# taz.de -- Zwei Jahre nach dem Sturz Mubaraks: Keine Versöhnung
       
       > In der Hafenstadt Port Said herrschen Empörung über die harten Urteile im
       > Fußballkrawall-Prozess, Rachegefühle und Misstrauen gegen Polizei und
       > Regierung.
       
 (IMG) Bild: Zuschauer vor TV-Bildschirmen am Samstag in Port Said: Der Richter bekräftigt die Todesurteile im Fußballkrawall-Prozess.
       
       PORT SAID taz | Als der Richter die Urteile verliest, breitet sich unter
       den Gästen vor dem TV-Bildschirm im Café al-Sheef in Port Said Entsetzen
       aus. Viele brechen zusammen, schlagen sich auf den Kopf, schreien und
       weinen. „Mein Bruder Islam Loma wurde zum Tode verurteilt, und die großen
       Fische, die hinter dem Ganzen stecken, hat man gar nicht erst angeklagt“,
       sagt ein Gast.
       
       Das Gericht von Port Said bestätigte an diesem Samstag die Urteile, die es
       nach den [1][katastrophalen Fußballkrawallen] vom Februar 2012, bei denen
       es 72 Tote gab, verhängt hatte: Zusätzlich zu den 21 Todesurteilen, die im
       Januar dieses Jahres über Fans des Fußballclubs von Port Said verhängt
       wurden, wurden nun noch fünf weitere der insgesamt 73 Angeklagten zum Tod
       verurteilt. 28 Personen werden freigesprochen, der Rest muss
       Gefängnisstrafen bis zu maximal 25 Jahren verbüßen.
       
       Auf der anderen – politisch brisantesten – Seite waren neun Polizisten und
       Sicherheitsbeamte angeklagt worden, die Fußballrandale im Stadion von Port
       Said geschürt oder zumindest weggesehen zu haben. Zwei dieser Beamten,
       darunter der Sicherheitschef der Hafenstadt, müssen für 15 Jahre ins
       Gefängnis, der Rest kommt frei.
       
       ## Zornige Menge
       
       Im Café der Hafenstadt sagt der Bruder des verurteilten Islam Loma nun, er
       wisse nicht, auf wen er wütender ist: auf den Staat und die Regierung, die
       diese Urteile zulassen – oder auf die Anhänger des gegnerischen
       Al-Ahly-Clubs aus Kairo. Diese wollten ihre 72 Toten rächen, erklärt er
       unter Tränen. Das Ziel haben sie eigentlich schon erreicht: Neben den nun
       auf 26 angestiegenen Todesurteilen sind in den vergangenen Wochen bereits
       50 Menschen bei Unruhen ums Leben gekommen.
       
       Jetzt strömt eine zornige Menge zum Polizeihauptquartier im Zentrum der
       Stadt. Dort hat es in den vergangenen Wochen immer wieder blutige Proteste
       gegeben, die Polizisten haben die Stadt daher am Freitagabend in weiser
       Voraussicht und auf Befehl des Innenministeriums verlassen. Dafür
       patrouilliert das Militär auf den Straßen – wohl einer der Hauptgründe,
       warum es noch relativ friedlich bleibt.
       
       Anders als die Polizei hat das Militär in den Städten am Suezkanal einen
       guten Ruf: Hier ist ein Großteil der ägyptischen Truppen stationiert. Die
       ägyptische Presse hat in den letzten Wochen immer wieder von willkürlichen
       Festnahmen durch die Polizei berichtet. „Wir haben Hunderte verhaftet. Es
       ist gut möglich, dass einige Unschuldige verurteilt wurden“, wird ein
       Polizeioffizier zitiert.
       
       Zu denen, die nicht an faire Urteile im Fußballkrawallprozess glauben,
       gehört Abu Hommus. In Port Said kennt ihn jeder. Sein Sohn Muhammad Shahat
       – Spitzname Hommus – gilt als Anführer der Fußballfans von Port Said; auch
       er wurde zum Tode verurteilt. Nun wird der Vater alle paar Minuten von
       Menschen auf der Straße begrüßt und umarmt. Sein Junge sei unschuldig, sagt
       Abu Hommus. Er selbst sei damals mit ihm im Stadion gewesen und
       anschließend nach Hause gegangen. „Über die vielen Toten haben wir erst aus
       dem Fernsehen erfahren“, erzählt er.
       
       Ein Woche nach den Krawallen wurde sein Sohn von der Polizei abgeholt. Als
       die ersten Urteile am 26. Januar verkündet wurden, stand Abu Hommus vor dem
       Gefängnis – im festen Glauben, seinen freigelassenen Sohn abholen zu
       können.
       
       ## Kopf-, Nacken- und Herzschüsse
       
       Die Todesurteile waren der Auslöser neuer Auseinandersetzungen in Port
       Said. Von den Dächern wurde damals scharf geschossen. Ein junger Mann habe
       noch gesagt: „Abu Hommus, geh nach hinten, das ist zu gefährlich“, als er
       in den Kopf geschossen wurde und neben ihm zusammenbrach, berichtet Abu
       Hommus. Er ist überzeugt, dass die Polizei damals Scharfschützen eingesetzt
       hat.
       
       Die meisten Toten an diesem Tag starben durch Kopf-, Nacken- und
       Herzschüsse. Er sei selber beim Militär gewesen und wisse genau, wie das
       funktioniert, sagt er. Wenn jemand wild durch die Gegend geschossen hätte,
       wären die Menschen viel mehr an anderen Stellen getroffen worden.
       
       Hinter den harten Urteilen sieht Abu Hommus politisches Kalkül: Sehr viele
       in Ägypten seien Fans des Kairoer Fußballclubs al-Ahly. Mit den harten
       Urteilen habe man versucht, die Ägypter zu besänftigen – auf Kosten des
       kleinen Port Said. Die Bewohner der Hafenstadt würden sich aber wehren und
       ihre Kampagne des zivilen Ungehorsams fortführen. Ein Großteil der Läden,
       staatlichen Institutionen und Schulen ist seit Wochen geschlossen.
       
       „Wir hören erst auf, wenn unsere Forderungen erfüllt sind, der Fall der
       Stadionkrawalle neu aufgerollt wird und die Verantwortlichen für die Toten
       in Port Said während der Zusammenstöße zur Rechenschaft gezogen sind –
       allen voran, der Innenminister und der Präsident und Muslimbruder Muhammad
       Mursi“, sagt er.
       
       In einem sind sich die sonst so verfeindeten Fußballfans beider Seiten mit
       Abu Hommus einig: Die Sicherheitskräfte haben bei den Krawallen eine
       schmutzige Rolle gespielt. Die Kairoer Fußballfans zählten zur vordersten
       Front im Aufstand gegen den alten Machthaber Mubarak, und die ägyptische
       Polizei hatte deshalb einige Rechnungen mit ihnen offen.
       
       „Sie haben uns benutzt“, meint Abu Hommus. Auch er erzählt die Geschichten,
       die auf allen Seiten erzählt wird: Am Spieltag habe es kaum Polizisten und
       keinerlei Kontrollen um das Stadion herum gegeben. „Obwohl sie
       normalerweise jede Wasserflasche und Zigarettenschachtel aufmachen“,
       erzählt Abu Hommus, und auch er gibt die Geschichte von jenen „Auswärtigen“
       wieder, die mit Bussen zum Stadion herangekarrt wurden. Von Schuld auf der
       eigenen Seite will er nichts wissen.
       
       Eine Versöhnung mit den Fans der Kairoer Mannschaft kann sich Abu Hommus
       wie die meisten in der Stadt nicht vorstellen. „Sie haben in Kairo über
       unsere Leichen und unsere zum Tode Verurteilten getanzt, das kann man nicht
       so einfach vergeben“, meint er.
       
       10 Mar 2013
       
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