# taz.de -- Neustart am Kölner Schauspielhaus: Der Reiz des Tabubruchs
       
       > Stefan Bachmann, neuer Intendant des Theaters in Köln, kämpft mit Ayn
       > Rands ideologischem Roman „Der Streik“, Angela Richter widmet sich
       > „Kippenberger!“
       
 (IMG) Bild: Gibt den John Galt sehr gutherzig: Guido Lambrecht in „Der Streik“.
       
       Stefan Bachmann ist seit dieser Spielzeit der neue Intendant des
       Schauspielhauses in Köln. Dass er es nicht einfach haben wird, nach dem
       Weggang der gefeierten Karin Beier, war vorauszusehen. Jetzt hat er seine
       erste eigene Inszenierung vorgelegt, „Der Streik“, nach einem
       radikalliberalistischem Roman von Ayn Rand. Darauf blickte man mit ebenso
       großer Erwartung wie auf das Rechercheprojekt „Kippenberger!“ von Angela
       Richter.
       
       Rands Roman von 1957, in den USA eines der meistverkauften Bücher, hier
       eher unbekannt, illustriert die liberalistische Wirtschaftsideologie der
       Autorin und (Popular-)Philosophin. Sie erzählt vom Kampf zweier
       verfeindeter Lager: Auf der einen Seite werden die Verfechter des
       Individualismus durch die Eisenbahn-Unternehmerin Dagny Taggart und die
       ominöse Figur John Galt vertreten. Beide predigen die Vision einer wahrhaft
       freien Marktwirtschaft, das Streben nach Gewinn und Selbstverwirklichung
       durch den Verstandesmenschen.
       
       Auf der anderen Seite: der Wohlfahrtsstaat, den Rand von heuchlerischer
       Moral gesteuert sieht. Dessen Verfechter, genannt „die Plünderer“ und der
       Habgier verfallen, etablieren Gleichstellungsgesetze und Richtlinien zur
       Vermögensverteilung im Sinne des Gemeinwohls. Schließlich treten die
       Unternehmer in den titelgebenden Streik.
       
       ## Apologie Liberalismus
       
       Der Roman umfasst im amerikanischen Original 1.200 Seiten, ist durchsetzt
       mit strapaziösen wirtschaftsphilosophischen Monologen und Streitgesprächen.
       Warum tut sich Bachmann eine Adaption dieses Brockens an? Es muss der Reiz
       des Tabubruchs sein, den er begeht, wenn er in Zeiten der europäischen
       Finanzkrise eine Apologie des Wirtschaftsliberalismus nach vorne stellt und
       mit einem Exzess des Geldausgebens gegen die Doktrin des Sparens
       provoziert.
       
       Aber welche Haltung hat Bachmann zu Rands Ideologie? Der Abend findet kein
       konsistentes interpretatorisches Verhältnis zum Roman und zu seinen Thesen.
       Er beschränkt sich darauf, entscheidende Szenen wie den von Dagny (Melanie
       Kretschmann) durchgedrückten Bau einer Zugbrücke bildstark umzusetzen. So
       etwas gelingt Bachmann eindrucksvoll. Da zückt er die ganz großen
       filmischen und musikalischen Mittel.
       
       ## Eine Nummer zu groß
       
       Die sind allerdings auch bitter nötig angesichts der gut 25 Meter breiten
       Bühne in der Halle Depot 1 und der übermächtigen Dialoglast, die auf der
       Handlung liegt. Es ist, als ob die Schwierigkeiten des Raums sich auf die
       ganze Inszenierung übertrügen. Während drei Vierteln des Abends hat man den
       Eindruck, dass Bachmann vor allem damit beschäftigt ist, den Roman
       möglichst gut gemacht nachzuerzählen. Erst spät springen endlich mal ein
       paar Funken von der Rampe ins Publikum über.
       
       Da ironisiert Bachmann die Figuren um Dagny und John Galt konsequent als
       westernhafte Maulhelden und damit endlich auch die klischeehafte Sprache
       Ayn Rands. Doch den großen Monolog John Galts kurz zuvor legt er affirmativ
       an, so gutherzig wie Guido Lambrecht ihn spielt. Die Ironie am Schluss
       kommt als Haltung gegenüber der Ideologie der Autorin deutlich zu spät und
       zu kurz.
       
       So setzt sich an diesem Abend eine Enttäuschung fort, die mit der ersten
       Premiere der Spielzeit, Michael Frayns "Nackter Wahnsinn" begann. Wie mit
       der zweiten Premiere, Brechts "Der gute Mensch von Sezuan", gelang es
       dieses Mal aber auch Angela Richter mit ihrem emphatisch "Kippenberger!"
       betitelten Projekt den negativen Eindruck zu korrigieren. Wie schafft es
       ein Theaterprojekt, sich mit dem Künstler Martin Kippenberger
       auseinanderzusetzen?
       
       Angela Richter umgeht die Gefahr der Beweihräucherung einer alten Kölner
       Suppe einigermaßen sicher. Grundlage ihres Abends sind neue Interviews mit
       Weggefährten Kippenbergers und vorhandenes Gesprächsmaterial. In Gestalt
       der fünf Spieler kommen so Kippenbergers Ehefrau, die Fotografin Elfie
       Semotan, die Journalistin und Filmemacherin Gisela Stelly, Joachim Lottman,
       Inga Humpe oder Diedrich Diederichsen und natürlich Kippenberger selbst zu
       Wort.
       
       ## Das Tanzen wirkt gewollt
       
       Gebaut ist der Abend aus Wechseln zwischen längeren Gesprächen und kurzen
       Breaks, in denen die Spieler zu Popmusik von 1980 bis heute herumtanzen
       (Musik: Melissa Logan/Chicks on Speed). Gerade das Tanzen wirkt aber erst
       mal gewollt.
       
       Als die Dead Kennedys eingespielt werden, wirbelt Judith Rosmair im Pogo
       über die Bühne, auf der die Spieler ansonsten nur einige riesige fahrbare
       Bilder – mit und ohne Kippenberger-Motiven – hin und her bewegen. Um den
       Funken überspringen zu lassen, steigt sie einige Ränge hoch ins Publikum.
       Soll das jetzt hier Theaterpunk à la Kippenbergerkunst werden?!, fragt man
       sich peinlich berührt.
       
       Doch im Laufe des Abends kann man sich mit den Tanz- und Musikeinlagen
       sogar richtig gut anfreunden, lässt sich immer mehr bezirzen von der
       Kippenberger-Welt, die die Spieler insgesamt auf sympathisch
       unaufdringliche Weise zum Leben erwecken. Sie stellen sich ganz in den
       Dienst des Porträts ihres Objekts. Marek Harloff, der einige Male so etwas
       wie eine Figur Kippenbergers andeutet, gelingt das besonders überzeugend.
       
       Die recherchierten Statements und Erzählungen der Spieler beleuchten
       Facetten Kippenbergers und seines selbstironischen Kunstverständnisses.
       Ironie beweist auch der Abend, wenn er Kippenbergers unverhohlenes Show-
       und Wettbewerbsdenken auf sich selbst bezieht. Die Souffleuse ruft den
       Akteuren abwechselnd Begriffe zu, „sexy“, „Dorfproll“, „intellektuell“,
       oder „Trappatoni“, und sie müssen Kippenberger-Sätze durch den
       Darstellungsfilter des jeweiligen Begriffs vorspielen. Sehr lustig (aber zu
       lang)!
       
       14 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexander Haas
       
       ## TAGS
       
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