# taz.de -- Die Wahrheit: Friede den Schachtelhalmen
       
       > Ein revolutionärer Wurzelsepp und Gartenpartisan unterwegs mit
       > botanischen Bomben im Kampf gegen das Ordnungsamt.
       
       Wieder schaute Carlo sich um. Er schob die Mütze, die er neuerdings trug,
       tiefer in die Stirn und schlug den Kragen seiner Jeansjacke hoch, was
       ziemlich albern aussah. Auf einmal zog er die Hand blitzschnell aus der
       Jackentasche und warf ein paar dunkle Kügelchen in eine Fuge zwischen die
       Gehwegplatten. „Ui!“, machte ich und pfiff durch die Zähne: „Guerilla
       Gardening? Ausgerechnet du?!“ „Psst!“, zischte er: „Die Agenten des
       Ordnungsamts sind überall!“ – und drängte mich in den nächsten Hauseingang,
       um die Straße eine Zeit lang zu beobachten und Ausschau zu halten nach
       Fahrzeugen mit getönten Scheiben oder Männern in Trenchcoats.
       
       Carlo liebte die Stadt. Er fand es okay, dass es irgendwo da draußen hinter
       der Endhaltestelle der Straßenbahn eine natürliche Landschaft mit Bäumen
       und Wiesen und Eichhörnchen gab, wo man herumwandern konnte, wenn man mal
       über was nachdenken wollte. Aus dem gleichen Grund auch billigte er die
       Existenz des Botanischen Gartens oder der Parkanlagen am Fluss.
       
       Doch was er wirklich zum Leben brauchte, war das urbane Gewimmel, das Neue,
       Überraschende, das jeder Tag mit sich bringen konnte, und nie wäre er auf
       die Idee gekommen, jemals einen Garten anzulegen oder auch nur ein
       Basilikumpflänzchen auf die Küchenfensterbank zu stellen. Als ihm einmal
       jemand eine kleine Palme zum Geburtstag schenkte, brachte er, da er nicht
       wusste, wohin damit, das arme Geschöpf in den Keller, wo ich es ein paar
       Jahre später durch Zufall fand: Ein mumifiziertes Mahnmal mörderischer
       Gedankenlosigkeit.
       
       „Also“, sagte ich, während wir weitergingen: „Wie kommt es, dass
       ausgerechnet du als Gartenpartisan durch die Straßen ziehst?“ Er zuckte die
       Schultern. Dann blitzte es in seinen Augen: Er schlenderte beiläufig zu
       einem Betonkübel, in dem ein paar Dutzend Narzissen akkurat in Reih und
       Glied standen, griff in seine Tasche und warf eine Handvoll Samen in den
       Topf. „Nieder mit dem Ordnungsamt!“, kicherte er, ehe er mit großen
       Schritten in die nächste Querstraße stakste und ich darauf wartete, dass
       das Narzissenbeet sich mit einem trockenen „Blupp!“ in eine anarchische
       Wildkräuterwiese verwandelte.
       
       Doch wenn es auch nicht so schnell ging – tatsächlich war Carlo als
       revolutionärer Wurzelsepp ungeheuer erfolgreich: Wo immer er seine Kugeln
       verstreute, wuchs binnen kürzester Frist ein dichter Teppich aus
       Wiesenblumen und Gräsern – in Mauernischen, Hofeinfahrten, Rinnsteinen
       spross und wucherte es, und wenn er ein wenig sorgsamer mit seinen
       botanischen Bomben umgegangen wäre und darauf geachtet hätte, nicht auch zu
       Hause alle naslang ein paar davon zu verlieren, hätte er es wahrscheinlich
       noch zum Großen Vorsitzenden aller Gartenguerilleros gebracht: Als er
       jedoch die ersten Keimlinge im Wäscheschrank und auf dem Teppich entdeckte,
       fühlte er sich von den treulosen Verrätern schwer enttäuscht, brach rigoros
       mit dieser Bande und kaufte sich eine Dose „Unkraut-Ex“, um den
       hinterhältigen Judasburschen den Garaus zu machen.
       
       17 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bert Schulz
 (DIR) Joachim Schulz
       
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