# taz.de -- Die Wahrheit: Halb erfrorene Hoden
       
       > Vergessen Sie die Oben-Ohne-Aktivistinnen von Femen. Die Organisation
       > Hemen demonstriert unten ohne.
       
 (IMG) Bild: Als Nacktdemonstrant heißt es oft „Arschbacken zusammenkneifen“, wenn es hart auf hart kommt.
       
       Vor dem Eingang der Münchner Kindertagesstätte „Kleine Räuber“ hält eine
       Handvoll männlicher Demonstranten Transparente hoch: „Kita-Plätze für
       alle“, „Kita-Mangel ist Sexismus“ und „Naked Truth“. Manche tragen dabei
       zwar Mützen, Winterstiefel oder dicke Wollpullover, keiner von ihnen aber
       Hosen oder Unterhosen. Die Organisation Hemen zeigt es mal wieder allen.
       
       Es ist bitterkalt. Kein Wunder, dass die ohnehin durch die Bank recht
       kleinen Aktivistennudeln auf Spätzlegröße geschrumpft erscheinen. „Iiiihh“
       und „Haha, was ist das denn??“ sind noch die harmloseren Kommentare der
       vorüberhuschenden Passanten.
       
       „Aber hier geht es ja auch nicht um Ästhetik“, erläutert Horst Hollerbusch,
       der Sprecher der Gruppe. „Sondern um Aufmerksamkeit. Und die haben wir
       unbestritten.“ Er deutet auf die zahlreich herumstehenden Kamerateams von
       Nille-TV, RT-Lümmel und Schwanz 1, dazu diverse Radiosender sowie Vertreter
       der Printmedien. Pressefotografen zoomen heran, schütteln verzweifelt den
       Kopf und zoomen weiter.
       
       Zum Glück hat Hollerbusch nun etwas Zeit für uns. Schnell gewöhnen wir uns
       dabei an den Anblick seines Protest-Outfits, denn die Hose behält er
       während seines kurzen historischen Abrisses selbstverständlich aus. Wir
       erfahren, dass Hemen bereits 1981, also zu DDR-Zeiten, am Strand von Zingst
       gegründet wurde. Bis vor drei Monaten fristete der bis dahin vollkommen
       unpolitische FKK-Verein für Männer ein Mauerschwänzchendasein im Schatten
       der großen Schwestern von Femen. Doch gerade deren Erfolg ermunterte die
       mutigen Herren, ihre Passion nun auch für Protestaktionen zu nutzen.
       
       „Unser Vorteil gegenüber diesen durchtrainierten jungen Frauen ist, dass
       eben gerade durch das Fehlen jeder ästhetischen Komponente nicht vom
       Wesentlichen abgelenkt wird. Im Gegenteil, zeigen wir quasi wortwörtlich
       Missstände auf, auf die wir, anstatt sie plakativ aufzuhübschen, auch noch
       doppelt hinweisen: Mit der hässlichen Macht unserer Körper demaskieren wir
       die hässliche Macht der Systeme. Die nackte Wahrheit.“ Der Sprecher lächelt
       und reibt sich mit dem Fäustling kurz die halb erfrorenen Hoden.
       
       Mittlerweile haben sich auch Exhibitionisten der Vereinigung angeschlossen.
       Sie sind übrigens ausdrücklich willkommen: „Mit ihrer Erfahrung, auf den
       Punkt vor Publikum blankzuziehen, sind die natürlich superwertvoll für die
       Dynamik einer Aktion.“
       
       Hollerbuschs Augen leuchten, als er mich auf einen Mitstreiter hinweist,
       der sich etwas abseits der anderen vorbereitet: Blitzschnell geht der lange
       Mantel auf und wieder zu, schnellt das Glied heraus und wird erneut
       verborgen. In der Tat beindruckend!
       
       Und beeindruckend für die relativ kurze Zeitspanne ihrer Aktivität liest
       sich auch die Liste der Erfolge: So demonstrierten Hemen während des
       Putin-Besuchs in Hannover vor einem Regensburger Supermarkt gegen den
       Verkauf spanischer Erdbeeren und auch die Vorgänge in Nordkorea werden von
       ihnen scharf beobachtet.
       
       „Da planen wir noch was“, verrät Hollerbusch. „Lassen Sie sich
       überraschen.“ Dass man in jeder Beziehung auch kleiner denken kann, beweist
       der Protest heute, der sich gegen Missstände in der Kinderbetreuung
       richtet.
       
       Es ist Nachmittag geworden. Eltern holen ihre Kinder ab und verlassen mit
       ihnen gemeinsam den Kindergarten. Das ist das Signal für Hemen, plötzlich
       kommt Bewegung in die Gruppe. Auf Kommando krempeln alle Männer auf einmal
       die Pullover hoch. „Cocks for Qualification“ und „Free Willy“ steht in
       schwarzer Farbe auf nackten Schmerbäuchen, darunter weisen Pfeile nach
       unten zum Gemächt.
       
       Kameras surren und klicken, viele Eltern klatschen wohlwollend Beifall, nur
       die Kinder fangen an zu weinen. Sie sind einfach noch viel zu klein, um zu
       verstehen, dass das hier alles nur zu ihrem Besten geschieht.
       
       19 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uli Hannemann
       
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