# taz.de -- "Bedingungsloses Grundeinsingen": Gut für den Sex, schlecht für den Chef
       
       > Was passiert mit Menschen, denen man den Zwang zur Lohnarbeit nimmt?
       > Unter der Anleitung von Bernadette La Hengst erzählen sie es in den
       > Sophiensaelen.
       
 (IMG) Bild: Arbeitsfrei, Spaß dabei: glückliche Grundeinkommenbezieher und Aktions-Chanteuse Bernadette La Hengst (M.).
       
       „Wer hat denn das bezahlt?“. Die Frage ist die am häufigsten gestellte im
       Zuschauerraum. Zwölf zufällig ausgewählte Personen haben fünf Jahre lang
       tausend Euro im Monat bekommen? Mit der einzigen Bedingung, am Ende darüber
       zu singen? „Naiver Humanismus“ würden manche das nennen, Schmarotzen bei
       den Leistungsträgern, zum Glück nur im Namen der Kunst. Andere nennen es
       Entkopplung von Geld und Arbeit, selbstbestimmtes Leben, Pilotprojekt für
       eine gerechtere Welt. In den Sophiensælen singen die zwölf Glücklichen noch
       bis zum heutigen Dienstag über ihre Erfahrungen.
       
       „Bedingungsloses Grundeinkommen“ ist das politische Schlagwort – in den
       Sophiensælen betritt die Idee als „Bedingungsloses Grundeinsingen“ die
       Bühne: Auf pinkem Teppich und vor goldenem Lamettavorhang präsentieren sich
       die Chormitglieder: Hedonistin und Beamtin, Rentner und Dreisatzanwender,
       Sonderschullehrerin und Fernschachspielerin, Bürgermeister und Vater. Fünf
       Jahre hätten sie arbeiten können oder es sein lassen. Von tausend Euro
       lässt es sich in Berlin passabel leben. Die Gruppe sei ein Abbild der
       vielschichtigen deutschen Gesellschaft, erklärt Chorleiterin Bernadette La
       Hengst, Aktionschanteuse und Regisseurin mit Frauenbandhintergrund.
       
       ## Gospeln im Diskoanzug
       
       Zu den Zwölfen gehören der prekär lebende Künstler ebenso wie die vom
       Burn-out gebeutelte Managerin. „Es soll gar nicht erst der Eindruck
       entstehen, das bedingungslose Grundeinkommen sei ein Thema für
       Hartz-IV-Empfänger“, so La Hengst. Tatsächlich haben sich die
       Chormitglieder für ihren Auftritt ins Beste geworfen: Diskoanzug,
       Businesskostüm, kleines Schwarzes. In den kommenden zwei Stunden werden sie
       über sich und mit dem Publikum singen, gospeln, erzählen. Bernadette La
       Hengst im Glitzermini begleitet die Texte auf Akustik- und E-Gitarre.
       
       Vorbild für das Projekt ist ein kleines Dorf in Namibia: Seinen tausend
       Bewohnern wurde fast zwei Jahre lang ein bedingungsloses Einkommen in Höhe
       von umgerechnet 9 Euro bezahlt. „Wir fanden die Idee, von den Namibiern
       quasi Entwicklungshilfe zu erhalten, ganz treffend“, sagt La Hengst. Und
       dass ihr Beitrag im pop-politischen Glittergewand auftritt, kommt auch
       nicht von ungefähr. Sie plädiert für „Diskotieren“ statt Diskutieren: „Wenn
       die Theorien nur in den Köpfen bleiben, macht es nichts mit den Menschen“.
       
       Die Theorie ist alt, wurde von Platon und Aristoteles vorgedacht und in
       Thomas Morus’ „Utopia“ als Zutat einer erstrebenswerten Gesellschaft
       umrissen. Schiller sah darin die Voraussetzung für des Menschen „bessre
       Natur“. Das bedingungslose Grundeinkommen zeichnet sich im Wesentlichen
       dadurch aus, dass ein existenz- und teilhabesichernder Betrag an jeden
       Bürger ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit ausgezahlt
       wird. Heute wird es weltumspannend erforscht, diskutiert, bisweilen
       kleinräumig ausprobiert. Den deutschen Befürwortern ist es eine Antwort auf
       die Tatsache, dass in der heutigen, stark automatisierten Arbeitswelt
       einfach nicht mehr genügend existenzsichernde Lohnarbeit vorhanden ist.
       
       ## Keinen Bock mehr
       
       In den Sophiensælen wird es persönlicher. Gut sei das Grundeinkommen, so
       wird gesungen, weil es das Paradies auf Erden wäre, der Chef ein Arschloch
       ist oder man gern mehr Kinder hätte. Weil Geld die Wurzel allen Übels ist,
       weil man kein Bock mehr hat, weil man kurz vor dem Burn-out steht. Weil es
       sonst keine großen Ideen mehr gibt. Weil man sich von keinem Amt mehr
       erniedrigen lassen muss. Weil man nur frei sein kann, wenn es auch die
       anderen sind.
       
       Die Testpersonen wissen es noch genauer: Das bedingungslose Grundeinkommen
       gebe die Freiheit, zu Sachen nein zu sagen, die man eigentlich nie machen
       wollte. Und ja zu denen, die man sich nie leisten konnte. Die eine hat ein
       Studium angefangen und wieder hingeschmissen, „auf der Suche nach einem
       neuen Traum“. Der andere lebt seit Jahren ohne Uhr. Der Künstler hat
       endlich Zeit für seine nichtmenschliche Kunst. Der IT-Coach arbeitet für
       Menschen, die ihn nicht bezahlen können, aber trotzdem brauchen. Die
       Lehrerin kann in Ruhe über Utopien wie die inklusive Schule nachdenken. Und
       die Managerin arbeitet weniger. Das sei gut für die Gesundheit. Und fürs
       Sexleben.
       
       Aber auch die Kritiker der Idee sind an diesem Abend mit auf der Bühne: als
       allegorische Triade aus Geld, Zeit und Arbeit. Freilich leiden auch sie
       unter der Gegenwart, wie sie bildgewaltig vorführen: Die Arbeit treibt es
       zu wild mit der Zeit. Geld und Arbeit gehen nur zusammen auf Partys. Aber
       die drei vergessen nicht zu drohen, was ein bedingungsloses Grundeinkommen
       anrichten würde: „Deutschland wird zum Schlusslicht“, „Wenige
       Leistungsträger finanzieren viele Schmarotzer“, „Die Kunst wird schlechter,
       weil alle denken, oh ich bin ein Künstler“. Vor allem aber: „Wer soll’s
       bezahlen?“ und „Wer macht den Dreck weg?“
       
       ## Ganz egahahal
       
       Für die Antworten wird es zahlenlastig auf der Lamettabühne, per Beamer
       wird vorgerechnet: Über 700 Milliarden Euro gibt der Staat jährlich für
       Sozialleistungen aus. Würden diese auf die knapp 82 Millionen Bürger
       aufgeteilt, könnte jeder schon mal über 700 Euro im Monat bekommen – vom
       Baby bis zum Rentner. Und aufhören zu arbeiten würden die Leute auch nicht:
       Schon jetzt verrichten gerade Frauen mehr unbezahlte als bezahlte Arbeit,
       etwa in der Kinderbetreuung oder der Pflege. Da ließe sich Götz Werner
       zitieren, Drogerieketten-Besitzer und Fürsprecher des bedingungslosen
       Grundeinkommens: „Einkommen ist nicht Belohnung für Arbeit, sondern
       Voraussetzung.“
       
       Das will Chorleiterin Bernadette La Hengst auch dem Publikum verklickern
       und stimmt einen Kanon an. Wer links sitzt, singt zur Gitarre „Wir singen
       zur Senkung der Arbeitsmoral“, die Mitte trägt „denn dies ist kein
       Arbeiterlied“ vor, und der rechte Flügel reimt „denn die ist uns ganz
       egahahal“. Klingt anarchisch, und mancher tut sich etwas schwer mit den
       Zeilen. Dabei gehe es ja gar nicht darum, sich von der Arbeit an sich zu
       befreien, versichert La Hengst hinterher. Sondern einen selbstbestimmten
       Begriff davon zu entwickeln, jenseits der sozialversicherungspflichtigen
       Lohnarbeit.
       
       Auf der Bühne zieht sich indes die Arbeit das lila Kleid der Emanzipation
       an – sie hat gar nicht gewusst, dass sie so schön sein kann. Aber wer macht
       denn jetzt freiwillig den Dreck der anderen weg? „Besser bezahlen,
       automatisieren, selber machen“, tönt es durch die Sophiensæle, und
       schließlich besingt Bernadette La Hengst die postadornosche Hoffnung auf
       ein richtiges Leben in einer verkehrten Welt.
       
       Eigentlich sollten die Sänger nicht von fiktiven, sondern tatsächlichen
       Erfahrungen künden. Allein: „Ich habe erfolglos versucht, das Geld für ein
       Grundeinkommen bei Stiftungen einzuwerben“, sagt La Hengst. Bezuschusst
       wurde das Stück dann vom Hauptstadtkulturfonds.
       
       ## Einer Utopie aufgesessen
       
       Ach so: Das war Ihnen schon klar, dass es sich bei dem Projekt um eine
       abendfüllende Fiktion handelt, oder? Oder dachten Sie tatsächlich, das
       vieldiskutierte bedingungslose Grundeinkommen sei über einen
       ernstzunehmenden Zeitraum ausprobiert worden? Als Pilotprojekt für die
       revolutionäre Umgestaltung unseres kritikwürdigen Lohnarbeitssystems?
       Pardon, aber dann sind Sie für die Länge dieses Artikels einer Utopie
       aufgesessen. „Wir lösen das auch in der Vorstellung nicht endgültig auf“,
       sagt Bernadette La Hengst. „Aber wenn es Leute wirklich denken und singen,
       sind wir doch gar nicht mehr so weit von der Verwirklichung entfernt“. In
       diesem Sinne, noch mal alle zusammen: Wir singen zu Senkung der … 
       
       Das [1]["Bedingungslose Grundeinsingen"] findet in den Sohiensaelen
       letztmalig am Dienstag (2. April) um 20 Uhr statt.
       
       1 Apr 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.sophiensaele.com/produktionen.php?IDstueck=1105&hl=de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Pop
 (DIR) Grundeinkommen
 (DIR) Bedingungsloses Grundeinkommen
       
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