# taz.de -- Soziales im Netz: Bald dunkel im Dunkelfeld
       
       > Die Online-Beratung von „Schattenriss“ erreicht Mädchen, die sexuelle
       > Gewalt erlebt haben und sich nie persönlich melden würden. Nun läuft die
       > Finanzierung aus.
       
 (IMG) Bild: An fünf Tagen in der Woche antwortet Anke Fürste Mädchen, die sexualisierte Gewalt erleben mussten.
       
       Der [1][Online-Beratung] von „Schattenriss“ für sexuell missbrauchte
       Mädchen droht das Aus. Vor zwei Jahren startete das Projekt, das Mädchen in
       einem gesicherten Bereich im Internet persönliche Hilfe bietet. Finanziert
       wurde das bislang von der ARD-Fernsehlotterie – ab Ende Mai gibt’s kein
       Geld mehr.
       
       Noch sitzt Sozialpädagogin Anke Fürste fünf Tage die Woche am Computer.
       „Wir erreichen das Dunkelfeld, jene Mädchen, die wir vorher nicht erreicht
       haben“, sagt sie. In 2012 korrespondierte sie mit 57 Mädchen, teils über
       Wochen und Monate. Fast so viele, wie zur persönlichen Beratung kamen: Dort
       waren es 84. Online schreiben sie ihr von schrecklichen Erfahrungen, von
       Vergewaltigungen und Kinderpornografie. „Auffällig ist, dass wir besonders
       viele Tätergruppen haben und dass die Gewalt noch stattfindet.“ Weniger als
       die Hälfte der Mädchen gab an, dass die Gewalt beendet sei.
       
       Das jüngste Mädchen, mit dem sich Fürste schreibt, ist 11 Jahre. Montags
       ist das Postfach besonders voll, manchmal schreiben die Kinder direkt auf,
       was sie kurz zuvor erlebt haben. Etwa, dass es mit scheinbar zufälligen
       Berührungen des Stiefvater begann, er irgendwann im Bett des Mädchens lag
       und sie zu sexuellen Handlungen zwang. Dass der Stiefvater gegenüber der
       Mutter behauptete, er würde mit dem Mädchen einen Ausflug machen – er nahm
       sie mit zu seinen Freunden, es wurden Nacktfotos gemacht und Filme
       produziert. Das zog sich über Jahre hin, der Stiefvater drohte, ihrer
       Schwester das Gleiche anzutun, falls sie etwas sagt. In der Online-Beratung
       hat sie sich gegenüber Fürste das erste Mal anvertraut, in der Hälfte der
       Fälle war das so.
       
       „Manche schreiben, dass es ihnen sogar zu viel ist, dass ich davon weiß“,
       so Fürste. Dabei läuft der Kontakt anonym, über ein abgesichertes System.
       „Der Geheimhaltungsdruck ist sehr hoch. Er führt zur Isolation, weil die
       Mädchen Angst haben, sich zu verraten.“
       
       Fürste muss den Kontakt aufrechterhalten und eine altersgerechte Sprache
       finden. Bei der ersten Meldung antwortet sie innerhalb von 48 Stunden,
       danach etwa einmal pro Woche. Manchmal komme es zu einer telefonischen
       Beratung. Sehr viele der Täter kommen aus dem familiären Umfeld. Dann ein
       Zeitfenster und eine Ausrede zu finden, um persönlich den Weg nach
       Gröpelingen zu Schattenriss zu schaffen, dafür ist die Hürde groß. Zwei
       Mädchen kamen 2012 aus der Online-Beratung auch persönlich zu Schattenriss.
       
       Neben der Angst ist es den Mädchen zu viel, gesehen zu werden. „Durch die
       traumatischen Erlebnisse ist das Selbstbild verzerrt und die
       Körperwahrnehmung eingeschränkt“. Fürste empfiehlt dann per Mail
       Praktisches, etwa ein Fußbad zu nehmen. „Für viele ist auch das schon eine
       Herausforderung, sich einem Körperteil zu widmen.“
       
       Online-Beratung, das heißt auch auszuhalten, was andernorts Schlimmes
       passiert. Was aus den Mädchen wird, wenn die Finanzierung endet? In diesem
       Umfang zumindest sei die Beratung nicht aufrechtzuerhalten. Dabei ist sie
       für Fürste nicht mehr wegzudenken.
       
       Die Beratungsstelle Schattenriss selbst finanziert sich aus Spendengeldern
       und zum Großteil durch Mittel der Sozialsenatorin. Die Online-Beratung wäre
       fürs Sozialressort ein zusätzlicher Posten im fünfstelligem Bereich.
       Ressortsprecher Bernd Schneider will dies weder zu- noch absagen. Nur, dass
       Schattenriss gut beraten sei, sich dafür auch auf Bundesebene umzuschauen.
       Dabei gibt ein Drittel der Mädchen an, freiwillig und trotz der Anonymität,
       aus Bremen zu kommen.
       
       An die „Landesgrenzen“ stößt auch das Mädchenhaus mit seinem
       [2][Online-Auftritt]. In einem offenen Forum und einer „Safe Area“ können
       sich Mädchen dort seit 2004 bei Mobbing, Liebeskummer oder häuslicher
       Gewalt austauschen. Wegen der kommunalen Finanzierung könnten sich hier nur
       Mädchen Hilfe holen, wenn sie eine Bremer Postleitzahl angeben, sagt Ruth
       König, Sozialpädagogin im Mädchenhaus. Immer wieder werde sie auch darauf
       angesprochen, ob es nicht „Synergie-Effekte“ gebe, man ihre
       Online-Beratungen mit der von Schattenriss oder der des [3][Jungenbüros]
       „zusammenlegen“ könne. „Das macht mich richtig wütend“, so König. Sie
       selbst verweisen Mädchen, die sexualisierte Gewalt erfahren, an die
       Fachstelle Schattenriss, ob online oder persönlich. „Das Internet ist nur
       ein weiterer Zugang, wir bieten nicht die gleichen Dinge an“, so König. Nur
       in einer Sache gleichen sich die Online-Beratungen: Es werden Kinder
       erreicht, die ansonsten keine Hilfe bekämen.
       
       26 Feb 2013
       
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