# taz.de -- Sozialleistungen in Niedersachsen: Die kleine Währungsreform
       
       > Innenminister Boris Pistorius überlässt es nun den niedersächsischen
       > Kommunen, ob sie Flüchtlingen Geld geben oder Gutscheine. Und wie machen
       > sie’s?
       
 (IMG) Bild: Trotz Pistorius' Initiative: Niedersachsen bleibt scheckig, was Sozialleistungen für Flüchtlinge angeht
       
       HAMBURG taz | Niedersachsens Landkreise und kreisfreie Städte können seit
       Ende Februar selbst entscheiden, ob sie Sozialleistungen nach dem
       Asylbewerberleistungsgesetz in bar oder in Wertgutscheinen auszahlen. Mit
       einem entsprechenden Erlass hatte Niedersachsens Innenminister Boris
       Pistorius (SPD) kurz nach Amtsantritt eine der Ankündigungen aus dem
       rot-grünen Koalitionsvertrag umgesetzt.
       
       Sein Amtsvorgänger, der Christdemokrat Uwe Schünemann, hatte voll auf das
       Gutscheinsystem gesetzt: Bargeld sei „lediglich in begründeten
       Ausnahmefällen“ zu gewähren. „Anreize zur Einreise in die Bundesrepublik
       Deutschland beziehungsweise zum Verbleib“ seien durch den Grundsatz
       „Gutscheine statt Bargeld“ zu vermeiden, so die Ansage.
       
       Bargeld als Regelfall, von dem nur ausnahmsweise abzuweichen ist: Das
       wiederum fordert unter anderem der niedersächsische Flüchtlingsrat schon
       seit Langem. Eine entsprechend Handlungsanweisung gibt es aber auch jetzt
       nicht, unter Pistorius. Dafür aber einen Anreiz für die Kommunen, selbst
       die Verantwortung zu übernehmen und zu entscheiden, ob Flüchtlinge
       weiterhin Nahrungs- und Unterhaltsmittel gegen Gutscheine eintauschen
       müssen oder ob sie Bargeld in die Hand bekommen.
       
       ## Eindeutige Tendenz
       
       Die Tendenz ist eindeutig pro Bargeld: 26 Kreise beziehungsweise kreisfreie
       Städte von insgesamt 46 im Land wollen umstellen oder haben das schon
       getan. Ammerland, Cloppenburg oder Leer etwa tun das zum 1. Mai. Einige
       Landkreise wie Schaumburg oder Diepholz haben zwar noch keine abschließende
       Entscheidung getroffen, aber schon Anträge zur Umstellung auf Bargeld auf
       dem Tisch – und tendieren in diese Richtung. In Diepholz beispielsweise
       wird am kommenden Dienstag entschieden, auch in Wolfenbüttel steht am 22.
       April im Kreistag ein entsprechender Antrag von Linksfraktion und Piraten
       zur Entscheidung. Wie es aussieht, bekommt er eine Mehrheit.
       
       Landkreise wie Wesermarsch, Friesland oder Aurich haben ihre
       Zahlungsmethode bereits zum 1. April geändert. „Es hat zum Beispiel immer
       mal wieder Probleme bei der Annahme der Gutscheine durch Geschäfte
       gegeben“, sagt Sönke Klug vom Landkreis Friesland. Darum halte man
       Bargeldauszahlungen für besser geeignet. „Wir begrüßen die unbürokratische
       Lösung der Landesregierung außerordentlich“, sagt auch die
       Sozialdezernentin der Stadt Oldenburg, Dagmar Sachse – sie sei „im Sinn der
       betroffenen Menschen“.
       
       Doch nicht alle Landkreise und Kommunen nutzen die neue Möglichkeit: Im
       Emsland etwa sollen die rund 380 Berechtigten bis auf Weiteres Gutscheine
       bekommen. Der Kreis beruft sich auf Paragraf 3 des
       Asylbewerberleistungsgesetzes: Der schreibt fest, dass zur Sicherung des
       Lebensunterhalts in der Regel Sachleistungen zu gewähren sind.
       „Sachleistungen haben Vorrang“, unterstreicht auch Anja Rohde vom Landkreis
       Emsland.
       
       ## „Grundlagen unklar“
       
       Zwar habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juni
       vergangenen Jahres die Sachleistungen als unzureichend bezeichnet – deren
       Vorrang aber nun mal gerade nicht infrage gestellt oder gar aufgehoben.
       „Insofern sind die rechtlichen Grundlagen für einen derartigen Erlass
       derzeit ungeklärt“, sagt Rohde. „Wir warten die Entscheidung des
       Innenministeriums ab und werden uns eng mit den Nachbarlandkreisen über das
       weitere Vorgehen abstimmen.“ Die unmittelbaren Nachbarn Leer und
       Cloppenburg werden umstellen, die Grafschaft Bentheim hält vorerst an den
       Gutscheinen fest.
       
       ## Schon immer Einzelfälle
       
       Auch der Landkreis Verden, der vor allem Asylbewerber aus Afghanistan und
       den Balkanstaaten sowie kurdische Flüchtlinge aufnimmt, setzt weiter
       vorrangig auf die Gutscheine. „Allerdings haben wir bisher schon
       Einzelfallentscheidungen getroffen“, sagt Bernd Dannheisig von der Verdener
       Fachdirektion Soziales, „und werden das auch weiter tun.“ Beziehe etwa, je
       nach Aufenthaltsstatus, ein Familienmitglied Hartz IV und ein weiteres habe
       einen Job, „dann sollte der Dritte keinen Gutschein bekommen“, so
       Dannheisig. Und wer länger als vier Jahre in Deutschland sei, bekomme
       ohnehin Geld.
       
       Wer im Landkreis Verden allerdings einen Asylantrag stellt, muss auch
       weiter mit Gutscheinen auskommen. „Wir geben am Anfang eines laufenden
       Verfahrens kein Geld aus, um die Lebenssituation nicht zu verfestigen“,
       sagt Dannheisig. Und bisher habe es in dieser Sache auch nur sehr wenige
       Beschwerden gegeben. Er schließt nicht aus, dass man irgendwann ganz auf
       Bargeld umstellen könnte – „Das rennt uns ja nicht weg“.
       
       5 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ilka Kreutzträger
 (DIR) Kristiana Ludwig
       
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 (DIR) Kommentar Flüchtlingspolitik: Halbherziger Vorstoß
       
       Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius hat es den Kommunen
       überlassen, vom Gutscheinsystem auf Bargeld umzusteigen. Leider ist er
       nicht weitergegangen.