# taz.de -- Soziologe über Forschungsgelder: „Wettbewerb ruiniert Wissenschaft“
       
       > Hochschulen sind zu sehr auf Geld aus der Wirtschaft angewiesen. Das
       > widerspricht dem Ideal der Wissenschaft, kritisiert der Soziologe Richard
       > Münch.
       
 (IMG) Bild: Gut muss Forschung aussehen
       
       taz: Herr Münch, die Wirtschaft hat ihr Herz für die Wissenschaft entdeckt.
       Über eine Milliarde Euro gibt sie im Jahr für Forschungsprojekte an den
       Unis aus, rund 1.000 privat geförderte Lehrstühle gibt es an den
       Hochschulen. Sie als Wissenschaftler sollte das eigentlich freuen. 
       
       Richard Münch: Die öffentlichen Mittel sind spärlich, da freut sich jeder
       Wissenschaftler über zusätzliches Geld. Aber die Sache ist zweischneidig.
       
       Warum? 
       
       Private Investoren erwarten immer Forschungen mit Ergebnissen, die ihren
       Zielen und Wünschen entsprechen. Das widerspricht dem Ideal, dass
       Wissenschaft zweckfrei ist, dass sie offen sein muss, um zu neuen
       Erkenntnissen gelangen zu können. Privates Geld kommt nie einfach so.
       
       Überzeichnen Sie die Situation nicht etwas? Stellen wir uns vor, ein
       privater Förderer stiftet einen Lehrstuhl für Kunstgeschichte. Aus
       Idealismus. Oder einfach nur zur eigenen Imagepflege. 
       
       Sicher, jede Uni würde sich über eine solche Professur freuen. Hier
       entsteht ein zusätzliches Angebot, das es sonst nicht gegeben hätte. Aber
       denken wir die Geschichte weiter: Privat geförderte Lehrstühle werden in
       der Regel – das ist ja die Idee der Stiftungsprofessur – nur für eine
       begrenzte Zeit eingerichtet. Danach beginnt das Ringen. Die Universität
       muss den Lehrstuhl aus ihrem eigenen Etat weiterfinanzieren. Das Geld wird
       bei einem anderen Fach abgeknapst, das zu fördern vielleicht genauso
       sinnvoll wäre.
       
       Ein typischer Konflikt bei knappen Mittel. Wo ist das Problem? 
       
       Das Problem ist, dass der Druck von außen kommt. Ein privater Förderer
       beeinflusst, wohin sich eine Universität entwickelt – und das über die
       Förderzeit hinaus. Eine Stiftungsprofessur wird oft mit der mehr oder
       weniger expliziten Erwartung geschaffen, dass die Hochschule sie
       langfristig übernimmt. Kurzfristig winkt das große Geld. Dem gibt eine
       Universität nach, obwohl sie bei Abwägung aller Gründe vielleicht zu einer
       anderen Entscheidung kommen würde. Das ist gefährlich.
       
       Der größte Teil der Drittmittel für zusätzliche Forschungen kommt immer
       noch vom Staat, etwa über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). 
       
       Das stimmt. Aber die Logik ist eine ähnliche. Ein Forscher muss sich um
       diese Gelder bewerben, er muss Anträge schreiben und sein Vorhaben als
       besonders vielversprechend anpreisen. Seit den 80er Jahren ist der Anteil
       der Drittmittel, auch der öffentlichen Drittmittel, am Etat der
       Universitäten stark gestiegen. Der Anteil der Grundmittel ist entsprechend
       gesunken. Inzwischen machen Projektgelder an der Universitäten etwa ein
       Drittel des Gesamtetats aus.
       
       Forscher müssen sich stärker mit guten Ideen um Mittel bemühen. Das spornt
       an. 
       
       Das meint man gerne, das entspricht dem Zeitgeist. Mehr Wettbewerb, mehr
       Leistung.
       
       Worum sollte das ausgerechnet in der Wissenschaft nicht so sein? 
       
       Weil man nicht mit jeder guten Idee Forschungsmittel beantragen kann. Bei
       einem privaten Förderer muss ich dessen Wünsche mit bedenken. Bei
       staatlichen Drittmitteln mag die Forschungsfreiheit zwar größer sein. Aber
       auch da hat man mit einem Antrag nicht automatisch nur Erfolg, weil man
       eine gute Idee hat.
       
       Sondern? 
       
       Erfolg hat man vor allem, wenn man schon entsprechende Vorarbeiten
       vorweisen kann und die Gutachter erkennen, dass am Ende der Förderung ein
       konkretes Ergebnis steht. Aber das ist genau die Krux: Wo Neues entsteht,
       lässt sich schlecht voraussagen. Es gibt Forschungsthemen, die sehr gewagt
       sind, die mit hoher Wahrscheinlichkeit scheitern, aber eben auch die
       Aussicht auf wirklich neue Erkenntnisse versprechen. Nur sind das keine
       guten Themen für Förderanträge. Ein Forscher, der von Drittmitteln abhängig
       ist, wird sich auf die eher risikoarmen Themen spezialisieren.
       
       Sie glauben also, wenn man die Wissenschaft von jeder Form des Wettbewerbs
       ausnimmt, funktioniert sie am besten? 
       
       Ich rede nicht der Reduktion von Wettbewerb das Wort. In der Wissenschaft
       gibt es einen genuinen Wettbewerb um Erkenntnisfortschritt und um
       Anerkennung bei Kollegen. Danach streben alle Wissenschaftler. Kein
       Forscher ist ohne diese Neugierde.
       
       Die Wissenschaftler werden es schon von sich aus richten, wir müssen ihnen
       nur bedingungslos Geld anvertrauen: Das klingt sehr romantisch. 
       
       Das ist nicht romantisch, das ist die Realität! Wissenschaftler sind durch
       einen langen Sozialisationsprozess gegangen, sie haben das Forschen zu
       ihrem Lebenszweck gemacht. Aber der Wettbewerb um Drittmittel verzerrt den
       Wettbewerb um Erkenntnis. Dieser Wettbewerb ruiniert die Wissenschaft, weil
       er einer anderen Logik folgt.
       
       Und zwar? 
       
       Wir sind inzwischen in der seltsamen Situation, dass die Einnahmen aus
       Drittmitteln selbst zu einem Leistungsindikator geworden sind. Wie gut
       Wissenschaftler, Institute oder Hochschulen sind, will man daran ablesen,
       wie viel Geld sie einwerben. Nach dieser Kennzahl verteilen
       Wissenschaftsministerien wiederum ihr Geld, und innerhalb der Universitäten
       wird nach demselben Mechanismus verfahren. Wer viele Drittmittel hat,
       bekommt oben drauf.
       
       Dadurch wird die Einwerbung von Drittmitteln so immens wichtig, dass es zu
       einer Umkehrung von Zweck und Mittel kommt. Man bemüht sich um Geld, um
       weiteres Geld zu generieren. Die entscheidende Frage wird: Mit welcher
       Forschungsidee bekomme ich weitere Mittel? Am Ende hat man das Gegenteil
       von dem bezweckt, was man erreichen wollte: nämlich weniger Wettbewerb in
       der Wissenschaft.
       
       Warum weniger? 
       
       Weil die Mittel sich zunehmend an einigen wenigen Standorten konzentrieren.
       Dort gibt es Überinvestitionen in die Forschung mit wenig Effizienz. Und
       eine Vielzahl anderer Standorte mit entsprechender Unterinvestition. Aber
       es müssen viele sein an vielen Orten, die am Wettbewerb um Erkenntnis
       teilnehmen, damit es echte Fortschritte in der Wissenschaft gibt. Durch die
       ungleiche Mittelverteilung werden es eher weniger.
       
       30 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Kramer
       
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