# taz.de -- Die Wahrheit: Der Tod vom Genitiv
       
       > Der Genitiv kommt aus seiner Opferrolle nicht heraus.
       
 (IMG) Bild: Der guten alten Schreibmaschine ihre Zeit ist heute genauso abgelaufen wie die vom Genitiv.
       
       Es ist nicht nur dem Dativ seine Schuld, dass sich der Genitiv rar macht.
       Auch der Nominativ sorgt dafür, genauer gesagt: die undeklinierte Form des
       Substantiv.
       
       Längst nämlich ist das Genitiv-s nicht nur bei Ländernamen wie dem des Iran
       oder des Irak verschwunden: „Buddenbrookhaus im Zeichen des Exil“,
       schlagzeilt der 3sat-Videotext über eine Ausstellung. „Die Rückgabe von
       Non-Food-Artikeln ist gegen Vorlage des Kassenbon innerhalb von 3 Monaten
       möglich“, versprechen die Penny-Märkte. „The Quest – der Fluch des
       Judaskelch“ betitelt RTL ein US-Movie von 2008, „Der Stich des Skorpion“
       heißt ein deutscher Spielfilm von 2005.
       
       Die taz referiert „das Ergebnis eines Stresstest“, spekuliert im Sportteil
       über den „Fall eines Unentschieden“, schreibt in der Nord-Ausgabe über den
       „letzten Rest eines ehemaligen Passagenkaufhaus“ und kennt zwar „das
       Verhältnis des Umfang eines Kreises zu seinem Durchmesser“, nicht aber das
       Genitiv-s. Dessen Ausmerzung begann übrigens schon vor 1.000 Jahren: „Der
       Name des Generalfeldmarschall Rommel wird für immer mit den heldenhaften
       Kämpfen in Nordafrika verbunden sein“, befahl Hitler den Deutschen in
       seinem Führertelegramm vom 16. 10. 1944. Daran halten sie sich bekanntlich
       bis heute.
       
       Als Bastian Sick dem Tod des Genitiv gedachte, gedachte er dessen nicht
       wegen dem Suffix s, sondern wegen der Verben und Präpositionen, die
       ursprünglich dem Genitiv bedurften. Möglicherweise stiftete er mit seiner
       Sprachkritik bloß Verwirrung, denn manche Leute, die sich ihrem falschen
       Deutsch nie bewusst waren, wollen nun auch des Genitivs huldigen – und
       heraus kommt eine „fristlose Kündigung wegen mietwidrigem Verhaltens“
       (Göttinger Tageblatt) und die Verurteilung „wegen angeblichem
       Geheimnisverrats“ (taz). 
       
       Überdies ist der Genitiv nicht nur dem Dativ sein Opfer. Manchmal bedarf es
       anstelle des Genitivs sogar den Akkusativ: so wenn das ZDF beklagt, dass
       ein Trainer vom Schiri auf die Tribüne verbannt worden sei, „weil er das
       Meckern überdrüssig hat“ – wohingegen der Reporter des Genitivs überdrüssig
       sein darf, ohne seinen Job verlustig zu gehen (was auch zu viel vom Guten
       wäre).
       
       ## Vom „von“ bedroht
       
       Überhaupt droht der Tod vom Genitiv vor allem vom „von“: „Pünktlich zum
       errechneten Geburtstermin erblickte die zweite Tochter von unserem Kollegen
       Michael Brakemeier das Licht der Welt“, freut sich das Göttinger Tageblatt;
       der Verlag ProMedia wirbt für ein Buch über Tendenzen der Rechtsprechung
       mit dem Satz: „Die Leugnung von einem gerichtlich als Völkermord
       deklarierten Ereignis ist bereits strafbar“; die taz meldet: „Außenminister
       von Italien tritt zurück“.
       
       Überhaupt kann sich vor allem die taz des ausgiebigen Gebrauchs vom „von“
       rühmen: der Goldene Löwe der Filmfestspiele in Venedig „geht an ’Faust‘ von
       dem russischen Regisseur Alexander Sokurow“; „Das Hamburger Ernst Barlach
       Haus irritiert mit neuester Innovationskunst vom Stuttgarter Georg Winter“;
       und selbst wenn es richtig vorgemacht wird, macht es die taz falsch nach:
       „Kolja Mensing dekonstruiert in ,Die Legenden der Väter‘ die
       Heldengeschichte von seinem Großvater.“
       
       Während die taz „das Versagen von Rechtsstaat“ beklagt, kümmert sie das
       Versagen ihres Sprachgefühls wenig. Aber nicht nur sie. Das „von“ macht die
       Sätze hölzern und hässlich: Deshalb steht es, weil gemäß einer uralten
       Faustregel sich in der Sprache der Sprecher spiegelt, sogar dort, wo man es
       weglassen könnte. Mit dem Satz „Ein Muss für alle Fans von intelligenter
       Satire“ wirbt das intelligente ZDF für seine „heute-show“; im Göttinger
       Tageblatt sucht ein Inserent jene „Unterstützung bei Verwirklichung von
       einer Geschäftsidee“, die er bei der Formulierung seiner Anzeige leider
       nicht bekam; und dem persischen Romancier Amir Hassan Cheheltan („Teheran –
       Stadt ohne Himmel“) schreibt sein Übersetzer Kurt Scharf „22 Stufen von
       einer Treppe“ in die deutsche Fassung hinein. Nichtsdestoweniger steht der
       Tod von dem Genitiv keineswegs fest.
       
       Dort, wo man es nicht vermutet, blüht er verrückterweise. Der Vorsitzende
       des ägyptischen Richterrats sei „bekannt für seine Gegnerschaft der
       Muslimbrüder“, irrlichtert es in der taz, während die Hamas „ihren selbst
       erklärten Sieg des jüngsten Krieges feiert“ und der Lokalteil der
       Mitteldeutschen Zeitung ein aufgebrochenes Auto vermeldet und deliriert:
       „Außerdem wurde die Seitenscheibe des Täters zerstört.“ Mag also die
       Ermordung des Genitivs bevorstehen – im Mord des Genitivs bleibt er am
       Leben! Und damit ist das Ende von diesem Artikel erreicht.
       
       20 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Köhler
       
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