# taz.de -- 25 Jahre Betreuung von Opfern sexueller Gewalt: Schattenriss feiert
       
       > Seit 25 Jahren beraten Trauma-Expertinnen Mädchen und Frauen, die
       > sexuelle Gewalt erlebt haben. Institutionen tun sich immer noch schwer,
       > Minderjährige zu schützen
       
 (IMG) Bild: Wenn die Mädchen möglichst wenig zuhause sind, ist das auch eine Form, sich zu wehren.
       
       Wenn die Mitarbeiterinnen von Schattenriss eine neue Kollegin suchen, dann
       gehört die Frage im Bewerbungsgespräch nach ihren Hobbies dazu. Und ist
       ganz ernst gemeint. „Wir versuchen herauszufinden, ob eine nur für ihre
       Arbeit lebt oder andere Kraftquellen hat, aus denen sie schöpfen kann“,
       sagt Solrun Jürgensen, die seit 1995 bei dem vor 25 Jahren gegründeten
       Verein arbeitet.
       
       Wichtig sei dies, weil die tägliche Arbeit mit zum Teil schwer
       Traumatisierten – bei Schattenriss lassen sich Frauen und Mädchen beraten,
       die sexualisierte Gewalt erlebt haben – sehr belastend sei. „Wenn man sich
       da nicht abgrenzen kann, kann das schnell zu einem Burn-out führen.“
       
       Doch bei aller Schwere des Themas, dem sich Jürgensen und ihre Kolleginnen
       täglich stellen: Die heutige Jubiläumsfeier in Gröpelingen, wo der Verein
       seit 20 Jahren sitzt, wird mit Sicherheit alles andere als ein Trauerspiel.
       Dagegen spricht das Programm, aber auch das Engagement, mit dem die
       Expertinnen einer der bundesweit ersten Missbrauchs-Beratungsstellen ihrer
       Arbeit begegnen. Und der „ressourcenorientierte Ansatz“ im Umgang mit den
       Betroffenen, wie es Jürgensen formuliert.
       
       Sie nennt ein Beispiel aus der Online-Beratung, mit der sie heutzutage
       Mädchen erreichen können, die noch in einer Gewaltsituation leben – und die
       nicht erst Jahre später den Weg zu Schattenriss finden und dort erstmals
       über das Erlebte sprechen. „Viele Mädchen, die uns mailen, glauben, sie
       würden sich nicht gegen das wehren, was ihnen passiert. Dann machen wir
       ihnen klar, dass sie das sehr wohl mit ihren Möglichkeiten tun, indem sie
       einfach so wenig wie möglich zu Hause sind oder Zimmertüren abschließen.“
       
       Die Online-Beratung, haben die Schattenriss-Frauen festgestellt, kann auch
       die Mädchen erreichen, die sehr isoliert leben. 600 Beratungen mit 80
       Mädchen, das jüngste elf Jahre alt, haben sie gezählt, seitdem das Portal
       am 22. Februar 2011 online ging. Manchmal würde es auch gelingen, dass aus
       der Online- eine Beratung von Angesicht zu Angesicht in der großen, zurück
       gesetzt liegenden Altbau-Villa am Rande Gröpelingens wird. Doch ein Erfolg
       sei es bereits, sagt Jürgensen, wenn die Mädchen eine Bestätigung bekommen,
       dass das, was jemand mit ihnen macht, nicht in Ordnung ist, dass ihre
       Empfindungen stimmen. „Die Täter manipulieren ihre Opfer, indem sie ihnen
       sagen, ’stell dich nicht so an, das machen alle so.‘“
       
       Neben der Arbeit mit Betroffenen gehörte bei Schattenriss auch die
       Fortbildung von Lehrern und Lehrerinnen – und anderen, die mit Kindern und
       Jugendlichen arbeiten – von Beginn an dazu. Professionelle Beratungsstellen
       in dem Bereich zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht den Minderjährigen
       die Verantwortung dafür geben, sich vor Missbrauch zu schützen – sondern
       den Erwachsenen.
       
       Doch an Schulen sei es wie in anderen Institutionen, sagt Jürgensen.
       Meistens hänge es immer noch vom Engagement Einzelner ab, ob eine
       Einrichtung darauf vorbereitet ist, mit einem Verdacht auf sexualisierte
       Gewalt umzugehen. „Das muss von der Leitung ausgehen“, sagt Jürgensen, „es
       reicht nicht, wenn diese jemand abordnet, mal eine Fortbildung zu
       besuchen.“ Denn Missbrauch löse in einer Institution eine Dynamik aus, von
       der alle betroffen seien – ob sie wollten oder nicht.
       
       „Nehmen wir an, es gibt bei einem Jugendhilfeträger einen Mitarbeiter, der
       total engagiert ist und super bei den Jugendlichen ankommt. Wenn dann eine
       Kollegin einen Missbrauch vermutet und das äußert, dann führt das häufig zu
       einer Spaltung in diejenigen, die sich auf die Seite des Täters stellen
       oder die Kollegin unterstützen.“ Dem stünde die Leitung, wenn sie nicht
       vorbereitet ist, oft hilflos gegenüber.
       
       Auch die Debatte, die das Aufdecken von systematischem Missbrauch in der
       Kirche und Internaten vor zweieinhalb Jahren ausgelöst hat, habe nicht dazu
       geführt, dass sich die Institutionen dem Thema wirklich stellen, sagt
       Jürgensen. „Die Offenheit ist größer geworden, aber es passiert nach wie
       vor zu wenig.“
       
       Auf der Feier heute wollen sich die Schattenriss-Mitarbeiterinnen bei allen
       bedanken, die sie unterstützt haben. Nicht zuletzt finanziell, denn die
       öffentlich geförderte Beratungsstelle muss ein Fünftel Eigenmittel
       eintreiben. Dabei mangelt es nicht am Bedarf. Im ersten Halbjahr war die
       Anfrage nach Beratungen doppelt so hoch wie üblich. Einen Termin würden
       alle bekommen, versichert Jürgensen, in akuten Krisen auch zeitnah.
       Dennoch: „Das Ausmaß von sexuellem Missbrauch ist so groß, wir könnten ohne
       weiteres noch mehr Leute beschäftigen.“ Wenn das Geld dafür da wäre.
       
       18 Sep 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eiken Bruhn
 (DIR) Eiken Bruhn
       
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