# taz.de -- Präsidentenwahlen in Armenien: Hungerstreik und ein Attentat
       
       > Amtsinhaber Serzh Sargsyan dürfte in der ersten Runde der Wahl am Montag
       > bestätigt werden. Die Opposition spricht von Wahlbetrug.
       
 (IMG) Bild: Hungerstreik als Protest gegen gefälschte Wahlen: Der Kandidat Andreas Ghukasyan.
       
       JEREWAN taz | Vor der Residenz der Akademie der Wissenschaften auf der
       Baghramyanstraße im Zentrum der armenischen Hauptstadt Jerewan kauert
       Andreas Ghukasyan unter einem Zelt aus Plastikfolie. Er trägt eine rote
       Jacke und eine schwarze Mütze. Er redet nicht viel und trinkt nur Wasser.
       Von Tag zu Tag wird er blasser und dünner.
       
       Seit dem 21. Januar ist der 42-Jährige, der als einer von sieben Kandidaten
       bei den Präsidentenwahlen am Montag antritt, im Hungerstreik. „Stoppt die
       Scheinwahlen!“ lautet sein Motto. „Mit meiner Aktion fördere ich die
       Schaffung einer Demokratie in unserem Land und dafür kämpfe ich bis zum
       Ende. Ich habe allen anderen Mitstreitern vorgeschlagen, dass wir zusammen
       unsere Kandidaturen zurückziehen und den amtierenden Präsidenten Serzh
       Sargsyan allein auf der Wahlliste lassen“, sagt er.
       
       Sargsyans Kandidatur solle die Zentrale Wahlkommission annullieren, fordert
       der parteilose Direktor des privaten Jerewaner Radiosenders Radio Hay. Denn
       die regierende Republikanische Partei, die von Sargsyan geführt wird, habe
       bislang immer die Wahlen gefälscht.
       
       Bei den Präsidentenwahlen 2008 hatte Sargsyan gleich im ersten Wahlgang
       knapp 53 Prozent der Stimmen erreicht. Bei gewaltsamen Protesten gegen das
       Ergebnis waren zehn Menschen getötet worden.
       
       Auch jetzt liegt Sargsyan laut Umfragen wieder so weit vorne, dass sein
       Sieg in der ersten Runde als sicher gilt. Außer Raffi Hovhannisyan, Chef
       der Partei „Erbe“ und erster Außenminister des unabhängigen Armeniens, dem
       rund 30 Prozenten der Stimmen vorausgesagt werden, kommen alle anderen
       Anwärter auf nicht mehr als 5 Prozent.
       
       ## Kandidat vor seinem Haus in Jerewan angeschossen
       
       Einer von ihnen ist der ehemalige Führer der Unabhängigkeitsbewegung
       Armeniens von der Sowjetunion und Chef der Partei „Vereinigung der
       Nationalen Selbstbestimmung“ Parujr Hajrikyan. Am 31. Januar wurde er vor
       seinem Haus in Jerewan angeschossen. Die Polizei hat zwei Drogenhändler als
       mutmaßliche Täter festgenommen. Aber das Motiv ist unklar.
       
       Hajrikyans Gegner glauben, dass er den Anschlag selbst organisiert hat, um
       seine Popularität zu steigern. „Dieser Fall beweist erneut, dass die
       Menschen, die in Armenien politisch aktiv sind, ein hohes Risiko eingehen.
       Damit wollen die Attentäter erreichen, dass sich die Gesellschaft passiv
       verhält“, sagt der Politikwissenschaftler Edgar Wardanyan.
       
       Einer der Gründe, warum Sargsyan am Montag klar gewinnen dürfte, ist der
       Umstand, dass zwei bedeutende oppositionelle, politische Akteure – der
       erste Präsident Armeniens Levon Ter-Petrosyan und der Millionär Gagik
       Zarukyan (Chef der zweitgrößten Partei im Parlament „Blühendes Armenien“)
       bei den Wahlen nicht antreten. Zudem profitiert der Amtsinhaber davon, dass
       sich die Opposition nicht auf einen Kandidaten einigen konnte.
       
       Grassierende Korruption tut ein Übriges. So werden die Menschen, die in
       Verwaltungen, Schulen sowie Krankenhäusern arbeiten, mehr oder weniger dazu
       gezwungen, für Sargsyan zu stimmen. Andernfalls riskieren sie den Verlust
       ihres Jobs.
       
       ## 27,6 Prozent unter der Armutsgrenze
       
       Ein weiterer Grund für Sargsyans bevorstehende Widerwahl ist in der
       wirtschaftlich schwierigen Situation der Kaukasusrepublik zu suchen. Nach
       amtlichen Angaben beträgt das monatliche Durchschnittseinkommen umgerechnet
       220 Euro. Während 2008 27,6 Prozent der Armenier unter der Armutsgrenze
       lebten, waren das 2011 bereits 35 Prozent. Die Arbeitslosenrate lag im
       vergangenen Jahr bei 18,4 Prozent, inoffiziellen Schätzungen zufolge jedoch
       bei bis zu 30 Prozent. Über 60.000 Menschen kehren jährlich ihrer Heimat
       den Rücken, um im Ausland eine Arbeit anzunehmen.
       
       Nach Angaben der Wahlkommission, die die Wählerlisten auf der Grundlage von
       Daten der Pass- und Visaabteilung der Polizei Armeniens erstellt, sind
       derzeit 2.507.960 Wähler auf den offiziellen Wahllisten registriert.
       Mehrere Kandidaten haben an der Richtigkeit dieser Angaben Zweifel und
       wittern Betrug. Denn eine Million armenischer Staatsbürger leben im Ausland
       und können dort ihr Stimmrecht nicht ausüben. Das bedeutet, dass es in
       Armenien im besten Fall insgesamt 1,5 Millionen Wähler mit Stimmrecht geben
       dürfte.
       
       Dass die Wahlen wieder gefälscht werden, glaubt auch die 23-jährige
       Studentin Mariam. Ihr Favorit ist Andreas Ghukasyan „Andreas“, sagt sie,
       „kann zu einer Stütze der Zivilgesellschaft werden. Aber nur zu hungern ist
       nicht genug, um die Republikaner zu bekämpfen.“
       
       Die 29-jährige Journalistin Anna Gsiryan kann keinem Kandidaten etwas
       abgewinnen. „Da gibt es keinen wirklich ehrlichen Politiker, der eine
       Reform in unserem Land durchsetzen kann. Aber trotzdem gehe ich wählen.
       Denn nur so kann ich verhindern, dass meine Stimme jemand anderes stiehlt.“
       
       18 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tigran Petrosyan
       
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