# taz.de -- Parteitag der Piraten: Tschüss, Internetpartei
       
       > Chaos perfekt: Zwar stimmen 64,2 Prozent der Piraten für die Einführung
       > von Onlineparteitagen, geben wird es sie vorerst trotzdem nicht.
       
 (IMG) Bild: Hunderte Piraten hielten auf dem Parteitag bunte „Ich bin motiviert“-Schilder in die Luft.
       
       NEUMARKT taz | Der Parteichef hat eine Botschaft, die lautet: Alles ist
       prima. Vor Bernd Schlömer steht eine Flasche der Hackerbrause Club Mate. Er
       grinst breit, lobt den gelungen Start in den Bundestagswahlkampf, die „gute
       Atmosphäre“ und die vielen tollen Programmbeschlüsse. Dann verkündet er:
       „Ich bin sehr glücklich, dass sich der Parteitag mehrheitlich für die
       Durchführung von Onlineparteitagen entschieden hat.“
       
       Ein bemerkenswerter Satz. Schlömer hat gerade ein Abstimmungsergebnis
       kommentiert, das für viele Piraten eine Katastrophe ist. Am
       Sonntagvormittag hat keiner der sieben Anträge zur Einführung von
       Onlineparteitagen die in der Satzung vorgeschriebene nötige
       Zweidrittelmehrheit bekommen.
       
       Selbst der moderateste Kompromissantrag kam nur auf 58,9 Prozent.
       „Scheiße“, kommentierte Parteivorstand Klaus Peukert, und der Berliner
       Promipirat Christopher Lauer notierte: „Fassungslos.“ Sein Fraktionskollege
       Martin Delius kündigte an, sich den nächsten Zug nach Hause rauszusuchen.
       Tschüss, Internetpartei.
       
       Von diesen Minuten an ging es in der Parteitagshalle drunter und drüber.
       Anderthalb Stunden nach dem Votum zur „Ständigen Mitgliederversammlung“
       (SMV), wie die Onlineparteitage offiziell heißen, traten zwei Basispiraten
       aufs Podium und verkündeten den Mitstreitern im Saal: Der brisante
       Beschluss sei nicht endgültig, denn die nötige Stichwahl sei vergessen
       worden.
       
       Ach ja? „Das ist kein Wahlbetrug“, versicherte der Versammlungsleiter der
       irritierten Basis, „das ist Geschäftsordnungsgefrickel, wie wir das bei
       Parteitagen immer machen.“ Also wurde noch einmal geheim abgestimmt. Und
       drei Stunden später, unterlegt vom Nerd-Song „Sad Robot“, noch einmal. Um
       kurz vor halb fünf verkündete der Versammlungsleiter das Ergebnis der
       Stichwahl: 64,2 Prozent für den favorisierten Antrag. Wieder keine
       Zweidrittelmehrheit.
       
       ## 23 Stimmen fehlten
       
       Das Geschäftsordnungschaos dieses Sonntags spülte auch zwei Anträge für
       „volle Kanne Onlineparteitag, all inclusive – mit allen Soßen und Zwiebeln
       wie mein Dönermensch sagen würde“, noch einmal auf die Tagesordnung, die
       schon am Freitagabend nach heftigen Debatten und zahllosen
       Geschäftsordnungstricks abgelehnt worden waren. Dass sie am Abend noch eine
       Mehrheit bekommen, erwartete freilich niemand mehr.
       
       Eine für die Piraten zentrale Richtungsentscheidung ist damit vorerst
       gefallen: Wollen die Piraten künftig als erste Partei der Republik
       verbindliche Beschlüsse auch online treffen, jenseits von Großversammlungen
       wie diesen?
       
       Die meisten der zum Parteitag angereisten 1.200 Piraten haben diese auf den
       ersten Blick simple Frage mit Ja beantwortet. Aber nicht genug. Genau 23
       Stimmen fehlten. Dumm gelaufen. Die Signalwirkung für die Nerd-Partei ist
       verheerend. Mitten im Wahlkampf hat sie sich offline geschaltet.
       
       „Das ist demotivierend und unverständlich für Piraten“, kommentierte der
       Berliner Pirat Martin Delius. Die Exbundesvorstandsmitglied Julia Schramm
       twitterte eine verzweifelte „Durchhalteparole: „Wir machen das einmal mit
       den Brieftauben und ab 2014 dann mit der ordentlichen SMV.“ Einige Piraten
       drohten mit dem Rückzug aus der Parteiarbeit für den Fall, dass es so
       kommt.
       
       ## An Kapazitätsgrenzen gestoßen
       
       Das Projekt hat die Mitmachpartei seit Jahren gespalten. Während Parteichef
       Bernd Schlömer im Vorfeld warb, neue Modelle „einer digitalen, einer
       direkten Demokratie“ zu nutzen, warnte sein Stellvertreter Sebastian Nerz
       genau davor.
       
       Ein Flügel der Partei hält Onlineparteitage für einen längst überfälligen,
       visionären Schritt, eine zeitgemäße Alternative zum Delegiertensystem der
       großen Parteien, ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal. Der andere warnt vor
       Manipulationsgefahren und Datenschutzproblemen. Beide Lager sind sich in
       treuer Feindseligkeit verbunden.
       
       Doch die Piratenpartei ist mit ihren mehr als 30.000 Mitgliedern und einem
       radikal basisdemokratischen Anspruch bei Offlineparteitagen an
       Kapazitätsgrenzen gestoßen.
       
       Längst schieben die Piraten eine wachsende Bugwelle unbehandelter
       Programmanträge vor sich her – zur Frustration vieler an der Basis. Die
       Austritte mehren sich. Zum Parteitag in Neumarkt kamen nur noch 1.200
       Piraten gegenüber mehr als 2.000 beim letzten Parteitag in Bochum. Doch die
       klassischen Delegiertenmodelle der politischen Konkurrenz sind in der
       Partei ebenso verpönt wie programmatische Leitanträge des Parteivorstands.
       
       ## „Ich bin motiviert“-Schilder im Saal
       
       Am Sonntagvormittag hatte Parteichef Bernd Schlömer versucht, die Piraten
       mit einer kämpferischen Rede auf den Wahlkampf einzuschwören. An die
       politische Konkurrenz gerichtet, rief er: „Wir bereiten diesem Treiben ein
       Ende. Piraten, auf den Bundestag!“ Die Piraten wollten eine „neue
       politische Kultur in den Bundestag bringen“. Stürmischer Applaus. Hunderte
       Piraten im Saal hielten bunte „Ich bin motiviert“-Schilder in die Luft.
       
       Nein, sie wollen noch nicht aufgeben. Sie möchten die Wähler mit einem
       dicken Wahlprogramm überzeugen, dass die Piraten als wichtige, progressive
       Kraft in den nächsten Bundestag gehören.
       
       Doch einige Stunden später haben sie im gleichen Parteitagssaal das
       Gegenteil demonstriert. Ach ja, es wurde zwischendrin ein weiterer Antrag
       zur Onlinemitbestimmung mit der nötigen Zweidrittelmehrheit angenommen.
       Doch ausgerechnet den nannte Parteivorstand Peukert am Rande der
       Veranstaltung „überkomplex und unkonkret“ und deshalb leider „nicht
       umsetzbar“.
       
       12 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Astrid Geisler
       
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