# taz.de -- Tanztheater über rechtsradikale Frauen: Das naheliegende Böse
       
       > Der Berliner Choreograf Christoph Winkler konfrontiert in seinem neuen
       > Stück „RechtsRadikal“ die Zuschauer mit ihrem Klischee von Frauen als
       > Neonazis.
       
 (IMG) Bild: Szenenbild aus Christoph Winklers „RechtsRadikal“
       
       Kann man das Böse sehen? Eben nicht. Schön wäre es ja, die Welt wäre
       durchschaubarer. Und deshalb sucht man dennoch nach den Zeichen. Auch beim
       Prozess gegen Beate Zschäpe, der jetzt in München begonnen hat, wird man in
       ihrer Haltung, in ihrem Gesicht zu lesen versuchen, was sie angetrieben
       hat.
       
       „RechtsRadikal“ heißt ein neues Stück des Berliner Choreografen Christoph
       Winkler, das in den Sophiensælen in Berlin uraufgeführt wurde. Der Titel
       weckt Erwartungen an eine eindeutige Lesbarkeit, doch die wird von den vier
       jungen Tänzerinnen permanent unterlaufen. Emma Daniel, Mercedes Del R.
       Appugliese, Shiran Eliaserov und Claire Vivianne Sobottke tragen weder
       blonde Perücken noch Springerstiefel.
       
       Sie marschieren nicht, und nichts überhöht ihre Körper á la Riefenstahl.
       Denn Winkler und den Tänzerinnen geht es nicht um die Reproduktion
       wiedererkennbarer Codes. Das Stück soll nichts bestätigen, was wir schon zu
       wissen glauben. Sondern da weitersuchen, wo das Nichtverstehen beginnt.
       
       Was man sieht? Vier junge Frauen auf einer recht leeren Bühne, hübsch,
       schmal, langhaarig, unauffällig in Hosen und Röcke gekleidet. Was zuerst
       irritiert, sind ihre Blicke; ihre Augen wollen etwas von uns, sie
       kontrollieren das Publikum. Siehst du mich?, fragen sie. Die Augen
       provozieren uns, sie genießen die Konfrontation, aber erklären wollen sie
       sich nicht. Im Gegenteil. Unzugänglich zu sein, bedrohlich in dem, was sie
       an Auskunft verweigern, das viel eher. Unerreichbar zu sein, das ist ihre
       Stärke.
       
       ## Die Auskunft verweigernd
       
       Hände ballen sich zu Fäusten, Oberarmmuskeln werden aufgepumpt, Hals- und
       Nackenmuskeln spannen sich, der Atem dehnt den Brustkorb, auch das
       passiert. Geht es um die Vorbereitung eines Angriffs? Bevor aus der
       Vermutung eine sichere Behauptung werden könnte, bevor die Bedeutung der
       Bilder gefriert, gleiten die Körper wieder in einen anderen Zustand über,
       nehmen kokette und erotisch aufgeladene Posen ein.
       
       Auf einer Leinwand über den Tänzerinnen sieht man einen Video-Clip, ein
       Fackelzug weiß Maskierter zieht durch Altstadtstraßen. Sie tragen ein
       Banner vor sich, „damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du ein Deutscher
       bist“. Auf Youtube kann man die Bilder der sogenannten Unsterblichen
       finden, die mit ihren gespenstischen neonazistischen Umzügen viele deutsche
       Städte heimsuchten. Die Tänzerinnen nehmen die Masken und Kapuzenjacken
       auf, jetzt bilden sie eine verschworene Gruppe.
       
       Später noch wird die Rede eines NPD-Mitglieds aus dem Sächsischen Landtag
       eingespielt, Anlass ist der Antrag auf ein Verbot der NPD. Rhetorisch
       geschickt sieht der Abgeordnete in dem Antrag ein Zeichen der Angst der
       anderen Parteien vor Stimmverlusten. Und er wittert Morgenröte – durch die
       Krise des Euros, die immer mehr Abgestürzte seiner Partei zuführen werde.
       
       ## Das Bild der Bestie
       
       Was an körperlichen Bewegungen auf der Bühne folgt, wirkt immer entfernter
       von jeder Verbindlichkeit. Die Tänzerinnen schütteln sich, sie verausgaben
       sich, hecheln. Eine Verwandlung, die sie an ferne Orte bringt. Ganz kurz
       blitzt etwas wie das Bild der Bestie auf, die in diesen Figuren lauern
       könnte.
       
       Doch so entsteht für den Zuschauenden die Frage: Was sehe ich, und was
       bringe ich an Projektionen mit? Dieser Frage setzt Christoph Winkler sein
       Publikum nicht erst in diesem Stück aus. Im Blick auf rechtsradikale Frauen
       erhält sie aber eine zusätzliche Dringlichkeit, nicht nur für den
       Choreografen, sondern zum Beispiel auch für Esther Lehnert, die im
       „Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus“ arbeitet. An einem Abend
       nach der Vorstellung von „RechtsRadikal“ berichtet sie von ihren
       Forschungen.
       
       Was sie ebenso wie Winkler beschäftigt, ist, dass der Rechtsradikalismus
       von Frauen unterschätzt wird. „Jeder fünfte Neonazi ist heute weiblich,
       jeder zehnte rechtsradikale Straftat geht auf das Konto einer Frau“,
       informiert ein kurzer Text im Programmheft. Obwohl man das weiß, sagt
       Winkler bei einem Gespräch vor der Premiere, wird immer wieder mit
       Überraschung auf die Frau als Täterin reagiert. Es sei eine gefährliche
       Verharmlosung, weibliche Neonazis für bloße Anhängsel der Männer zu halten,
       meint Esther Lehnert. „Viele Frauen sind aus Leidenschaft und Überzeugung
       dabei“, sagt sie, „andere finden die Militanz aufregend.“
       
       ## Idealisierte Weiblichkeit
       
       Trotzdem fällt es schwer, das konservative und einengende Frauenbild des
       Nationalsozialismus mit der Attraktivität rechtsextremer Gruppen für Frauen
       zusammenzubringen; auch weil Weiblichkeit oft in einem Sinn idealisiert
       wird, als läge ihr alles Böse fern. Dieser Widerspruch war es, der Winkler
       gereizt hat. Noch bevor man von dem NSU und Beate Zschäpe wusste, dachte er
       über ein Stück in diesem Kontext nach.
       
       Christoph Winkler ist in Torgau an der Elbe geboren. Er war Breakdancer,
       bevor er Ende der achtziger Jahre an die Staatliche Ballettschule in Berlin
       delegiert wurde. Im Auftrag der FDJ organisierte er damals einen Ausflug
       der Ballettschüler nach Buchenwald in die Gedenkstätte des
       Konzentrationslagers. Das kam ihm später als eine so routinierte Übung im
       Antifaschismus vor, als ein so entleertes Ritual, dass ihn in der
       Nachwendezeit die rechtsextremen Übergriffe in den ehemaligen DDR-Städten
       nicht wunderten.
       
       Ende der Neunziger begann Winkler, in Berlin als freier Choreograf zu
       arbeiten. Er galt bald als eine Art Wunderkind, weil er sowohl mit
       Protagonisten des Balletts als auch der freien Tanzszene arbeitete und eine
       technisch sehr herausfordernde Ästhetik entwickelte. Seitdem hat seine
       Arbeit verschiedene Phasen durchlaufen. Er hat philosophische Texte als
       Material herangezogen, sich mit Krankheitsbildern beschäftigt, genau und
       mit viel Witz die Arbeitsbedingungen von Tänzern thematisiert.
       
       ## Böse Körper
       
       Die Bühnen, auf denen seine Stücke herauskommen, sind in Berlin die
       Sophiensæle und das Ballhaus Ost und das Loft in Leipzig. Einige
       Produktionen, wie das sehr gewitzte „Dance! Copy! Right?“ (von 2012) über
       das Kopieren, Variieren und Erfinden im Tanz und das Solo „Baader.
       Choreographie einer Radikalisierung“ (von 2011) haben eine so große
       Resonanz erfahren, dass er sie theoretisch viel öfter wieder aufführen
       könnte und ein Publikum dafür fände. Allein für die Wiederaufnahme fehlen
       oft die finanziellen Mittel.
       
       „Baader. Choreographie einer Radikalisierung“ gehörte zu der Trilogie „Böse
       Körper“. Schon im Titel war eine Verunsicherung angelegt, denn ein Körper
       kann nicht böse sein, diese Kategorie der Moral greift erst da, wo es um
       die Handlungen des Menschen geht. Die Trilogie beschäftigte sich denn auch
       mit der medialen Repräsentation des Bösen, mit seinen Stilisierungen in der
       Poesie oder im Gangsta-Rap.
       
       Das Solo „Baader“ wagt sich dabei am weitesten auf ein Gebiet vor, um
       dessen Deutungshoheit gestritten wird, die Rolle der RAF in der deutschen
       Geschichte. Es liefert einen Blick auf Selbstinszenierung und
       Selbstermächtigung, in der popkulturelle Posen oft den Kick liefern, noch
       einen Schritt weiterzugehen. Texte und fotografische Dokumente ermöglichen,
       den tänzerischen Part näher an den historischen und biografischen Kontext
       von Andreas Baader zu rücken; aber es ist auch möglich, das Solo einfach
       als Show zu genießen.
       
       ## Wie weit geht man mit?
       
       Bei „Baader“ und bei dem neuen Stück „RechtsRadikal“ stellten sich dem
       Choreografen ähnliche Fragen: Wie weit gehe ich mit? Dass vor lauter
       Distanziererei gar kein Stück mehr herauskommt, war die Klippe, die es zu
       umschiffen galt. Beide Male sieht man den Darstellern beim Suchen und
       Verfertigen eines Bildes von sich zu, beim Demonstrieren bestimmter Gesten,
       die erst durch den Kontext des zugespielten Materials mit Ideologien
       verlinkt werden. Das ist manchen Zuschauern zu wenig, zu indirekt, zu
       offen.
       
       Tatsächlich verhält sich „RechtsRadikal“ mehr wie eine Frage denn wie eine
       Behauptung. Das Stück liefert ja keine soziologischen Erklärungen für
       Rechtsradikalismus. Es beschreibt viel mehr Phasen der Selbstverfertigung
       und des pubertären Trotzes, die einer Anfälligkeit für Ideologien den Boden
       bereiten können. Was passiert dann, wenn rechtsextreme Radikalisierung als
       Angebot im Raum steht, als sicheres Werkzeug, Aufmerksamkeit zu erzeugen?
       
       „RechtsRadikal“ läuft im September wieder im Loft Leipzig. Mehr unter
       [1][www.christoph-winkler.info]
       
       8 May 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.christoph-winkler.info
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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