schnitzel vom Discounter in die
       Pfanne zu hauen, weinten über das Schicksal eines hirnkranken Bären und
       legten vor die Heimstatt des Umweltschutzbotschafters Blumen, auf die zuvor
       vermutlich Vierjährige in Bangladesch dicke Pestizidschichten gesprüht
       hatten.
       
       Dann gleich der nächste Schock: Eine offizielle Trauerfeier wurde Knut
       verweigert, Elton John blieb zu Hause, nicht einmal Grönemeyer textete „Der
       Weg“ um. Stattdessen kam der Bär ins Naturkundemuseum. Noch einmal brandete
       Protest auf: Das zum besseren Berliner erhobene Pelztier musste doch ein
       Staatsbegräbnis bekommen! Endlich kehrte Ruhe ein. Im Museum war man klug
       genug, den prominenten Kadaver erst mal im Keller zu vergraben, bis sich
       die Emotionen gelegt hatten.
       
       Und fast scheint es, als sei mit Knut der Wille der Berliner gebrochen. Aus
       der Feier-Metropole mit dem putzigen Vortanzbären Wowi wurde ein Tal der
       Tränen: BER, Museumsinsel, Staatsoper – die einzigen Bauprojekte, die nach
       Plan verliefen, waren die Avus, auf der man die Stadt möglichst schnell
       verlassen kann, sowie der Steglitzer Bankräuber-Tunnel. Ansonsten: Hertha
       in der zweiten Liga, Senatoren mit Express-Verfallsdatum, Linke, die sich
       vor Touristen fürchten, Prenzelberger in Angst vor Schwaben, der Zoo-Panda
       machte auch noch schlapp, und der Regierende Bürgermeister wirkt längst so
       fahl, dass der im Wassergraben treibende Knut rückblickend wie das blühende
       Leben erscheint.
       
       ## Vitale Dermoplastik
       
       Aber nun taucht der Eisbärheld wieder auf. Als Dermoplastik im
       Naturkundemuseum. Vor Kraft strotzend, vital, ehrfurchtgebietend. Vier
       Wochen lang wird er den Berlinern kostenfrei dargeboten, und sie werden in
       Scharen kommen. Der Eingangsbereich des Museums wurde eigens dafür
       umgebaut.
       
       Das tapsige, lebensuntüchtige Tier mit seiner tragischen Geschichte,
       inszeniert als stolzer, ungebrochener, gut aussehender Sohn der Stadt. Die
       herauspräparierte Vision all dessen, was er zu Lebzeiten nie erreichen
       konnte. Damit steht er symbolisch für Berlin selbst. Wenn die Berliner im
       Museum auf die Illusion ihres starken Knuts schauen, blicken sie auch auf
       das Bild ihrer Stadt. Es mag für einen Augenblick den wirklichen Zustand
       beider vergessen machen.
       
       16 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heiko Werning
       
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