# taz.de -- Archäologie im „Dritten Reich“: Unverwüstliche Germanen
       
       > Eine Bremer Ausstellung nimmt es mit einem hartnäckigen Gegner auf: dem
       > römischen Germanen-Mythos. Der verhalf der Archäologie im „Dritten Reich“
       > zu ungeahnten Aufschwüngen – und Trugschlüssen
       
 (IMG) Bild: Herbert Jankuhn (2. v. r.) in seinem Element: "Germanische" Ausgrabung im ukrainischen Solonje, 1943.
       
       BREMEN taz | Julius Cäsar hat Schuld. Mit seinem „De Bello Gallico“ wurden
       nicht nur zahllose Generationen von Lateinschülern gequält – der
       umfangreiche Kriegsbericht ist auch die Geburtsurkunde des Germanenmythos.
       Der Feldherr machte es sich einfach: Sämtliche unbesiegte
       Bevölkerungsgruppen östlich des Rheins nannte er „Germanen“ und beschrieb
       sie als äußerst tapfer, hart und sittenstreng. Das war eine gute Begründung
       für die missglückte Unterwerfung – und zugleich als moralischer Spiegel für
       die „dekadente“ römische Gesellschaft gedacht. Hätte man Tacitus’ ähnlich
       akzentuiertes Werk „Germania“ nicht Mitte des 15. Jahrhunderts im Kloster
       Hersfeld wiederentdeckt, was den Beginn einer bis heute ungebrochenen
       Begeisterung für die „Germanen“ markiert – sie wären geblieben, was sie im
       Altertum waren: eine römische Projektion.
       
       „Es gab kein Volk, das sich selbst Germanen nannte oder seine Heimat
       ’Germanien‘“, sagt Karin Walter vom Bremer Landesmuseum für Kunst und
       Kulturgeschichte. Sie ist Kuratorin der Ausstellung „Graben für Germanien“,
       die das Thema Archäologie im „Dritten Reich“ erstmals umfassend darstellt.
       Die Sonderschau greift weit zurück – und endet in der Gegenwart, bei
       Kinderspielzeug und rechtsextremen Plattencovern, von denen grimmige,
       Nazi-affine Nordmänner-Figuren starren.
       
       Dabei ist die von der Kulturstiftung des Bundes mitfinanzierte Schau alles
       andere als effekthaschend aufgezogen: Es spricht für die
       Ausstellungsmacher, dass sie als Leitmotiv für Plakat und Katalog ein eher
       unspektakuläres Motiv gewählt haben – keine steinzeitliche
       Hakenkreuz-Keramik, auch nicht den Goldschatz von Eberswalde, den die
       NS-Propaganda als Beleg frühgermanischer Kulturhöhe ausschlachtete.
       Stattdessen: ein Schwarzweiß-Foto.
       
       Vier Männer stehen in einer großen Grube, in der unscheinbare Mäuerchen
       freigelegt sind. Im Hintergrund: eine weite, grasbewachsene Steppe. Auf
       diesem Bild, aufgenommen 1943 in der Ukraine, sind wesentliche Aspekte und
       personelle Verflechtungen der NS-Archäologie auf einen Blick erfassbar.
       
       Der bemerkenswerte Ausgrabungs-Furor der Nazis vor allem in Osteuropa
       sollte handfeste Beweise für die Legitimität der Expansionspolitik liefern.
       Demnach galten die Deutschen nicht nur als „Volk ohne Raum“, sondern auch
       als rechtmäßige Erben eines europaweiten frühgermanischen Reiches – dessen
       Spuren es schnellstmöglich zu sichern galt. Die Konkurrenz zwischen
       Heinrich Himmlers „SS-Ahnenerbe“ und Alfred Rosenbergs „Reichsbund für
       Vorgeschichte“, den beiden wichtigsten NS-Organisationen in Sachen
       prähistorischer Forschung, führte dabei zu einem aberwitzigen
       archäologischen Wettlauf: Teilweise wurde schon direkt auf dem Schlachtfeld
       oder unmittelbar hinter der Front gegraben, um die jeweils anderen
       auszustechen. Einer der schnellsten war SS-Obersturmbannführer Herbert
       Jankuhn, der als Haithabu-Ausgräber auch noch in der Bundesrepublik große
       Anerkennung genoss. Jankuhns Sonderkommando rückte regelmäßig zusammen mit
       Waffen-SS und Wehrmacht in die eroberten osteuropäischen Städte ein:
       Während die einen die jüdische Bevölkerung massakrieren, plünderten die
       anderen – Jankuhn – die örtlichen Museen auf der Suche nach „germanischen“
       Objekten.
       
       Die dahinter stehende Theorie war simpel: Während der Völkerwanderungen
       seien einige Germanen östlich der Oder zurück geblieben, was die dortigen
       slawischen Völker überhaupt erst zu Staatenbildungen befähigt habe. So
       absurd sie war – diese Annahme führte zu groß angelegten rassenbiologischen
       Untersuchungen der ansässigen Bevölkerung, um sie in „eindeutschungsfähig“
       und „minderwertig“ zu sortieren.
       
       Das Foto aus dem ukrainischen Solonje zeigt aber nicht nur Jankuhn, der
       sich, die Hand an der Uniform-Koppel, offenbar höchst zufrieden mit einem
       weiteren Uniformierten unterhält. Auf zwei weiteren Mäuerchen stehen
       Tropenhelm-Träger: klassisch weiß gewandete Archäologen – „befreundete
       Forscher aus germanischen Ländern“, wie Jankuhn schreibt. Es ist kein
       Zufall, dass es sich hier um seinerzeit bekannte niederländische
       Wissenschaftler handelt: Während ein Großteil der dortigen Archäologen mit
       den Deutschen kooperierte, war die Situation etwa in Norwegen ganz anders.
       Die „nordgermanischen“ Kollegen widersetzten sich in ihrer überwältigenden
       Mehrheit hartnäckig der Instrumentalisierung durch die Deutschen.
       
       ## Widerspenstige Norweger
       
       Die Osloer Museumsdirektoren Anton Brøgger und Sigurd Grieg ließen sich
       lieber verhaften, als das wegen seines hohen Alters und seiner reichen
       Verzierungen berühmte Snartemo-Schwert an Himmler herauszugeben. Nicht
       einmal Bestechung half: Vergebens sicherten die Deutschen den Einsatz von
       viel Geld und technischen Errungenschaften wie der mit Hochdruck
       entwickelten Dendrochronologie für die norwegischen Ausgrabungsstätten zu.
       
       Und noch drei weitere Menschen auf dem klug gewählten Foto werfen
       Schlaglichter auf Bedeutung und Abgründe der Archäologie im „Dritten
       Reich“: Ein hochmodern wirkendes Kamerateam steht am Rand der Grube – Teil
       des riesigen Propaganda- und Dekorationsaufwands, mit dem das „Germanentum“
       das Leben im NS-Staat durchwob. In der Ausstellung sind zahlreiche Exponate
       aus allen Bereichen des Alltags zu finden: Kein Autobahnbau ohne Verweis
       auf „germanische“ Bohlenwege, kein Weihnachten, respektive: Julfest, ohne
       runenverzierte Christbaumkugel.
       
       Uta Halle, Bremer Landesarchäologin und Initiatorin der Ausstellung, sieht
       wenig Positives in der Vergangenheit ihrer Zunft: „Fast alle deutschen
       Archäologen beteiligten sich an der Verbreitung nationalsozialistischer
       Ideen und der Plünderung fremder Kulturgüter.“ Das sei bis in die
       90er-Jahre hinein Tabu-Thema gewesen. Gab es gar keinen „archäologischen
       Widerstand“? Halles Antwort: „Null.“
       
       Nach 1945 waren dann trotzdem alle im Widerstand gewesen. Das gängige
       Argumentations-Schema: Man musste der SS beitreten, damit die Archäologie
       nicht dem völkischen Eiferer Rosenberg anheimfiel, der zum „Reichsminister
       für die besetzten Ostgebiete“ avancierte. Im Februar 1945 waren es
       allerdings die SS-Archäologen, die den Parteiausschluss von Hans Reinerth
       erreichten, Rosenbergs oberstem Ausgräber. Sie warfen ihm
       Judenfreundlichkeit vor: Er habe es unterlassen, einen jüdischen Mann aus
       einem Ausgrabungsfoto zu retouchieren.
       
       Eine wichtige Leistung der Ausstellung besteht darin, nicht nur die
       Nachkriegs-Karrieren der Wissenschaftler, sondern auch die Spur des
       Germanenmythos bis in die Gegenwart hinein zu verfolgen. Spannend ist dabei
       die gesellschaftliche Spreizung der Exponate: CD-Booklets und Magazine
       belegen die Begeisterung der Rechtsextremen für alles „Germanische“ – in
       den Vitrinen finden sich aber auch Titelseiten von Stern und Spiegel. Für
       letzteren war die Entdeckung der Himmelsscheibe von Nebra Anlass genug, die
       vermeintlichen lang unterschätzten Vorfahren endlich von den Bäumen zu
       holen. Der Spiegel-Originalton im Jahr 2002: „Nun treten jäh auch aus dem
       nordischen Hain Mathematiker und gewiefte Kosmologen. Nebra beweist: In
       Ur-Germanien lebten kleine Einsteins.“
       
       ## Ungebrochene Präsenz
       
       Was aber hat die Spielzeug-Figur „Gefürchteter Nordmann“ in der
       Museums-Vitrine zu suchen? Die brachte die Firma Schleich noch im
       vergangenen Jahr auf den Markt – in der Reihe „Neue Helden“. Für Kuratorin
       Halle ist sie in ihrem wild-furchtlosen Gestus ein Beleg für die
       ungebrochene Präsenz NS-geprägter Germanen-Bilder. Bekannt ist, dass sowohl
       bei Wikinger-Reenactments als auch bei Mittelaltermärkten unter anderen
       rechtsextrem orientierte Akteure vertreten sind. Aber zeugen
       Runen-verzierte Werkstücke nicht schlichtweg von einem unreflektierten
       Dekorationsbedürfnis? Oft stecke mehr dahinter, sagt Dirk Mahsarski,
       Historiker und Mitkurator der Ausstellung. In Gesprächen mit Handwerkern
       und Ausstellern sei er wiederholt mit rechtslastiger Ideologie konfrontiert
       worden.
       
       Im Übrigen liefert selbst der renommierte Theiss-Verlag aus Stuttgart, der
       den hoch informativen Ausstellungskatalog herausbrachte, Beispiele für eine
       ungebrochene Germanen-Mythologisierung: Unbekümmert lässt er Magazine mit
       opulenten „Germanen“-Covern drucken – als habe er die eigene
       Forschungspublikation gar nicht zur Kenntnis genommen. Cäsar hat ganze
       Arbeit geleistet.
       
       ## „Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz“: bis 8. September,
       Bremen, Focke-Museum
       
       15 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Henning Bleyl
 (DIR) Henning Bleyl
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Museum
       
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