# taz.de -- Ödipales Drama: Die Poesie verschlingt den Thriller
       
       > Anna Viebrock, Bühnenbildnerin und Regisseurin, inszeniert in Köln
       > „Gabe/Gift“ von Händl Klaus. Finster und unheimlich ist die Geschichte.
       
 (IMG) Bild: Die Familie ist dabei, einen „Erfrischungsraum“ im Keller zu bauen – Szene aus „Gabe/Gift“.
       
       Vielleicht gelingen der Bühnenbildnerin Anna Viebrock ihre schönsten
       Theaterräume, wenn sie selbst auch für die Regie und Kostüme eines Abends
       zuständig ist. Am Schauspiel Köln, bei der Uraufführung von „Gabe/Gift“,
       dem neuen Stück des gebürtigen Österreichers Händl Klaus, hat Anna Viebrock
       jedenfalls wieder ganze Arbeit geleistet. Finstere Arbeit, muss man sagen.
       
       Das Stück spielt im Haus von Familie Müllert. Dieser ödipal verkorkste Bund
       aus Mutter, Vater, Sohn und Schwiegertochter ist dabei, seinen Keller zu
       einem „Erfrischungsraum“ umzubauen. Viebrock versieht diese seltsame
       Brutstätte mit lauter kleinen Zeichen des Unheimlichen: Es dominieren
       kahle, unfertig weiß gestrichene Wände, beige Steinbodenfliesen, die noch
       nicht zu Ende verlegt sind, im Hintergrund steht wie ein Menetekel latenter
       Gewalt ein Pickel. Am rechten Bühnenrand geht es einen düsteren,
       schmuddelig aussehenden Abgang zu einem weiteren, nicht einsehbaren Raum
       hinab.
       
       Das böse „Haus Ur“ des Künstlers Gregor Schneider kommt einem in den Sinn
       oder von Mördern und Verbrechern geschaffene Verliese, wie wir sie aus der
       jüngsten österreichischen Kriminalgeschichte kennen. Aber Händl Klaus
       schreibt keine psychologischen Realodramen. Er spinnt feine
       Sprachkunst-Stücke, die zwar oft auf einer Kriminalhandlung fußen, aber
       doch in himmelweit von einem Krimi entfernten Sphären spielen.
       
       ## Den Vater aus dem Weg räumen
       
       In „Gabe/Gift“ geht es einerseits um die Absicht der Hausfrau und Mutter
       Lore Müllert (Marion Breckwoldt), zusammen mit ihrem Sohn (Nikolaus Benda)
       den Vater Müllert (Josef Ostendorf), einen seltsam lahm gewordenen
       Polizisten, aus dem Weg zu räumen. Doch der Sohn, ein Landschaftsgärtner,
       schafft das nicht, weil der Vater ihn mit seiner Liebe buchstäblich
       erdrückt: sehr komisch, wie sich der füllige Ostendorf auf dem sportlich
       ranken jungen Benda wälzt.
       
       Der zweite Handlungsstrang dreht sich um eine ominöse kleine Metallkiste
       unbekannten Inhalts, jene mehrdeutige „Gabe“, das „Gift“ aus dem
       Stücktitel. Ein ortsfremdes Paar taucht auf (Renato Schuch und Jennifer
       Frank) und zückt einen Plan, der alle zu der Stelle führt, wo die Kiste
       vergraben sein soll. Eifrig schwingt man den Pickel – mit Erfolg. Doch ein
       neidisch-böses Grüppchen von Nachbarn überrascht das Paar und die Müllerts
       – sie wollen auch etwas abhaben von der Beute.
       
       Doch die zwei Geschichten treten immer wieder in den Hintergrund zugunsten
       der feingliedrigen Spracharchitektur des Stücks. „Gabe/Gift“ enthält kaum
       Repliken, die länger als ein Satz sind, häufig bestehen sie sogar aus
       einzelnen Wörtern. Jede Replik ist ein Mosaiksteinchen. Wenn die Figuren
       miteinander sprechen, entwickelt sich der Sinn ihrer Äußerungen also erst
       allmählich. Man kann aufgrund dieses Sprachbauplans auch gar nicht sagen,
       welcher Figur welche Absicht zuzuordnen wäre. Alle sind gleichermaßen in
       einen kleinbürgerlichen Familienkomplex aus Gier und Verstellung
       verstrickt.
       
       ## Konzert für Worte und E-Piano
       
       Klaus’ minimalistische Poetik macht die Aufführung zunächst zu einem
       hermetisch wirkenden Wortkonzert. Die Livemusik trägt viel dazu bei.
       Viebrocks Stammkomponist Ernst Surberg spielt auf einem E-Piano zusammen
       mit Simon Strasser menuetthafte Stücke im Klangspektrum Neuer Musik. Die
       Musik ist integraler Bestandteil des Abends, man hört sich in seinem
       Verlauf tatsächlich in das Partiturhafte des Abends ein, der immer dichter
       wird, je mehr sich das Bühnengeschehen um den Beutefund zuspitzt.
       
       Doch dem Autor geht es nicht um einen dramatischen Höhepunkt. Im Gegenteil,
       zum Ende hin sind alle erschöpft von ihrer Schatzgier. Die Freude über den
       Fund kippt um in körperliche Schwäche und geistige Orientierungslosigkeit.
       Die Kiste ist nicht zu öffnen, bleibt „ein Geheimnis“.
       
       Zum Schluss ist die Bühne ist leer. Unverändert hell, und doch dunkel in
       seiner Wirkung, strahlt der Raum. Die letzten Wörter kommen einzeln aus dem
       Off. Es sind die gestammelten, zerdehnten, kaum noch kenntlichen Laute
       (vielleicht) des Wiegenlieds „La – le – lu“. Kein gefälliger, am Ende sehr
       überzeugender Abend.
       
       11 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexander Haas
       
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